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Still im Kasten. Die Vielfalt in dieser Insektensammlung einer Schule ist in der Natur nur noch selten zu finden. Etliche Arten sind schon ausgestorben.

© Hwa Ja-Götz

Insekten in Berlin: Die Hauptstadt summt

Bilanz zum Frühlingsstart: Insekten geht es in Berlin besser als in Brandenburg, aber Naturschützer warnen vor Biotopverlusten.

Mitte, Nordbahnhof, dichte Bebauung – bleibt da überhaupt noch Platz für die Natur? Offenbar ja. Das Gelände rund um den Nordbahnhof ist ein einzigartiges Biotop, auf dem sogar Eidechsen und Nachtigallen leben, versichern Naturkundler. Die Tiere finden dort offenbar mehr zu fressen als ihre Artgenossen auf dem Land. „ Insekten geht es in Berlin viel besser als in Brandenburg“, sagt der Direktor des Naturkundemuseum an der Invalidenstraße in Mitte, Johannes Vogel.

Berlin habe eine erfreuliche Insektenvielfalt und sei überaus reich an Pflanzen. „Botanisch gesehen ist die Hauptstadt sogar der artenreichste Ort in ganz Deutschland.“ Aus Sicht von Vogel ist es allerdings „ eine perverse Situation, wenn die artenreichsten Orte in Deutschland die Städte werden.“ Eigentlich sollte es ja die große Artenvielfalt auf dem Land geben, aber giftige Pestizide und Monokulturen lassen den Insekten dort keine Chance.

Die Stadt bietet eine größere Artenvielfalt als das Umland

In Deutschland sind Studien zufolge schon 30 Prozent der Insekten in ihrem Bestand gefährdet, fünf Prozent gelten als ausgestorben. Die roten Listen vom Bundesamt für Naturschutz zeigen, dass fast die Hälfte aller Insektenarten stark zurückgehen. In einigen Teilen von Deutschland beklagen Naturschutzorganisationen sogar einen Verlust von bis zu 80 Prozent innerhalb der vergangenen 15 bis 20 Jahren.

Weniger Insekten bedeutet auch weniger Nahrung für Vögel. 60 Prozent der Insektenfresser auf dem Land sind in den vergangenen 25 Jahren deshalb verschwunden. Konkret geht beispielsweise die Zahl der Braunkehlchen, Rebhühner und Feldlerchen nach Angaben der Vereinigung „Insect Respect“ sichtbar zurück.

„Insekten erbringen für die Nahrungssicherheit des Menschen unendliche Werte. Wie ignorant müssen wir Menschen sein, diese Gabe der Natur zu vernachlässigen“, sagt Museumsdirektor Vogel. Das Naturkundemuseum veranstaltete aus diesem Grunde am Donnerstag gemeinsam mit „Insect Respect“ einen „Tag der Insekten“. Akteure aus Wirtschaft, Politik, Forschung und von Umweltorganisationen versuchten dort, Lösungen zu finden. Parallel gab es Aktionsstände für Museumsbesucher. Die Tagung fand in diesem Jahr zum dritten Mal statt, erstmals in Berlin.

Berlin – das ist die anerkannte Stadt für botanische Vielfalt mit hunderten verschiedenen Sträuchern, Blühpflanzen und Bäumen in Parks und Kleingartenanlagen. „Trotzdem können die Städte nicht die neue Hoffnung sein, die das große Insektensterben verhindern“, findet Jens Esser. Der 47-Jährige aus Pankow ist Biologielehrer, Insektenexperte des Naturschutzbundes Nabu und Vorsitzender der Insektengesellschaft ORION Berlin. Er sagt, viele Insekten bräuchten auch Biotoptypen, die es in der Stadt gar nicht gibt – beispielsweise Moore. In der Stadt könnten nur Insekten gut leben, die besonders anpassungsfähig sind. „Berlin kann keine Arche Noah für alle Tiere und Pflanzen sein, denn viele Dinge gehen in der Stadt einfach nicht“, betont Esser. „Natürlich sollte man sich trotz allem überall bemühen.“

Die Verdichtung der Wohngebiete bedroht Naturräume

Noch dazu fordern viele in Berlin eine Verdichtung der Stadt, damit Wohnraum geschaffen werden kann. „Das wird nicht ohne Folgen bleiben, dass da so viel gebaut wird“, sagt Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums. „Friedhöfe und Kleingärten werden überbaut. Es wird darüber diskutiert, wie man die Stadt verdichtet und nicht, wie man sie lebenswert macht.“

Tatsächlich könnte die Bebauung von Grünflächen, vor allem der Kleingärten, das Problem beschleunigen. Deshalb engagieren sich viele Bürger für die Rettung von Insekten, was in den letzten Jahren zu einem skurrilen Trend geführt hat.

Immer mehr Berliner wollen selbst Bienen halten, Imkervereine haben einen riesigen Zulauf. Man findet Bienenhotels inzwischen in privaten Gärten, auf Hochhäusern und Balkons und sogar auf dem Berliner Dom. Vielleicht, weil Bienen im Vergleich zu anderen Insekten niedlich aussehen. Hauptsächlich aber damit die Bienen weiterhin Blüten bestäuben und die Bürger so einen wichtigen Teil zum Ökosystem beitragen können.

Von dem neuen Trend der Bienenhaltung erzählt Benedikt Polaczek, Imkermeister der Freien Universität. Doch viele scheinen nicht zu wissen, worauf sie sich einlassen. „Ich sage den Leuten, wenn sie Kaffee mit Milch trinken wollen, müssen sie keine Kuh halten. Sie können Bienenhaltung mit Katzenhaltung vergleichen. Man muss sich um die Biene kümmern wie ein Haustier. Sie kostet sehr viel Geld und sehr viel Arbeit.“

Auch Insektenforscher Esser sieht diese Bemühungen der Berliner eher skeptisch. „Nachhaltiger wäre es, wenn sich Menschen in Umweltverbänden oder auf anderen Ebenen engagieren würden. Andererseits kann es auch wichtige Anstöße geben, wenn man selbst Bienen hält. Wer sich um sie kümmert, entwickelt ein anderes Umweltbewusstsein.“

Das berichtet auch Imkermeister Polaczek. Wer seine Kurse besuche, habe ein realistischeres Bild von der Umwelt. Er findet, nun müsse vor allem die Politik nachziehen. „Ich sage die Politiker sollen auch endlich verstehen, dass wir ihre Hilfe brauchen. Wir können nicht warten, sondern müssen das jetzt in Taten umsetzen. Wir brauchen politische Entscheidungen, um der Natur nachhaltig zu helfen.“

In diesem Punkt stimmt ihm Insektenspezialist Esser zu: „Unsere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bräuchte ja nur ihr Versprechen einhalten, was die Reduzierung von Pestiziden in der Landwirtschaft angeht. Wenn das umgesetzt werden würde, wären wir schon einen riesigen Schritt weiter.“

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