zum Hauptinhalt
Luisa Dellert startete als Fitnessbloggerin, um im Netz ihre Abnehmerfolge zu zelebrieren.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Influencerin Luisa Dellert: Instagram-Einsatz für Nachhaltigkeit und Selbstliebe

Louisa Dellert begeistert ihre Follower auf Instagram für Politik. Für Interviews trifft sie auch Cem Özdemir (Grüne) oder Christian Lindner (FDP).

Es ist bereits das zweite Mal an diesem Morgen, dass Louisa Dellert am Bundestag und der Spree vorbeikommt – dabei ist es gerade einmal 9 Uhr. Zwei Stunden zuvor hat sie mit ihrer Mitbewohnerin eine Sporteinheit im Regierungsviertel eingelegt, ihre WG liegt direkt um die Ecke.

Der Sport ist ein Überbleibsel ihres alten Lebens, das die Influencerin nach wie vor mit ihren mehr als 385 000 Abonnenten auf Instagram teilt. Nur mache sie das heute nicht mehr, um ihre Abnehmerfolge zu dokumentieren, sondern um den Kopf für den Tag frei zu kriegen.

Während andere Influencer für Kosmetikprodukte und Duftkerzen werben, ist für Dellert das Regierungsviertel zu ihrem Arbeitsplatz geworden. Dort führt sie Interviews mit Politikern wie FDP-Chef Christian Lindner und Cem Özdemir (Grüne) oder befragt vor dem Bundestag Demonstrationsteilnehmer zu ihrer Kritik an den Corona-Regeln der Bundesregierung.

Ihre Beiträge sind in der Regel leicht bekömmlich und frei Schnauze – Politik für jedermann sozusagen und das kommt bei ihren Fans gut an. Um dieses Angebot auszubauen, hat Dellert vor einigen Wochen ihren Lebensmittelpunkt von Braunschweig nach Berlin verlegt und scheint ihren Schritt nicht zu bereuen: „Ich habe mich selten so wohl gefühlt in einer Stadt“, sagt sie.

Dellert, die am liebsten von allen nur „Lou“ genannt wird, knüpft damit an einen Wandel an, der sich in dieser Form nur selten auf Instagram beobachten lässt. Nach einer Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation startete sie vor mehr als fünf Jahren als Fitnessbloggerin und ließ sich von Firmen bezahlen, denen Profit oftmals wichtiger als Umweltschutz war. Irgendwann habe sie das nicht mehr glücklich gemacht. Sie wollte ihre Reichweite sinnvoller nutzen.

„Sinnfluencerin" titeln Medien über sie

Seit etwa zwei Jahren drehen sich ihre Inhalte deshalb um Nachhaltigkeit, Politik und Selbstliebe. Sie ist Influencerin, Aktivistin, Podcasterin, Buchautorin. „Sinnfluencerin“ titeln Medien heute über sie. Die 30-Jährige gehört damit zu einer allmählich größer werdenden Gruppe von Influencern, die gesellschaftliche und politische Fragen auf die sonst eher seichte Plattform bringen.

Neben Dellert zählen dazu unter anderem Madeleine Daria Alizadeh alias „Dariadaria“, die sich mit fairer Mode und Politik beschäftigt, Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, oder auch Autorin Sophie Passmann. Bei allen Unterschieden eint sie, dass sie zur politischen Meinungsbildung ihrer Follower beitragen.

[Drinnen, draußen und drumherum: Der Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint liefert täglich Ideen, um Berlin neu zu entdecken. Kompakt und kostenlos: checkpoint.tagesspiegel.de]

Dellert nehme inzwischen nur noch Kooperationen an, mit denen sie sich identifizieren könne – auch, wenn das finanzielle Einbußen bedeute. Dazu zählen unter anderem bezahlte Beiträge für einen Ökostromanbieter, Ministerien oder Nichtregierungsorganisationen. Nebenbei betreibt sie einen Shop für nachhaltige Produkte.

Für viele ihrer Videos, in denen sie Experten zu gesellschaftlichen Entwicklungen befragt, bekommt Dellert nach eigenen Angaben kein Geld. „Ich mache das in erster Linie, weil ich selbst verstehen will, was politisch in unserem Land passiert und das möchte ich mit meinen Followern teilen“, sagt sie.

