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Radfahren ist was für Mutige, in vielen Teilen der Stadt.

© Britta Pedersen/dpa

Update

Initiative stellt Gesetzentwurf vor: Senat und Wirtschaft lehnen Rad-Volksentscheid ab

Radfahrer wollen nicht länger Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse sein. Der Senat ist skeptisch. Bezirke wie Spandau und Pankow sind sich uneins.

Der nächste Volksentscheid rollt auf Berlin zu, auf zwei Rädern, um im Bild zu bleiben. Die Macher des „Volksentscheid Fahrrad“ stellten im Mercure-Hotel Moabit ihren Entwurf zum „Berliner Radverkehrsgesetz (BerRG)“ vor und gleichzeitig zur öffentlichen Diskussion. Kommentare und Verbesserungsvorschläge sind willkommen, die „erste Lesung“ der Online-Debatte endet am 3. März. Ab Mai sollen Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens gesammelt werden.

Senat und Wirtschaft lehnen den Volksentscheid ab. „Maximalforderungen aufzustellen, die nicht umgesetzt werden können, hilft niemandem“, erklärte Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD). Verkehrsplanung per Gesetz sei der falsche Weg. Zugleich erklärte Gaebler: „Viele Vorschläge der Initiative finden sich bereits in der Radverkehrsstrategie des Landes Berlin wieder. Berlin investiert spürbar und sichtbar in den Radverkehr.“

"Aus Sicht der IHK schießt der Volksentscheid über das Ziel hinaus, insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene planerische Bevorzugung von Radwegen", erklärte Melanie Bähr, stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführerin. Alle Beteiligten sollten miteinander über eine innovative und bestmögliche Aufteilung des begrenzten Raumes sprechen und nicht die Interessen eines einzelnen Verkehrsmittels per Gesetz durchsetzen.

Was sagen die Baustadträte in den Bezirken?

In den Bezirken stößt das Vorhaben auf unterschiedliche Reaktionen. Während sich in Pankow Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) die Umwidmung von Auto- in Radfahrspuren vorstellen kann, appellieren seine Kollegen Carsten Röding (CDU) aus Spandau und Marc Schulte (SPD) aus Charlottenburg-Wilmersdorf für eine ausgeglichene Berücksichtigung der Interessen aller Verkehrsteilnehmer.

Damit die Radfahrer adäquaten Platz bekommen, müssen die Radwege breit genug und deutlich abgegrenzt vom Autoverkehr sein, betont Jens-Holger Kirchner. Das fordern auch die Volksentscheid-Initiatoren. Es gelte auch, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren wie beispielsweise in der Schönhauser Allee, wo die Radwege auf dem Gehsteig statt auf der Fahrbahn angelegt wurden, sagte Kirchner. Im Zweifel will er lieber zugunsten der Radler noch die eine oder andere Autospur wegnehmen und Parkplätze vor Bahnhöfen in Fahrradstellplätze umwandeln. Kirchner wünscht sich auch, dass die Straßenverkehrsordnung zugunsten von Radfahrern geändert wird. Das Parken von Fahrzeugen auf Radwegen beispielsweise sei ein Ärgernis.

Im "Fahr-Rat" werden aktuelle Probleme besprochen

„Ein Miteinander ist besser als ein Gegeneinander, die Berücksichtigung verschiedener Sichtweisen führt eher zu einem Konsens“, sagt Marc Schulte. Bürgerbegehren, die eine größere Berücksichtigung der Fußgänger oder eine Sanierung der Fahrbahnen fordern, würden auch eine Mehrheit bekommen. Es sei „richtig und gut“, dass die Initiative für ein „Berliner Radverkehrsgesetz“ die Belange der Radfahrer in Erinnerung rufe, man müsse sich aber auch darüber klar sein, dass es zu Kürzungen in anderen Bereichen führen würde.

Charlottenburg-Wilmersdorf ist aus seiner Sicht gut aufgestellt und hat einen „Fahr-Rat“ mit allen Betroffenen gebildet, in denen aktuelle Fragen konstruktiv diskutiert würden. Alle Einbahnstraßen in Charlottenburg-Wilmersdorf wurden begangen, um zu sehen, welche davon für Radfahrer freigegeben werden können. Während der Bezirk über gute West-Ost-Verbindungen für Radler verfügt, gibt es in Nord-Süd-Richtung noch einige Nadelöhre, die größere Investitionen erfordern.

