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Die Berliner sollen auch selbst Vorschläge für die Plakate machen dürfen.

© promo

Imagekampagne für die Stadt: Berlins neuer Slogan ist noch mehr Wunschdenken als Realität

Ein neues Motto soll das Wir-Gefühl der Stadt stärken. Doch die Werbung allein wird nicht wett machen, was die Politik versäumt. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Hipp

Zweieinhalb Jahre, eine 2.500 Menschen-Umfrage, ein vorläufiges Leitbild, viel Hirnschmalz, noch mehr Gelder und keine geringeren als die Agentur „Jung von Matt“ und den Marketingexperten Sebastian Zenker von der der Copenhagen Business School hat es gebraucht, um vier Worte zu einem Satz zu formieren, den Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller bereits in seiner Neujahrsansprache vom 31.12.2018 benutzt hatte. Trommelwirbel. Tada! „Wir sind ein Berlin.“ Vom 12. September an ist das – in Ablöse von ‚be Berlin‘ – der offizielle Stadtslogan. Berlins neue Identität.

Dazu kommt ein unaufgeregtes, klassisches Logo: BERLIN (rot und fett) samt lachendem Berliner Bären (schwarz) in einem viereckigen Kasten (ebenfalls schwarz) und ein beliebig erweiterbarer Dreisatz à la „Ich so: Second Hand / Du so: Second Benz / Wir so: Nachbarn“, die in Kombination mit Slogan und Logo auf Postern und im Internet gezeigt werden sollen. „Es geht darum, Zusammenhalt und ein stärkeres Wir-Gefühl in der Stadt zu entwickeln“, sagt die Senatskanzlei. Und: „Berliner wollen nicht immer den Eindruck einer Failed City.“

Man kann jetzt viel meckern. Vom relativ uninspirierten Design angefangen (ist Berlin nicht bunt und spannend und mehr als rot-schwarz-weiß?) über den Slogan selbst, der auf den ersten Blick ziemlich allgemeingültig wirkt. „Wir sind ein New York“, „Wir sind ein München“, „Wie sind ein Bingen am Rhein“ – wahrscheinlich könnte man das überall sagen und wahrscheinlich wäre es überall gleich richtig und gleich falsch.

Vielleicht ist es in einer Stadt, die geteilt war und zusammenwachsen musste, noch ein bisschen richtiger. Aber bei Betrachtung der Gegenwart stellt sich trotzdem die Frage: EIN Berlin? Wer ist das? Wie viele? Und: Kann ein schmissiger Slogan allein den Eindruck einer Failed City ausräumen?

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Berlin ist mit den Jahren größer geworden, lauter, enger. Senat und Bezirke sind vielfach überfordert. Geburtsurkunden werden verspätet ausgestellt. Kinder finden keinen Kitaplatz. In der Schule gibt’s zu wenig Lehrer. Bahnchaos. BER. Wohnungsnot! Die Zeiten, in denen man leben konnte, wo man wollte, sind vorbei. Die, in denen man auf 100 Quadratmetern von Nichts leben konnte, sowieso. Die Kluft zwischen zwischen Arm und Reich wächst genauso wie die zwischen Innen- und Außenring, selbst direkte Nachbarn, nur durch einen Hausflur getrennt, leben in völlig unterschiedlichen Welten. Es geht um Ost und West, um Zugezogene und Alteingesessene, um Konservative und Progressive, und irgendwo immer auch um die Extremen, die im Vergleich zu allen anderen viel zu laut rumbrüllen, um ja gehört zu werden.

Der Bär kommt als Logo zurück – und lacht sogar.
Der Bär kommt als Logo zurück – und lacht sogar.

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Berlins Versprechen ist bedroht

Bereits vor einem Jahr hatten die von der Senatskanzlei Befragten gewarnt: „Die Lebensqualität ist akut gefährdet.“ Die letzten Jahre zeigen, dass sowohl die „Heimat der Vielfalt“ als auch der „Freiraum der Möglichkeiten“ keine Selbstverständlichkeiten mehr sind. Das große Versprechen Berlins wird hinterfragt, bedroht und begrenzt. Der Wettbewerbsdruck wächst in allen Bereichen und der menschliche Umgang wird rauer, als es die Berliner Schnauze erlaubt.

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Kommt der neue Slogan da nicht gerade recht? So simpel die Idee ist, so richtig ist sie ja im Grunde. Das grenzenlose „Ich“ soll zum grenzenlosen „Wir“ umgedeutet werden. Neben der (individuellen) Freiheit als Recht, soll die Offenheit (gegenüber der Freiheit anderer) als Pflicht gelten. Wir sind ein Berlin. Wir alle! Du und ich und der da drüben. Ein Berlin, das Gemeinwohl als Priorität setzt.

Schaut man sich um und über den Nachbars-Späti und den eigenen Kiez hinaus, ist viel davon mehr Wunschdenken als Realität. Aber vielleicht kann das ja werden.

Corona (die Partygänger und Verschwörer mal ausgelassen) hat mitunter gezeigt, wie die Stadt zusammenhalten kann. Vielleicht muss es werden! Damit die Stadt allem Wandel zum Trotz bleibt, was sie immer war. Frei, individuell, offen. Oder wie der Senat sagen würde: anders. Noch besser stünden die Chancen, wenn die Senatskanzlei selbst ihren neuen Berlin-Satz nicht nur als Marketing-Konzept, sondern mitunter auch als politisches Papier verstehen würde. Zusammenhalt wird auch aus dem Roten Rathaus gemacht.

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