Im Juni bezieht sie eine eigene Wohnung

Weil sie sowieso immer häufiger in Berlin war, entschied sie sich dazu umzuziehen und nicht mehr zu pendeln. Die WG im Regierungsviertel ist eine Zwischenstation, im Juni bezieht sie eine eigene Zwei-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg. „Ich glaube, es ist förderlich, die Politikblase nach Feierabend zu verlassen“, sagt sie.

Neben ihrem neuen Kiez genießt sie ihre Freizeit gerne auf der Wiese am Hackeschen Markt mit Blick auf den Berliner Dom. Dort kommt es auch schon mal vor, dass sie über ihre berufliche Zukunft sinniert. Wie lange sie mit Instagram weitermachen will, weiß Dellert noch nicht genau. Sie interessiere sich für Journalismus und Moderation, schließt aber auch einen Job in einem Ministerium nicht aus. „Was meinen Beruf und meinen Wohnort betrifft, bin ich eher unbeständig“, sagt sie.

Da auch sie durch die Coronakrise mehr Zeit als sonst hat, bereite sie sich schon jetzt auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr vor und arbeite an neuen Formaten. Inzwischen haben neben Unternehmen auch viele Politiker und Organisationen erkannt, wie groß der Einfluss von Menschen wie Dellert ist und wie viele potenzielle Wähler sie darüber erreichen können – vor allem die jungen. Allen Wünschen und Bitten komme die Unternehmerin aber nicht mehr nach.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Sie versuche abzuwägen, welche Inhalte zu ihr passen und was sie selbst gerade interessiert. Unterstützung erhält sie bei der Planung von einer Mitarbeiterin, die ihre Anfragen und Termine koordiniert – eine befreundete Journalistin helfe gelegentlich bei der Recherche. „Ich muss mich ja inhaltlich absichern und natürlich stehe ich regelmäßig unter Beschuss, mich zu sehr für eine Partei zu engagieren. Recht machen kann ich es sowieso nicht allen, aber ich versuche darauf zu achten, möglichst ausgeglichen zu berichten“, sagt Dellert.

Persönlichen Attacken mit Satire begegnen

Momentan beschäftige sie sich verstärkt mit Verschwörungstheorien, die im Zuge der Coronakrise im öffentlichen Diskurs eine große Rolle spielen. Dabei muss sie viel Kritik einstecken und ist massiven Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Alles hinschmeißen, will sie deshalb nicht, sondern lieber mit Aufklärung entgegenwirken. „Persönlichen Attacken versuche ich meistens mit Satire zu begegnen und es nicht zu nah an mich heranzulassen. Trotzdem merke ich an solchen Tagen, wie anstrengend es ist, sich täglich mit mehr als 385 000 unterschiedlichen Meinungen auseinanderzusetzen“, sagt sie.

Im Umgang mit Kritik ist Dellert stärker geworden, seit sie im vergangenen Jahr einem wochenlangen Shitstorm ausgesetzt war, nachdem sie ihre Follower um finanzielle Unterstützung für eine Bahncard gebeten hatte, die sie unter anderem zu ihren beruflichen Terminen nach Berlin bringen sollte.

Für viele passte dieser Spendenaufruf nicht zu dem Bild, das sie von einer vermeintlich gutverdienenden Influencerin hatten. Dellert hingegen steht noch heute zu ihrer Entscheidung, denn sie habe zum damaligen Zeitpunkt die Hilfe benötigt.

Ihre Abonnenten schätzen die 30-Jährige für ihre offene Art und dafür, dass sie neben politischen Inhalten, auch viel Privates von sich preisgibt. Nicht selten zeigt sie sich freizügig auf ihrem Profil, um für mehr Selbstliebe und Akzeptanz des eigenen Körpers zu werben, in ihrem Podcast spricht sie offen über das Thema Liebeskummer, der es ihr die ersten Wochen nach dem Umzug nicht leicht gemacht habe. „Ich hatte bis Ende 2019 einen Freund in Berlin und zu Beginn hat mich eigentlich alles an ihn erinnert.“

Mittlerweile sei sie wieder offen für eine neue Beziehung. Leicht falle ihr die Partnersuche jedoch nicht: „Viele Singles sind eher unverbindlich unterwegs und das ist nicht mein Fall“, sagt sie. Am liebsten würde sie jemanden kennenlernen, der nichts mit Instagram zu tun hat und mit dem sie sich abends trotzdem über Politik streiten kann. Eine Beziehung mit regelmäßigen Foto-Posting bei Instagram würde sie jedenfalls nicht wieder führen.

Kristin Hermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false