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Immer weniger Wohnraum: Schwedt - eine Stadt schrumpft

Die Zukunft liegt im Kleinen: Im brandenburgischen Schwedt wurden seit der Wende tausende Wohnungen abgerissen. Jetzt entstand der erste Neubau in der Oderstadt – eine echte Attraktion für ihre Bewohner.

Die große Neugier vieler Schwedter auf den neuen Wohnblock an der Oder wirkt für den Besucher von außerhalb etwas überraschend. Schließlich sieht das neue mehrstöckige Gebäude mit Balkonen und einem Restaurant im Erdgeschoss keineswegs ungewöhnlich aus. Und dennoch bummeln Schwedter in diesen Tagen häufig zum Haus neben dem 1978 gebauten Theaterkoloss. „Die wollen sich mit eigenen Augen vom kleinen Wunder überzeugen“, sagt Bürgermeiste Jürgen Polzehl (SPD). „Wir reißen nicht nur ab, sondern bauen auch auf.“ Anders könne er die Einwohner gar nicht in seiner Stadt halten. Schließlich seien die Ansprüche der Menschen an eine Wohnung in den letzten 20 Jahren erheblich gestiegen. 28 Familien können in Kürze in den ersten Neubau seit 1990 einziehen.

Dabei herrscht an Wohnraum in der 100 Kilometer nordöstlich Berlins gelegenen Industriestadt mit der Tag und Nacht brennenden Gasfackelnun wirklich kein Mangel. Im Gegenteil: Abrissbagger halten mit dem Tempo des Wegzugs der Menschen kaum Schritt. In einer bundesweit beispiellosen Dimension verschwinden ganze Stadtviertel, Straßen und Plätze. Zwischen 1999 und 2007 wurden 5000 Plattenbau-Wohnungen abgerissen. Bis 2016 folgen in der zweiten Etappe noch einmal 1 500 Wohnungen. Doch danach ziehen die Abrissfirmen keineswegs ab. Zwischen 2016 und 2025 stehen weitere 2300 Wohnungen auf ihrer Liste.

Auslöser dieses größtenteils aus der Bundeskasse finanzierten und millionenschweren „Stadtumbauprogramms“ ist der dramatische Rückgang der Einwohnerzahlen. Noch 1992 zählte die Stadt 52 000 Einwohner. Die verdienten ihr Geld vor allem im riesigen Petrolchemischen Kombinat (PCK), das Anfang der 60er Jahre seine Betrieb aufnahm, als die Erdölleitung „Freundschaft“ aus der damaligen UdSSR eröffnet wurde. Im Handumdrehen wuchs aus dem eher unbedeutenden und im Krieg zu 85 Prozent zerstörten Ackerbürgerstädtchens eine moderne Industriestadt. Junge Leute aus der ganzen DDR strömten wegen der Aussicht auf eine Wohnung an die Oder. Mitte der Siebziger lag der Altersdurchschnitt bei 27 Jahren, und Schwedt galt als jüngste Stadt der DDR. Rund ein Drittel der Einwohner befand sich im Kindes- und Jugendalter.

Jetzt hat sich die Alterspyramide ins Gegenteil verkehrt. Die in der Stadt noch wohnenden 35 000 Einwohner kommen auf einen Altersdurchschnitt von 47 Jahren. Massenhaft kehrten Jugendliche seit der Wende auf der Suche nach Arbeit ihrer Heimat den Rücken.

Der Trend ist längst nicht gestoppt. „Im früheren PCK arbeiten noch 1100 Menschen, mit den selbstständig gewordenen Firmen kommen wir auf maximal 3500 Beschäftigte“, rechnet Bürgermeister Polzehl. „1990 waren es 8600.“ Hier zeige sich der inzwischen hohe Automatisierungsgrad der Produktion, der auch auf das große Papierwerk in der Stadt zutreffe. Die Firmen brauchten immer weniger Personal. Deshalb hat sich die Schwedter Politik mit dem Schrumpfungsprozess abgefunden. „Mein Traum wäre, wenn wir nicht unter die 30 000-Einwohner-Marke rutschten“, sagt der Bürgermeister. Doch ohne Zuzug ist das nicht zu schaffen, zumal der Betrieb des Theaters, der Schwimmhalle sowie der anderen Kultur- und Sportstätten immer teurer wird.

Seine Hoffnung setzt der SPD-Politiker nicht zuletzt auf die nur 50 Kilometer entfernte Großstadt Stettin. Den polnischen Kunden verdankt Polzehl zufolge das Schwedter Einkaufscenter bereits jetzt 20 Prozent seines Umsatzes. Das städtische Klinikum genieße bei Schwangeren im Nachbarland einen guten Ruf, obwohl sie die rund 2000 Euro teuren Entbindungskosten neuerdings selbst bezahlen müssen. Für die Plattenbauwohnungen interessieren sich die polnischen Nachbarn aber kaum. Höher im Kurs stehen bei ihnen die zahlreichen leer stehenden Häuser in der Umgebung der Stadt.

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