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 Der Impfstoff gegen das Variella-Zoster-Virus.

© Getty Images/iStockphoto

Impfung gegen Gürtelrose: Wenn das Virus erwacht

Da die Bevölkerung altert, nehmen auch die Fälle von Gürtelrose zu. Der Erreger kann seit Kindertagen im Körper schlummern. Inzwischen ist die Schutzimpfung Pflichtleistung der Kassen. Mediziner sind überrascht, wie wirksam sie ist.

Varizella Zoster ist geduldig. Nach einer durchgemachten Windpockenerkrankung schlummert das Virus jahrzehntelang in den Nerven des Hirns oder Rückenmarks eines Menschen und wartet auf seine Chance. Die bietet sich, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Krankheitsbedingt, durch Medikamente, Stress oder Traumata – oder einfach im Alter, wenn die Abwehrfunktionen unseres Körpers an Vehemenz verlieren.

Dann vermehren sich die Viren und wandern entlang des Nervenstrangs nach außen an die Hautoberfläche. Abhängig davon, welche Körperregion der entsprechende Nerv versorgt, zeigt sich dort ein gürtelförmiger, geröteter Ausschlag. Besonders häufig betroffen sind Rumpf und Brustkorb. Die kleinen Bläschen schmerzen stark, einige Patienten klagen auch über einen schlimmen Juckreiz. Herpes Zoster, umgangssprachlich Gürtelrose, lautet der Name dieser Erkrankung.

Therapeutisch bekommen Mediziner sie meist gut in den Griff, vorausgesetzt, sie wird früh erkannt und behandelt. Doch die Gürtelrose ist aus zwei Gründen gefürchtet: Zum einen kann sie überall am Körper auftreten und im schlimmsten Fall zu Gesichtslähmungen oder Erblindung führen. Bei besonders immunschwachen Menschen kann das Varizella-Zoster-Virus die inneren Organe befallen. Zum anderen hinterlässt es mitunter bleibende Spuren: die postzosterische Neuralgie oder postherpetische Neuralgie. Diese oft extrem starken Nervenschmerzen sind vermutlich Folge einer Schädigung des Nervs durch Varizella Zoster. Weil die Gürtelrose vor allem bei älteren Menschen auftritt und die Gesellschaft in der Bundesrepublik altert, steigt auch die Zahl der Betroffenen. Experten gehen derzeit von rund 350 000 Patienten pro Jahr aus. Von einer Volkskrankheit zu sprechen, ist nicht übertrieben.

Ein Impferfolg, mit dem Fachleute nicht gerechnet haben

Hoffnung setzen die Ärzte auf eine neue Impfung gegen Herpes Zoster. Der unter dem Namen Shingrix vertriebene Totimpfstoff ist seit diesem Frühjahr für alle Versicherten ab 60 Jahren eine Pflichtleistung der Krankenkassen. Menschen mit einer Grundkrankheit oder einem geschwächten Immunsystem können die Impfung bereits ab 50 Jahren erhalten. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss auf Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut (RKI) beschlossen. Die Datenlage, sagen Experten der Stiko, sei eindeutig und der Nutzen der Impfung immens. „Die Studien haben einen Impferfolg gezeigt, mit dem selbst Fachleute nicht gerechnet haben“, sagt Hartmut Hengel, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Offenbar handelt es sich um eine sehr glückliche Kombination aus einem Antigen und einem Verstärker, einem sogenannten Adjuvans.“

Ob und wann eine Auffrischimpfung nötig ist, wird noch erforscht. Aus den bisher vorliegenden Studiendaten lässt sich dem RKI zufolge schließen, dass die Wirksamkeit innerhalb von vier Jahren nur leicht abgenommen hat, es fehlen allerdings noch Langzeitbeobachtungen. Untersuchungen des Impfstoffs würden jedoch darauf hindeuten, dass die Wirkdauer über die bisher in den Studien belegte Schutzdauer hinausreichen werde.

Und wie sicher ist der neue Impfstoff? „Der Wirkstoff ist in den Zulassungsstudien an mehr als 20 000 Menschen getestet worden, dort sind keine schwerwiegenden Nebenwirkungen festgestellt worden“, sagt Hengel, der am Paul-Ehrlich- Institut, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, als wissenschaftlicher Beirat fungiert. Was nicht heißt, dass es solche Nebenwirkungen nicht geben kann. Sie könnten nur so selten sein, dass sie bisher noch bei keinem Geimpften aufgetreten sind.

