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Schöneberg, 1930. Polizisten sichern das Viertel gegen Störversuche.

© ullstein bild

"Im Westen nichts Neues": Krieg im Kinosaal

Vor 80 Jahren lief der Film "Im Westen nichts Neues" an. Für die Nazis eine unerhörte Provokation – sie randalierten auf ihren Sitzen.

Im Premierenpublikum viel Prominenz: aus der Politik Preußens Innenminister Severing, mit Scheidemann, Marx, Müller gleich drei Reichskanzler a. D. sowie der rote Verleger Münzenberg, aus der Kultur die Herren Döblin, Zuckmayer, Kisch, Grosz. Auch an der Kasse alles prima. „Man riss den Händlern die Karten aus den Händen“, erinnerte sich später Hanns Brodnitz, Direktor des Mozartsaales am Nollendorfplatz. Und die Vorführung? Wie erhofft: „Das Publikum, das noch in der Mitte des Films einigen Dialogen, die sich gegen den Krieg richteten, demonstrativ Beifall gespendet hatte, verließ zum Schluss das Haus still und im Innersten aufgewühlt, unfähig, Beifall zu äußern“ – so tags darauf die „Vossische Zeitung“. Störungen? Keine.

Genau 80 Jahre ist es an diesem Wochenende her, dass im Mozartsaal, dem heutigen Goya, „Im Westen nichts Neues“ deutsche Uraufführung hatte, Lewis Milestones Film nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz wird er an diesem Sonntagabend noch einmal gezeigt.

So ruhig die Premiere am 4. Dezember 1930 verlief, so tumulthaft endete die Vorstellung am Folgetag – Auftakt zu einem erbitterten politisch-ideologische Streit, der für Joseph Goebbels, damals Berliner Gauleiter der NSDAP, zu einem mit Gewalt ausgetragenen Test wurde für die erlahmende Widerstandskraft der Demokraten wurde. Schon der Roman war in den Parteienstreit geraten, was seinen Erfolg nicht minderte. Ende 1928 erschien er zunächst in der „Vossischen Zeitung“, wenig später folgte die Buchausgabe in dem ebenfalls zu Ullstein gehörenden Propyläen-Verlag, nach nicht mal 16 Monaten waren eine Million Exemplare ausgeliefert. Auch das Ausland interessierte sich rasch für den Weltkriegsroman – und Hollywood. Im Juli 1929 sicherte sich Universal Pictures mit dem deutschstämmigen Chef Carl Laemmle die Rechte, nicht mal ein Jahr später war Premiere, Auftakt zu einem großen internationalen Erfolg, der durch zwei Oscars (bester Film, beste Regie) gekrönt wurde.

Die Haltung der Nationalsozialisten zum Roman war anfangs gespalten, durchgesetzt hat sich Goebbels’ Urteil, der am 21. Juli 1929 im Tagebuch notierte: „Ein gemeines, zersetzendes Buch.“ Das euphorische Lob aus linken Kreisen, das dem Roman bald den Stempel des Pazifismus aufgedrückt hatte, dürfte sogar erhebliche einigende Wirkung auf die extreme Rechte besessen haben, die in Remarque den gemeinsamen Feind ausmachte.

Am 3. Dezember 1930 taucht dessen Werk bei Goebbels erneut auf: „Am Freitag gehen wir in den Film ,Im Westen nichts Neues’. Da soll den Eunuchen Mores beigebracht werden. Ich freue mich darauf.“ Schon am Donnerstag, dem Tag der Uraufführung, hatte Kinoleiter Brodnitz in den umliegenden Kneipen „merkwürdige Gestalten“ registriert, die „wilde Flüche gegen den Remarque-Film ausstießen und sich in mystischen Drohungen ergingen“ – die Vorhut der Schlägerhorden. Die erste Vorstellung am 5. Dezember verlief ruhig, erst in der 7-Uhr-Vorstellung ging der Terror los. Anfangs drehte man die Lautstärke hoch – vergeblich: „Der Tumult wurde immer wilder, an allen Ecken des Theaters brüllten Volksredner, und die wüstesten Beleidigungen und Beschimpfungen erfüllten die Luft.“

Die Vorstellung wurde unterbrochen, was auch nicht half. Goebbels hetzte, Fäuste flogen, nach Fortführung des Films folgten Stinkbomben, bis als Höhepunkt „aus kleinen Pappkartons weiße Mäuse in solcher Zahl losgelassen wurden, dass man auf einen Ausverkauf dieses Artikels in sämtlichen Berliner einschlägigen Tierhandlungen schließen konnte“, wie Brodnitz schrieb. Die 16 anwesenden Polizisten wurden der Lage nicht Herr, zumal „knapp drei Dutzend der Hauptschreier“ ihre Abgeordnetenausweise zückten. Seit den Wahlen im Mai 1930 war die NSDAP zweitstärkste Partei im Reichstag. Draußen auf dem Nollendorfplatz ging es weiter, rund 1500 Randalierer waren noch vor der alarmierten Polizeiverstärkung eingetroffen, versuchten das Kino zu stürmen, wichen erst dem Gummiknüppel – ein Bild, das sich in den nächsten Tagen wiederholte, wie Goebbels triumphierte: „Nollendorfplatz: abgesperrt. Menge rast durch die Schupokette. Parole: Wittenbergplatz. 20–30 000 stehen und harren. Imposant.“ Später formierte sich „der Protestzug. Ohne Ende. Immer mit dem Versuch, an den Kurfürstendamm zu kommen. Am Uhlandeck Vorbeimarsch. Über eine Stunde. In Sechserreihen. Phantastisch! Das hat der Berliner Westen noch nicht gesehen.“

Hanns Brodnitz gab den Pöbeleien und Tumulten nicht nach, ließ nach Attentatsdrohungen Sicherheitsleute die Taschen der Besucher durchsuchen, warb bei den demokratischen Parteien um Unterstützung, die es auch gab, aber das genügte nicht. Die Filmprüfstelle hatte den Film durchgewunken, nun tagte auf Antrag einiger NS-geführter Landesregierungen die Oberprüfstelle – und bewertete „Im Westen nichts Neues“ als „Film der deutschen Niederlage“ und damit als eine „Gefährdung des deutschen Ansehens“.

Immerhin, es blieb nicht bei dem Verbot. Auf Initiative demokratischer Parteien wurde im Frühjahr 1931 eine Novelle des Lichtspielgesetzes beschlossen, durch die der Film gekürzt unter bestimmten Bedingungen freigegeben und im folgenden Herbst, nach weiteren Schnitten, komplett. Hanns Brodnitz, der mutige Direktor des Mozartsaales, profitierte von dieser – ohnehin nur bis 1933 dauernden – Freigabe nicht mehr. Sein Kino galt den Verleihern nun als Risiko, bald folgte der finanzielle Zusammenbruch. Nach Hitlers Machtübernahme war er, zumal als Jude, besonders gefährdet und lebte ab 1938 versteckt. Fünf Jahre später wurde er verhaftet und Anfang Oktober 1944 in Auschwitz ins Gas geschickt.

- Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz, Sonntag, 17 Uhr, Vortrag des Filmhistorikers Wolfgang Jacobsen („,Im Westen nichts Neues‘ als Wendepunkt im Leben des Kinobetreibers Hanns Brodnitz“), der auch in den um 19 Uhr startenden Film einführt.

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