Budget für die Wege-Unterhaltung reicht nicht

„Gute Verkehrspolitik ist eine Verkehrspolitik für alle Verkehrsteilnehmer und nicht dafür, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen“, sagt Carsten Röding in Spandau. „Die meisten Menschen sind Fußgänger, besitzen ein Fahrrad aber auch ein Auto und fahren gelegentlich mit dem Bus.“ Was die Qualität der Radwege betrifft, gebe es aufgrund der Unterfinanzierung bei der Instandsetzung einen Investitionsstau. Die Sonderprogramme des Senats würden auch nicht ausreichen. „Es liegt vieles im Argen“, so der Stadtrat.

Zum Teil stammen die Spandauer Radwege noch aus den 80er Jahren und sind durch eine drei Zentimeter hohe Kante vom Gehweg abgesetzt. So dürfte man heute nicht mehr bauen, weil Radfahrer stürzen könnten. Doch der Rückbau dieser Gefahrenstellen dauert. Immerhin konnten die Falkenseer Chaussee und ein Teilabschnitt der Ruhlebener Straße in Angriff genommen werden. In einigen Bereichen verlaufen die Radwege sehr dicht an den Straßenbäumen, dort brechen die Wurzeln das Pflaster auf. „Wir können die Straßen deshalb aber nicht baumfrei machen“, so der Stadtrat. Auch gelte es, die Belange der Fußgänger zu berücksichtigen. Und der Parkdruck in manchen Bereichen erlaube es nicht, Radfahrstreifen zu markieren.

Nicht überall gibt es eine gute Lösung für Radfahrer

Auch in Tempelhof-Schöneberg gebe es einen „Fahr-Rat“, so Stadtrat Daniel Krüger (CDU). „Auf dem Straßenzug Tempelhofer Damm – Mariendorfer Damm als Hauptverkehrs- und Einkaufsstraße mit Lieferverkehr und Zweitspurparkern wird es keine befriedigende Lösung für den Fahrradverkehr geben“, sagt Krüger. Deshalb wurde ein Nebenroutenkonzept für den Bezirk verabschiedet. Darin ist festgelegt, welche Strecken in den nächsten Jahren zu ertüchtigen sind. Relativ viel wurde im nördlichen Bereich des Bezirks gebaut, so ist der Radweg Berlin-Leipzig in großen Teilen umgesetzt.

Umstritten ist die Begegnungszone Maaßenstraße, wo versucht wurde, die Konflikte zwischen Fußgängern, Radfahrern und Straßengastronomie zu lösen. Die Erfahrungen will das Bezirksamt nach dem kommenden Sommer auswerten. Die Idee einer „Radbahn“-Trasse unter dem Viadukt der U1 hält Krüger zwar für „rührig“, doch in der Realisierung nicht nur wegen der notwendigen Finanzierung für „schwierig“.

Oslo gibt 70 Euro pro Einwohner aus, Berlin vier

Die Initiatoren des Volksentscheids betonen, ihr Vorhaben richte sich weder gegen Autofahrer noch gegen den öffentlichen Nahverkehr. Das Ziel sei, den Radfahrern einen angemessenen Anteil vom Verkehrsbudget und dem Flächenangebot der Stadt zu sichern. Bislang gebe Berlin mit 3,80 Euro pro Einwohner im Vergleich zu Städten wie Oslo (70,30 Euro) oder Kopenhagen (21,40 Euro) nur ein Bruchteil seiner Investitionsmittel für den Radverkehr aus.

Heinrich Strößenreuther von der Initiative Clevere Städte – neben Verkehrsclub Deutschland, BUNDjugend und Fahrradfreundliches Neukölln eine der Gruppen, die den Volksentscheid tragen – erklärte, der Gesetzentwurf sei "keine radikale Utopie", sondern gemäßigt und vernünftig, um das Miteinander der Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Die Kosten für den geforderten Umbau von Straßen und Kreuzungen entsprächen etwa dem finanziellen Aufwand für einen Kilometer Ausbau der Stadtautobahn A 100, also rund 150 Millionen Euro.

Pinsel und Farbe reichen oft schon

„Vieles lässt sich einfach mit Pinsel und Farbe machen“, sagte Strößenreuther. Bis zum April werde man eine "seriöse Kostenschätzung" vorlegen, genau wie der Senat. Beim Mieten-Volksentscheid, der noch vor der zweiten Verfahrensstufe durch Verhandlungen mit dem Senat abgewendet wurde, hatten sich Verwaltung und Initiatoren über die Kosten des Gesetzentwurfs heftig gestritten. Auch Strößenreuther und Feldkamp scheinen nicht abgeneigt, mit dem Senat über die Ziele des Volksentscheids zu verhandeln. "Es ist auch ein Signal an die Politik. Mit Verkehrskonzepten kann man Wahlen gewinnen."

Zum Gesetzentwurf des Fahrrad-Volksentscheids sind Kommentare und Vorschläge erwünscht: https://gesetz.volksentscheid-fahrrad.de

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