Ein gewünschter Effekt, der unerwünschte Nebenwirkungen haben kann

Die Impfung hat allerdings eine hohe Immunogenität. Das heißt, sie kann eine Reaktion des Immunsystems auslösen. Das ist ein gewünschter Effekt, der jedoch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Dazu gehören neben Rötungen und Juckreiz an der Einstichstelle auch Kopf- und Muskelschmerzen, Unwohlsein, Fieber und Magen-Darm-Beschwerden. „Das klingt aber alles nach ein bis zwei Tagen wieder ab“, sagt Günther Schönrich, stellvertretender Direktor des Instituts für Virologie an der Charité. Er hält diese Impfreaktionen für vertretbar im Vergleich zu einer durchgemachten Gürtelrose. „Das kann, abhängig davon, wo es auftritt, sehr unangenehm und schmerzhaft werden“, sagt Schönrich. Hinzu kommt: Wer einmal eine Gürtelrose überstanden hat, ist nicht etwa immun. Es kann jederzeit zu einem neuen Ausbruch des Varizella-Zoster-Virus kommen. „Die neue Totstoffimpfung kann die Gürtelrose in neun von zehn Fällen verhindern“, sagt Schönrich, „sie ist also durchaus eine sinnvolle und empfehlenswerte Präventionsmaßnahme.“

Mit jeder Gürtelrose steigt das Risiko für eine postzosterische Neuralgie. „Die Betroffenen leiden unter einer oft sehr starken Einschränkung ihrer Lebensqualität, im schlimmsten Fall so sehr, dass sie durch die Schmerzen schwere Depressionen entwickeln“, sagt der Freiburger Virologe Hengel. Dass die Schmerzen chronisch werden, ist häufiger bei älteren Gürtelrose-Patienten als bei jüngeren der Fall. Die postzosterische Neuralgie wird in der Fachliteratur uneinheitlich definiert, sodass die Zahl der Betroffenen in den Studien entsprechend variiert. Hartmut Hengel geht davon aus, dass zehn bis zwanzig Prozent der Patienten, die eine Gürtelrose haben, die schmerzhafte körperliche Erinnerung daran behalten.

[ Weitere Informationen online beim Robert-Koch-Institut unter www.rki.de]

Es gibt womöglich noch einen anderen Schutz vor der Gürtelrose als die neue Totstoffimpfung für Ältere: die Windpockenimpfung im Kindesalter. Wer erstmalig mit dem weltweit vorkommenden Varizella-Zoster-Virus in Kontakt kommt, erkrankt nämlich an Windpocken. Das geschah – bislang – meist in ganz jungen Jahren, da das Virus hochansteckend ist und per Tröpfcheninfektion übertragen wird. Experten gehen davon aus, dass nahezu jeder Mensch infiziert ist. Durch die seit 15 Jahren von der Stiko empfohlene Windpockenimpfung sind die Erkrankungszahlen allerdings massiv zurückgegangen – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken.

Sind die Windpocken ausgeheilt, ziehen sich die Viren in die Wurzeln von Hirn- oder Rückenmarksnerven zurück und harren dort aus, solange der Mensch lebt. Bei sich bietender Gelegenheit schlagen sie erneut zu: Ihr Wirt erkrankt an der Gürtelrose. Übrigens kann eine solche Virusvermehrung völlig symptomlos ablaufen, wenn das Immunsystem des Betroffenen die Viren in Schach halten kann.

Die Impfempfehlung der Stiko zu Windpocken ist durchaus umstritten. Kritiker sehen die Windpocken als harmlose Kindererkrankung. Befürworter halten entgegen, dass geimpften Kindern die mitunter schwere Infektion erspart bleibt. Und: Wer erst als Erwachsener die Bekanntschaft des Varizella-Zoster-Virus macht, erlebt meist einen deutlich schwereren Krankheitsverlauf. Die Windpockenimpfung kann nicht nur vor der Ersterkrankung – den Windpocken –, sondern ein Stück weit auch vor der Zweiterkrankung – der Gürtelrose – schützen. Denn das bei der Impfung verabreichte abgeschwächte Lebendvirus besitzt eine geringere Fähigkeit, sich später zu reaktivieren und so möglicherweise eine Gürtelrose auszulösen. „Kurz zusammengefasst: Wenn ich gegen Windpocken geimpft bin, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich später im Leben an Gürtelrose erkranke, deutlich geringer, aber nicht null“, sagt Hartmut Hengel. Wie stark dieser Zusammenhang tatsächlich ist, wird sich aber erst in einigen Jahrzehnten zeigen.

Claudia Füssler

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