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Elke Graupner sieht sich als Vertrauensperson an der HU dem humanistischem Erbe der Brüder Humboldt verpflichtet.

© Sven Darmer

Inklusionspreis 2019: Der Gewinner des Sonderpreises: Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule

An der Humboldt-Uni treibt ein starkes Team bereits seit Jahren Barrierefreiheit voran - und setzt neue Impulse. Elke Graupner arbeitet hier als Vertrauensperson.

„Vorsicht Stufe!“ steht dutzendfach an der großen Treppe im Foyer der Humboldt-Universität (HU). Wer im Rollstuhl durch die selbstöffnenden Türen des historischen Hauptgebäudes Unter den Linden gefahren ist, mag sich denken, dass die Messingschildchen an jeder einzelnen Stufe sagen: Hier geht es für mobilitätseingeschränkte Menschen nicht weiter.

Tatsächlich aber ist diese Warnung eine kreative Intervention der Künstlerin Ceal Floyer. Sie setzt sich mit dem umstrittenen Karl-Marx-Zitat an der Wand des Treppenabsatzes auseinander: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Wie auch immer man es interpretiert: Unstrittig ist, dass es darauf ankommt, die Welt zu verändern, wenn es um die Belange von Menschen mit Behinderungen geht. Darin gilt die Humboldt-Uni als vorbildlich und erhält für ihr Engagement den Sonderpreis des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), der gemeinsam mit dem Berliner Inklusionspreis 2019 verliehen wird. Eine Anerkennung auch dafür, dass sich die Uni seit mehreren Jahren um den Inklusionspreis beworben hat, ist aus dem Lageso zu hören. Nun wurde es immerhin der undotierte Sonderpreis. Darüber freut sich Elke Graupner, promovierte Philosophin und Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten an der HU: „Es ist positiv, dass wir für unsere Maßnahmen in dieser Weise erstmalig konkret beachtet und gewürdigt werden.“

Von 2283 an der Uni Beschäftigten haben 153 (6,7 Prozent) eine Schwerbehinderung oder eine gleichgestellte chronische Einschränkung. Von den rund 35 500 Studierenden der HU (ohne Charité) sind bundesweiten Umfragen und Schätzungen zufolge elf Prozent betroffen.

Der gesamte "Kopfbau West" wurde barrierefrei saniert

Die Arbeit von Elke Graupner und vielen anderen, die sich an der HU für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzen - vom offiziellen Inklusionsbeauftragten in der Personalabteilung über die Behindertenbeauftragte für Studierende bis zu Enthinderungsberatung der Studierendenvertretung Refrat - ist beachtlich. Wie viel sich in den vergangenen Jahren an der Universität getan hat, zeigt sich, wenn man sich aus dem nicht eben barrierefrei anmutenden Foyer links in Richtung der Studienberatung bewegt. Der gesamte Gebäudeteil im „Kopfbau West“ des Haupthauses wurde barrierefrei saniert - und das bei strengen Auflagen des Denkmalschutzes. Die Substanz des Gebäudekomplexes Unter den Linden geht schließlich auf das 1748 bis 1753 im Barockstil erbauten Palais des Prinzen Heinrich zurück.

Elke Graupner hat von 1977 bis 1982 an der HU Philosophie studiert und ist seit Mitte der 80er Jahre Mitarbeiterin am Institut für Philosophie. Sie kennt die Uni also noch aus der DDR-Zeit, als vieles pragmatisch überbaut und übermalt wurde und Barrierefreiheit, wie auch in der Bundesrepublik, noch kaum ein Thema war. Graupner liebt den jetzt wieder herausgearbeiteten Wandschmuck aus der Erbauungszeit und ist begeistert, wie Denkmalschutz und barrierefreie Gestaltung im Studierenden-Service-Center (SSC) miteinander verbunden werden. „Der Infotresen ist gut erreichbar und mit dem Rollstuhl unterfahrbar, die Ablage für Infomaterial ist auch auf einer für Rollstuhlbenutzer*innen geeigneten Höhe, die Wege zu den Beratungsräumen sind breit und frei befahrbar“, sagt sie. Vorbildlich auch das barrierefreie WC, das von beiden Seiten anfahrbar ist.

