zum Hauptinhalt
Guter Unterricht - was ist das?

© Sebastian Gollnow/dpa

Internetprobleme und Raumknappheit: Unter Engpässen leiden Kinder und Mitarbeiter

Im SIBUZ Tempelhof-Schöneberg, dem schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum, fehlen Räume und vieles mehr.

Der Mann mit dem Seppelhut steht ganz oben auf der Spitze des Kölner Doms. Sein Kumpel zwei Meter tiefer hat eine Schiebermütze auf den Kopf gedrückt, beide blicken entspannt in die Kamera. Ein altes Foto, eingerahmt, es hängt an der Wand des hellen Zimmers. Gegenüber steht der Schreibtisch mit dem Telefon und dem Computer, hier geht's eher weniger entspannt zu. „Der Computer hat keinen Internetzugang“, sagt Karin Düntsch. Leitungen sind kaputt, seit November 2018, repariert wird erst mal nicht. „Das Telefon ist im Moment auch kaputt“, sagt Thomas Schenk. „2018 ist die ganze Telefonanlage ausgefallen.“ Immerhin, „wir bekommen ein neues Telefon.“ Düntsch und Schenk sitzen an einem Tisch neben dem Kölner-Dom-Foto, ihr Gesichtsausdruck changiert zwischen empört und resigniert.

Willkommen in der Schulpsychologie, genau gesagt im „Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum“ Tempelhof-Schöneberg, kurz SIBUZ. Willkommen in der Außenstelle Pöppelmannstraße, in einer früheren Hausmeisterwohnung, in der entschieden wird, ob ein Kind einen speziellen Mathematikunterricht benötigt oder ob ein geistig behindertes Kind in eine inklusive Schule kann. Willkommen in einer Welt, in der SIBUZ-Chef Schenk stöhnt: „Die Eltern beschweren sich, weil sie zwei Wochen brauchen, bis sie uns erreichen.“ Und in der die Sonderpädagogin Düntsch seufzt: „Wegen der ganzen Probleme müssen Eltern länger auf Rückmeldungen von uns warten.“

Ein SIBUZ gibt es in jedem Bezirk, hier werden Kinder auf sonderpädagogischen Förderbedarf untersucht oder darauf, ob sie aufgrund psychischer Probleme vorübergehend aus einer Regelschule herausgenommen werden. Im SIBUZ Tempelhof-Schöneberg sind dafür rund 50 Menschen zuständig, Sonderpädagogen, Psychologen, Erzieher, Sozialarbeiter. Ihre jährliche Leistungsbilanz: rund 1600 Gutachten, Stellungnahmen, Beratungen. Jeweils die Hälfte der Mitarbeiter ist auf die Pöppelmannstraße und die Hauptstelle Ebersstraße, aufgeteilt.

Praktischerweise sind auch die Probleme paritätisch vergeben. In der Ebersstraße, im dritten Stock eines Backsteinbaus, führen genau zwei Telefonleitungen nach draußen, es gibt nur 18 Computeranschlüsse und keinen Fahrstuhl. „Das System ist technisch am Ende, man kann kein neues Telefon anschließen“, sagt Schenk. „Es gibt auch keinen weiteren Computeranschluss.“ In der Pöppelmannstraße können keine vertraulichen Daten digital übermittelt werden, es gibt weder Fahrstuhl noch Beratungsraum. Wer Protokolle oder Gutachten übermitteln will, muss in die Ebersstraße fahren. Dort findet er aber oft keinen freien Arbeitsplatz. „Trommeln geht schneller“, sagt Karin Düntsch.

Verzögerungen vorprogrammiert

Vor allem aber geht der Zeitverlust auf Kosten der Kinder. Im Moment stehen Gutachten für fünf Kinder ganz oben auf der SIBUZ-Liste. „Diese fünf Kinder sind derzeit im falschen Unterricht“, sagt Schenk. Die Experten der Pöppelmanstraße sind für sie verantwortlich. „Ich arbeite schnell“, sagt Karin Düntsch, „aber durch die Umstände verliere ich circa eine Woche“. Nach vier bis sechs Wochen dürften die Gutachten fertig sein, die betroffenen Schulen hätten aber gern nach 14 Tagen eine Rückmeldung. Doch die Expertisen zu anderen Kindern müssen warten. „Die Abläufe verzögern sich um viele Tage“, sagt Schenk. „In der Regel benötigen wir für ein Gutachten sechs bis zwölf Wochen. Das bedeutet, dass die Kinder eventuell so lange in der falschen Schule sind.“

In der Pöppelmannstraße zeigt Karin Düntsch jetzt die nächste Problemzone. Das SIBUZ liegt im zweiten Stock, im Gebäude der Prignitz-Schule. Weil ein Beratungszimmer für sensible Gespräche mit Eltern und Kindern fehlt, müssen die Mitarbeiter in der Prignitz-Schule um einen Raum bitten. Im Erdgeschoss präsentiert Karin Düntsch dann dieses Zimmer: vollgemüllter Tisch, ein Schreibtisch, zwei Plastikkörbe auf dem Boden, ein Schreibtisch, ein hüfthoher Schrank, auf dem ein Radio steht. Hier finden Gespräche statt über den Förderbedarf eines Kindes oder die Frage, welche Schule geeignet ist. „Die Eltern nehmen in so einer Umgebung die Beratung nicht gut an“, sagt Karin Düntsch. Schenk steht daneben, er sagt: „Im schlimmsten Fall können Konflikte eskalieren, weil Eltern das Gefühl haben könnten, dass sie nicht ernst genommen werden.“ Freilich: Die Qualität der Gutachten, das betont er, werde dadurch nicht beeinträchtigt.

