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Viele Pflegekräfte wechseln zu Leih- und Zeitarbeitsfirmen und werden von denen als Leasingkräfte in Heime und Kliniken entsandt.

© Tom Weller/dpa

Exklusiv

In Berlins Krankenhäusern fehlen Pflegekräfte: Kliniken wütend auf Leiharbeitsfirmen

Fast 90 Prozent der Intensivbetten sind voll - die Kliniken brauchen Pflegekräfte von Leiharbeitsfirmen. Doch die haben Angst vor Infektionen.

In Berlin verschärft sich die Personalnot in der Pflege. Während die Zahl der Covid-19-Patienten steigt, können die Kliniken weniger Fachkräfte für die entsprechenden Stationen rekrutieren. Denn Krankenhäuser sind oft auf Leasing-Mitarbeiter angewiesen – die drohen nun auszufallen.

Nach Tagesspiegel-Informationen gehören in Berlin vielerorts bis zu 20 Prozent der in einer Schicht eingesetzten Pflegekräfte zu Leih- und Zeitarbeitsfirmen. Einige dieser Agenturen wollen nicht, dass ihre Pflegekräfte auf Stationen arbeiten, in denen Gefahr besteht, sich mit Sars-Cov-2 zu infizieren. Ärzte und Pflegedienstleiter berichteten, einzelne Leasingkräfte hätten auch von sich aus gesagt, sie wollten nicht (mehr) auf einer Covid-19-Station eingesetzt werden. Buchungen würden öfter „äußerst kurzfristig“ storniert.

Nach Senatsangaben sind Berlins Intensivstationen zu fast 90 Prozent ausgelastet. Von offiziell 1217 Intensivbetten sind 1130 belegt. Der Anteil der Coronavirus-Patienten liegt dabei mit 362 Patienten bei circa 30 Prozent. Zudem werden 1000 weitere Covid-19-Patienten stationär versorgt, ohne dass sie auf eine Intensivstation gemusst hätten.

Die meisten Covid-19-Patienten Berlins werden von den landeseigenen Vivantes-Kliniken versorgt, dort häuften sich entsprechende Absagen zugebuchter Pflegekräfte. Sechs Firmen fielen den Direktoren einzelner Vivantes-Häuser auf; die Leiharbeitsunternehmen waren am Wochenende so kurzfristig nicht erreichbar.

Man wolle zwar hausinternes Personal einsetzen, teilte eine Vivantes-Sprecherin auf Anfrage mit: „Aufgrund der angespannten Personalsituation ist der Ausfall von Pflegepersonal jedoch häufig nur durch den Einsatz von Leasingkräften zu kompensieren.“ Zudem komme es vor, „dass Leasingkräfte für Covid-Stationen entweder nicht vermittelt werden oder diese sehr kurzfristig ihren Dienst nicht antreten“. Zugleich würde Stammpersonal zu Leasingfirmen wechseln, da dort bei ähnlichen Löhnen eher die jeweiligen Wunscharbeitszeiten gewährt werden könnten. Vivantes zeigt bei Buchungen nun explizit an, ob es um eine Schicht auf einer Station mit Coronavirus-Patienten geht.

Vivantes und Charité versorgen schwere Covid-19-Fälle

Neben Vivantes kümmert sich in Berlin vor allem die ebenfalls landeseigene Charité insbesondere schwerste Covid-19-Fälle. An der Universitätsklinik hatte es schon in den vergangenen Jahren eine Debatte um den Einsatz zugebuchter Pflegekräfte gegeben. Auf den Covid-19-Stationen arbeitete seit dem Frühjahr nur hauseigenes Pflegepersonal, sagte ein Charité-Sprecher auf Anfrage, aufgrund der hohen Fallzahlen würden nun zusätzlich Leasingkräfte eingeplant. Auftragsrückgaben von Leiharbeitsfirmen habe es dabei noch nicht gegeben. Leasingkräfte sind meist über ihre Firmen versichert. Grundsätzlich gehören Infektionsrisiken aus Versicherungssicht zum Berufsalltag im Gesundheitswesen.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte die Leiharbeit in der Pflege durch eine Bundesratsinitiative stoppen wollen.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte die Leiharbeit in der Pflege durch eine Bundesratsinitiative stoppen wollen.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Vivantes und Charité sind Teil des „Save“-Konzepts des Berliner Senats, das im Kampf gegen das Coronavirus für Kliniken mit Intensivstationen entwickelt wurde und die Krankenhäuser in drei „Levels“ einteilt. Die Charité behandelt als Level I die allerschwersten Fälle. Level II sind 16 Kliniken, darunter die großen Vivantes-Kliniken, wo auch leichtere Covid-19-Patienten versorgt werden.

