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Wichtiger Entwicklungsschritt. Auch für das Kind ist ein Trotzanfall nicht angenehm. Es erlebt einen Widerstreit der Gefühle und muss erst lernen, einen Ausgleich zwischen äußeren Anforderungen und dem eigenen Willen zu finden.

© Istock

Interview mit Erziehungsexpertin: „Trösten, aber nicht nachgeben“

Die Trotzphase ist für alle Eltern anstrengend. Eine Pädagogin erklärt, wie Familien sie gut überstehen.

Das eine Kind wirft sich auf den Boden, weil es am Morgen nicht angezogen werden will. Das andere bekommt einen Schreianfall, weil es keine Süßigkeiten bekommt. Was raten Sie Eltern in einer solchen Situation?
Den Eltern würde ich gerne Folgendes mitgeben: Freuen Sie sich. Ihr Kind macht gerade einen wichtigen Entwicklungsschritt durch. Das heißt, reagieren Sie nicht genervt. Ich weiß, das ist manchmal recht viel verlangt, wenn Eltern es eilig haben oder morgens schnell aus dem Haus möchten. Eine weitere Regel ist: Nehmen sie es nicht persönlich. Wenn ihr Kind Zähne kriegt, beziehen sie das ja auch nicht auf sich. Es gibt mehrere Trotzphasen, und durch die muss das Kind durch.

Nicht genervt sein ist einfacher gesagt als getan. Wo sollen Eltern denn ihre eigene Wut in einer solchen Situation hinstecken?
Überlegen Sie, was genau Sie eigentlich stört. Nehmen Sie ein wenig Distanz zu der Situation auf, sehen Sie ihrem Kind einfach mal gelassen zu. Sonst wird daraus ein kleiner Machtkampf, und der hilft niemanden. Der nächste Schritt wäre: Lassen Sie sich vom Kind nichts abtrotzen.

Was meinen Sie damit?
Sie sind genervt, und das Kind setzt seinen Willen durch. So lernt das Kind, dass Schreien und Toben eine ganz hervorragende Strategie ist, sich gegen seine Eltern durchzusetzen. Bleiben Sie also ruhig und geben Sie nicht nach. Reagieren Sie aber auch nicht mit Schimpfen oder mit Schreien.

Kennen Sie Techniken, mit denen man es durchhält, Grenzen durchzusetzen, ohne wütend zu werden?
Regeln etablieren Sie nicht in dem Moment des Trotzes. Das müssen Sie vorher machen oder nach dem Wutanfall des Kindes. Wenn es zum Beispiel um das Thema Anziehen geht, können Sie versuchen, es altersabhängig in den Alltag einzubinden. Bei kleineren Kindern können Sie sich zum Beispiel eine Vorlesegeschichte zum Thema besorgen oder gemeinsam eine Puppe anziehen. Geben Sie dem Kind stückweise Verantwortung und lassen sie es sich, wenn es nicht trotzig ist, nach seinem eigenen Geschmack anziehen.

Was geht in den Köpfen der Kinder vor? Warum geraten sie so außer Kontrolle?
In dem Moment stößt das Kind an eine Grenze. Da ist eine äußere Anforderung, und da ist der eigene Wille. Dazwischen muss ein Ausgleich gefunden werden. Das ist wie beim „Mensch ärgere Dich nicht“. Am Anfang lassen Sie das Kind gewinnen. Das Kind merkt das ganz genau, und mit der Zeit muss es lernen, zu verlieren. Das sind keine einfachen Emotionen. Bei Trotz erlebt das Kind einen Widerstreit der Gefühle und muss schrittweise lernen, damit umzugehen.

Wie helfen die Eltern ihm dabei?
Für das Kind ist die Trotzphase nicht angenehm. Zeigen Sie auf der emotionalen Ebene Mitgefühl. Sagen Sie etwas, wie: „Ach, das ärgert dich jetzt aber sehr“. Bei Trauer zeigen Eltern Mitgefühl, wenn etwas schmerzt, zeigen sie Mitgefühl. Das Kind macht gerade eine ganz schwierige Situation durch. Trösten Sie es.

Wie wichtig ist diese Phase für die weitere Entwicklung?

Im späteren Leben hat man ständig Situationen zu meistern, in denen man etwas möchte, aber nach außen hin an Grenzen stößt. Die Gefühle, die dabei hervorgerufen werden, sind normal. Es geht darum, wie man mit ihnen umgeht. Wer als Erwachsener in einer Konfrontation mit dem Chef aus dem Zimmer rennt und den PC zerschlägt, der hat irgendetwas nicht gelernt. Im zivilisierten Miteinander haut man keine Geräte kaputt und schlägt sich nicht gegenseitig die Köpfe ein, sondern man findet andere Methoden, seine Wut loszulassen. Sie gehen mal raus, atmen tief durch oder trinken einen Kaffee. Diese Techniken zu lernen, darauf kommt es an, und das ist ein ganz langwieriger Prozess.