Dass dies und vieles mehr an der Humboldt-Uni möglich ist, verdankt sich offenbar auch der guten Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen, Fakultäten, Instituten und den zuständigen Beauftragten. „Zur studentischen Enthinderungsberatung bestand ein guter Kontakt. Die Zusammenarbeit mit der Allgemeinen Studienberatung und der Psychologischen Beratung verläuft reibungslos und ist sinnvoll“, heißt es etwa im Bericht zur Lage der Studierenden mit Behinderungen für 2018 an das HU-Präsidium. Ein solcher jährlicher Bericht ist nach dem Berliner Hochschulgesetz vorgeschrieben - auch das ein Ansporn, bei der Barrierefreiheit wirklich voranzukommen.

Dabei gibt es immer wieder neue Impulse, möglichst die ganze Uni mitzunehmen. So wurde 2017 das Projekt „Barrierefrei Studieren“ ins Leben gerufen. Es ist Teil des Gesamtprojektes „Vielfalt der Studierenden“ und soll dem Thema Behinderung „zu mehr öffentlicher Präsenz an der HU und darüber hinaus verhelfen“. Ein Ziel ist es, Hochschulmitarbeitende für die Bedürfnisse und Rechte von betroffenen Studierenden zu sensibilisieren und Studierende untereinander zu vernetzen - „im Sinne von Empowerment“.

Nicht nur sichtbare körperliche Beeinträchtigungen werden berücksichtigt

Dazu gehört auch, dass Erstsemester in den Einführungsveranstaltungen selbstverständlich auf die vom Studierendenservice und vom Refrat angebotenen Beratungen hingewiesen werden. Welche Art der Unterstützung ihnen zusteht, ist allerdings eine Wissenschaft für sich. Nicht nur sichtbare körperliche Beeinträchtigungen werden berücksichtigt, auch psychische und sonstige gesundheitliche Einschränkungen oder chronische Erkrankungen - jeweils auf Grundlage eines fachärztlichen Gutachtens oder Attests.

Abiturienten oder beruflich Qualifizierte, die an der HU (wie an jeder Berliner Hochschule) studieren wollen, können einen Härtefallantrag stellen, um bevorzugt zugelassen zu werden. Wer schon studiert und Schwierigkeiten hat, Prüfungsleistungen zu erfüllen, kann einen Nachteilsausgleich beantragen: Die Universität gewährt beispielsweise eine längere Schreibzeit für Klausuren oder Hausarbeiten, bietet einen separaten Raum für das Schreiben einer Klausur oder alternativ eine mündliche Prüfung an. Solche Nachteilsausgleiche gab es an der HU 2018 in 190 Fällen - fast ein Drittel mehr als im Vorjahr.

Auch Integrationshilfen, für Studierende ebenso wie für Beschäftigte, bewilligt die Humboldt-Uni. Das Geld dafür kommt aus einem Topf der Senatsverwaltung von derzeit 750 000 Euro im Jahr. Bezahlt werden davon etwa Studienassistenzen und Gebärdensprachdolmetscher. Viele schwerbehinderte Beschäftige haben darüber hinaus eine behinderungsgerechte Arbeitsplatzausstattung mit elektromotorisch höhenverstellbaren Schreibtischen, spezieller Hard- und Software.

Vor einiger Zeit hat das Integrationsamt auf Antrag des Arbeitgebers sehr viele solcher Arbeitsplatzausstattungen gefördert. Jetzt müssen Schwerbehinderte dies selbst bei der Arbeitsagentur oder bei ihrer Rentenversicherung beantragen. Dieser Weg sei für die Antragsteller oft schwieriger und schrecke einige ab, sagt Elke Graupner. „So kann nicht mehr allen Beschäftigten wirkungsvoll geholfen werden. Das betrifft insbesondere diejenigen, die keinen Dauerarbeitsvertrag haben.“

Doch trotz der Kämpfe, die sie selber als Schwerbehinderte und als Vertrauensperson für die Belange von Menschen mit Behinderungen zu bestehen hat: An der Humboldt-Universität gebe es gute Voraussetzungen dafür, „dass sich schwerbehinderte Menschen vollumfänglich in ihrem Beruf durchsetzen können“. Sie erlebe „sehr viele, die sich mit hoher Motivation wettbewerbsfähig in den universitären Prozess einbringen“, sagt Graupner. Gelebte Inklusion an einer Institution wie der Humboldt-Uni bedeute, „dafür permanent die Voraussetzungen zu gewährleisten“.

Dazu verpflichte auch das humanistische Erbe der Brüder Humboldt. Elke Graupners Fazit: „In diesem Sinne liegen - bei allem bisher Erreichten - noch viele Aufgaben vor uns.“

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