„Montag ist Katastrophentag“

Auch hier gibt's keinen Fahrstuhl, auch hier kommen gehbehinderte Menschen nicht zum SIBUZ im zweiten Stock. Und eine Mutter mit Baby nur dann, wenn sie bereit ist, ihren Kinderwagen unbeaufsichtigt stehen zu lassen.

Manch ein Mitarbeiter des SIBUZ würde sich an Montagen mitunter wohl auch gerne den Weg in den zweiten Stock sparen. „Montag ist Katastrophentag“, sagt Karin Düntsch. Zu Beginn der Woche werden viele Fälle besprochen, die Mitarbeiter quetschen sich im Beratungsraum zusammen. „Viele würden anschließend gerne hier weiterarbeiten, aber das geht wegen der Platznot nicht.“

Auch in der Ebersstraße fehlt ein Fahrstuhl, ein Unding für eine Beratungsstelle, die Fragen zur Inklusion beantworten soll. Beim Schwerbehinderten-Beauftragten des Bezirks, sagt Schenk, liefen diverse Beschwerden ein. Auch hier fehlen genügend Räume, wenn viele Mitarbeiter da sind, wird es eng. Dann ist ein vernünftiges Arbeiten kaum noch möglich. Und mitunter sind Toiletten gesperrt, trotz Kundenverkehrs.

Auf dem Festnetz schlecht erreichbar

Noch schlimmer ist allerdings der Umstand, dass die Telefonsituation im SIBUZ den schlimmsten DDR-Zeiten ähnelt. Zwei Leitungen nach außen – jedes abgelegene Dorf in Myanmar ist wohl besser zu erreichen als die Schulpsychologen des SIBUZ auf Festnetz. Der Kontakt mit Jugendämtern, Schülern, Lehrern oder Eltern wird zum Lotteriespiel. Eine freie Leitung erwischt? Wow, Bingo! Nicht mal ein Besetztzeichen hört man als Anrufer. „Wenn man von draußen anruft, kommt nur das Freizeichen“, sagt Schenk. Eltern stünden „in ihrer Hilflosigkeit dann allein da“. Nicht nur sie.

Und da das SIBUZ bald umziehen soll, ist wohl auch nicht damit zu rechnen, dass sich in nächster Zeit etwas an der Technik ändern wird. Wann dieser Umzug stattfindet, steht allerdings in den Sternen. Innerhalb der nächsten zwölf Monate, hofft der SIBUZ-Chef. Er sitzt jetzt in seinem Chefbüro in der Ebersstraße, aber sein Blick ist Antwort genug. Er glaubt kaum daran.

Die Probleme sind bekannt

Die Senatsbildungsverwaltung kennt die Probleme natürlich, die SIBUZe gehören zum Verantwortungsbereich von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Und es gibt ja auch SIBUZ-Einrichtungen, die exzellent ausgestattet sind. Doch beim Thema Tempelhof-Schöneberg räumt ein Sprecher der Senatsbildungsverwaltung ein, „dass die räumliche Situation und die technische Ausstattung an den beiden Standorten nicht gut ist“. Da die Anzahl der Arbeitsplätze nicht ausreiche, „richten wir derzeit 23 mobile Telearbeitsplätze für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SIBUZ ein, einige sind bereits in Nutzung. Dies ermöglicht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne Arbeitsplatz am SIBUZ Ebersstraße eine datensichere Bearbeitung von Unterlagen und Erreichbarkeit per Mail auch außerhalb des SIBUZ. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden dafür Dienstlaptops zur Verfügung gestellt.“

Für das Gebäude selbst, für Telefonanlagen und Verkabelungen, sei der Bezirk zuständig. „Unser Ziel ist, dass Bezirk, Senatsverwaltung für Finanzen und wir eine gemeinsame Lösung suchen. Eine Erweiterung der Bandbreite in der Ebersstraße wurde durch die Senatsverwaltung beauftragt“, sagt der Sprecher der Behörde. Der zuständige Bezirksstadtrat antwortete nicht auf eine Tagesspiegel-Anfrage.

Dienstlaptops? Ja, sagt Karin Düntsch, „die haben wir erhalten“. Sie hätten nur einen kleinen Nachteil. „Mit ihnen kann man keine Anträge, keine Protokolle und keine Gutachten verschicken.“ In der Pöppelmannstraße liegt schräg gegenüber der Wohnungstür eine der beiden Toiletten. An der Tür prangt ein Hinweisschild: „Defekt“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false