Stimmt die Theorie, dass bei Kindern, die im Kleinkindalter besonders stark zu Trotzanfällen neigen, die Pubertät später gemäßigter abläuft, oder ist das eine vergebliche Hoffnung?
Solche allgemeingültigen Regeln lassen sich nicht aufstellen, da jeder Mensch unterschiedlich ist. In manchen Familien wird heißblütig gestritten, andere regen sich eher innerlich auf und muffeln nur ein bisschen rum. Doch wenn Kinder gut durch die Kleinkindtrotzphase kommen, haben sie bereits ein festes Regelsystem für die schwierige Phase der Pubertät. Kinder lernen in den ersten Trotzphasen, wie man miteinander umgeht, wenn sehr unterschiedliche und heftige Gefühle aufeinandertreffen. Ein solches Regelsystem erst in der Pubertät einzuführen, ist sehr viel schwieriger. Wichtig ist dabei, dass das Kind seine Eltern als Unterstützer wahrnimmt.

Verläuft die Trotzphase bei Jungen anders als bei Mädchen?
Nein. Was die Entwicklungspsychologie betrifft, gibt es da keinen Unterschied. Aber es ist so, dass die Umwelt anders auf Jungen als auf Mädchen reagiert. Bei Jungen wird es eher positiv gesehen, wenn sie ihren Willen durchsetzen - denn sie sollen später besonders durchsetzungsfähig sein. Bei Mädchen wird ein solches Benehmen häufig weniger toleriert, weil viele Menschen dies als nicht weiblich genug empfinden.

Gibt es denn irgendetwas, womit man den Wutanfällen schon vorher entgegenwirken kann? Wenn es zum Beispiel immer ähnliche Situationen sind, in denen die Emotionen hochkochen.
Manchmal kann man im Vorfeld eine Situation entspannen. Zum Beispiel schon am Abend vorher die Kleidungsstücke für den nächsten Tag gemeinsam raussuchen. Wenn Mutter und Vater gestresst sind, übertragen sich die Gefühle schnell auf das Kind. Kinder sind hoch sensibel für die Gefühle ihrer Eltern. Je nach Situation sollte man überlegen, wie man einen Vorgang anders regeln könnte, um ihn zu entzerren.

Worauf sollte man sonst noch als Elternteil achten?
Sie sollten einem Kind keine doppelten Botschaften machen. Ihm etwas sagen und selber genau das Gegenteil tun. Dann sucht sich das Kind das aus, was ihm am besten gefällt. Zusätzlich können Rituale helfen, eine Situation zu entschärfen. Dann kann sich das Kind darauf verlassen, dass es ab jetzt immer so läuft.

Manche Kinder lassen sich partout nicht die Zähne putzen, halten sich den Mund mit den Händen zu. Oder sie schlagen um sich, wenn sie etwas nicht möchten. Muss man nicht manchmal doch einfach hart durchgreifen?
In der Mehrzahl der Fälle sind Eltern zu gestresst und haben selber keine Lust. Am besten ist es, Dinge gut einzuführen. Zum Beispiel einen Zahnarzt mit Kindersprechstunde aufsuchen, das Kind loben und mit ihm darüber reden, wie wichtig das Zähneputzen ist. Dass Kinder anfangen, beim Zähneputzen zu tricksen, ist übrigens ganz normal. Wenn sie versuchen, ihre Eltern zu überlisten, wollen sie Grenzen austesten und werden deshalb nicht gleich kriminell. Für die Entwicklung ist das ganz normal.

Ab wann ist das Trotzalter wieder vorbei? Was erwartet Eltern danach?
Es gibt kein klassisches Verlaufsprogramm für Trotzphasen. Sie haben typische Trotzphasen im Kleinkindalter und im Schulalter. In der Pubertät prallen noch einmal sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen von Jugendlichen und Eltern aufeinander. Machen Sie sich als Eltern bloß nicht verrückt, und stellen Sie sich darauf ein, dass Sie, solange Sie die Erzieherrolle innehaben - bis zum Alter von 18 Jahren – diese Auseinandersetzungen immer haben werden.

Das Gespräch führte Saara von Alten.

Heidemarie Arnhold ist promovierte Pädagogin und Vorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung (ANE), der die „Elternbriefe“ an Berliner Familien sendet. Infos unter www.ane.de.

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