Bis 2030 braucht Berlin 10.000 Pflegekräfte mehr

Auch in Brandenburgs Kliniken fehlt Personal. Wie berichtet sind gerade die Krankenhäuser in der Lausitz überlastet. Im Landesgesundheitsministerium wird erwogen, Covid-19-Fälle nicht mehr in 26 Kliniken zu konzentrieren, sondern auf die mehr als 50 Krankenhäuser in Brandenburg zu verteilen. In der gesamten Region appellierten Kliniken an ehemalige Pflegekräfte sowie Teilzeit-Mitarbeiter, sich für Noteinsätze zu melden.

Einer 2019 veröffentlichten Analyse der Bundesagentur für Arbeit zufolge gibt es in der Krankenpflege in Deutschland 22.000 Leiharbeitnehmer, in der Altenpflege sind es 12.000; in Berlin-Brandenburg dürften es zusammen etwa 4000 Leasingkräfte sein. Zeitarbeitsfirmen, die auf Pflegekräfte spezialisiert sind, hatten schon im März, als die Pandemie auch Deutschland erreichte, wachsende Nachfrage erwartet. Nachdem der Berliner Senat im März verfügte, planbare Behandlungen zu verschieben, und zudem die Neuinfektionen seit Mai stetig abnahmen, wurden dagegen kaum Leasing-Pflegekräfte gebraucht.

Senatorin Kalayci will Leasing in der Pflege stoppen

Mehr als 40.000 Pflegekräfte sind in Berliner Kliniken, Heimen und ambulanten Diensten tätig, ausgebildetes Personal gibt es jedoch mehr. Zahlreiche Studien haben deutlich gemacht, dass viele Pflegekräfte nach einigen Jahren den Job wechseln. Als Gründe dafür geben sie Zeitdruck, Wechselschichten und geringe Löhne an. Angesichts der wachsenden und alternden Bevölkerung werden Schätzungen zufolge allein in Berlin in den nächsten zehn Jahren zusätzlich 10.000 Fachkräfte gebraucht.

Weil Leasingkräfte schlechter einzuplanen seien, weil sie sich auf dem Pflegemarkt bestimmte Schichten und Stationen „herauspicken“ könnten, plante Berlins Senat eine Bundesratsinitiative. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ließ sie im März in den Bundesrat einbringen. Dort wurde das Papier in die Ausschüsse überwiesen, die in der Coronakrise pausieren.

Der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister hatte dagegen erklärt, Zeitarbeit in der Krankenpflege sei 2018 sogar rückläufig gewesen, zudem wechsele das Personal eben wegen der besseren Arbeitsbedingungen zu Leasing-Firmen.

Die Vorstände von Charité und Vivantes haben wegen der Personalnot harte Lockdown-Regeln gefordert. Vor zwei Wochen hatten Vivantes-Ärzte erwogen, für eines der größten Krankenhäuser Deutschlands einen Aufnahmestopp zu verhängen. Die Neuköllner Vivantes-Klinik, dessen Notaufnahme zu den wichtigsten der Hauptstadtregion zählt, versorgt auch viele Covid-19-Fälle. Sieben weitere Krankenhäuser verschiedener Träger meldeten, dass ihre Intensivstationen ausgelastet seien.

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