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Der Volkswille in der Kiste. Berlins Sozialdemokraten wünschen sich konsultative Volksbefragungen.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Idee von Volksbefragungen aufgewärmt: SPD will den Berlinern aufs Maul schauen

Berlins Sozialdemokraten schlagen konsultative Volksbefragungen vor - als Stimmungsbarometer für die Politik. Linke und Grüne halten nichts davon.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wenn die Politik ratlos ist, sollen die Bürger sagen, was richtig ist. Diese Idee einer „konsultativen Volksbefragung“ wurde in Berlin schon mehrfach diskutiert, allerdings ohne greifbares Ergebnis. Jetzt wärmt die SPD den Vorschlag wieder auf. Das Abgeordnetenhaus soll zu Gesetzesvorhaben oder großen Projekten „mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner gewählten Mitglieder“ eine Volksbefragung beschließen können.

Fragen sollen mit Ja oder Nein beantwortet werden

Die Frage, die an die Berliner gerichtet wird, soll mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Das Ergebnis wäre für das Parlament, den Senat und die öffentliche Verwaltung nicht bindend, sondern nur eine Orientierungshilfe. Ein entsprechender Entwurf der SPD-Fraktion für eine Reform des Abstimmungsgesetzes wird noch mit den Linken und Grünen verhandelt – im Paket mit anderen innenpolitischen Vorhaben, die koalitionsintern seit Monaten strittig sind.

Beim Ausbau der A100 hatte die CDU ein solches Instrument angeregt

Vorreiter einer unverbindlichen Volksbefragung war 2010 die CDU, die den Ausbau der Stadtautobahn A 100 zur Abstimmung stellen wollte. Fünf Jahre später brachte der SPD-Fraktionschef Raed Saleh im Zusammenhang mit der Olympia-Bewerbung Berlins eine konsultative Volksbefragung ins Spiel. Er sah sich damals durch den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst bestätigt, der die Meinung vertrat, dass ein solches „Plebiszit von oben“ nicht in der Landesverfassung verankert werden müsse. Ein einfaches Landesgesetz reiche aus, denn es fehle der Befragung die „rechtliche Bindungswirkung“, so die Juristen des Parlaments.

Aber der Vorschlag Salehs wurde zusammen mit der gescheiterten nationalen Olympiabewerbung zu den Akten gelegt. Erst im November 2018 versuchte es die AfD noch einmal. Sie wollte die Bevölkerung zu einem neuen gesetzlichen Feiertag befragen, die anderen Fraktionen lehnten das strikt ab. Ob es jetzt den Sozialdemokraten gelingt, für die konsultative Volksbefragung wenigstens Linke und Grüne ins Boot zu holen, bleibt vorerst offen. Sowohl der Linken-Abgeordnete Michael Efler wie auch dessen Grünen-Kollegin Susanna Kahlefeld halten von einer Befragung der Bürger auf Initiative der Regierung nicht viel. Beide verweisen auch auf die Erfahrungen mit dem Brexit. „So was kann voll ins Auge gehen“, sagt Kahlefeld.

In Bayern scheiterte die CSU mit einem Gesetz zur Volksbefragung

Der SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier hält es dagegen „für hochgradig sinnvoll, bei Kernthemen der Politik die Meinung der Bürger abzufragen“. Für die Sozialdemokraten sei die Forderung nach einer konsultativen Volksbefragung in den laufenden Koalitionsgesprächen zur Innenpolitik „ein Knackpunkt“. In Bayern ist die CSU damit allerdings auf die Nase gefallen. Dort wurde eine Volksbefragung, die 2015 ins Landeswahlgesetz geschrieben wurde, ein Jahr später vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof einkassiert. Auch wenn Landtag und Regierung nicht an das Ergebnis der Befragung gebunden seien, handele es sich um einen „Akt der Staatswillensbildung“, urteilten die Richter. Eine solche Befragung müsse deshalb in der Landesverfassung verankert werden.

Das Berliner Verfassungsgericht könnte das natürlich anders sehen, aber das juristische Risiko ist hoch. Von einer Verankerung der konsultativen Volksbefragung steht im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag auch nichts drin. Dort haben sich SPD, Linke und Grüne auf andere Ideen für eine Reform des Abstimmungsgesetzes verständigt, um Plebiszite zu erleichtern und zu beschleunigen. So sollen Volksentscheide künftig zeitgleich mit Wahlen durchgeführt werden, die innerhalb von acht Monaten nach dem Volksbegehren anstehen. Und für die Erarbeitung einer amtlichen Kostenschätzung und die juristische Zulässigkeitsprüfung sollen Fristen festgelegt werden.

Im Koalitionsvertrag steht nichts von der "konsultativen Volksbefragung"

Außerdem soll der Träger eines Volksbegehrens, sobald die erste Hürde (mindestens 20.000 Unterschriften) genommen ist, in den zuständigen Parlamentsausschüssen angehört werden. Rot-Rot-Grün will außerdem erlauben, dass Gesetzentwürfe oder Beschlusstexte, die zur Abstimmung stehen, nach erfolgreicher Unterschriftensammlung nachgebessert werden können. Auch eine Kostenerstattung für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative wird angeregt.

Vor knapp zwei Jahren hatte die Innenverwaltung des Senats in einem Brief an alle Fraktionen angekündigt, einen dazu passenden Gesetzentwurf „bis zum Frühjahr 2018 in das Abgeordnetenhaus einzubringen“. Das geschah nicht. Stattdessen verstrickten sich SPD, Linke und Grüne in einen bis heute nicht gelösten Konflikt um die künftige Innen- und Sicherheitspolitik. Der Versuch der SPD, mehrere ganz verschiedene Themen in ein Gesetzespaket zu packen, kam bei den Regierungspartnern schlecht an.

Rot-Rot-Grün streitet weiter über die Innen- und Sicherheitspolitik

Sie werfen der SPD vor, mit ihrem 148 Seiten starken Gesetzentwurf „zur Stärkung von Sicherheit und Teilhabe im demokratischen Gemeinwesen“ einen Deal machen zu wollen, um ein verschärftes Polizeigesetz durchzudrücken. „Das ist nicht die feine englische Art“, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Kahlefeld. Auch der Linken-Politiker Efler spricht von einer „sachwidrigen Verkoppelung von Themen“. Außerdem hält er die von der SPD vorgeschlagenen Fristen bei Volksbegehren (drei Monate für die amtliche Kostenschätzung und sieben Monate für die rechtliche Prüfung) für zu lang.

Die versprochene Reform der „direkten Demokratie“, die von der SPD im aktuellen Koalitionsstreit als Verhandlungsmasse genutzt wird, wäre für Berlin durchaus von Bedeutung. Vier Volksbegehren sind zurzeit in Arbeit: für mehr Videoüberwachung und eine bessere Krankenhauspflege, für ein werbefreies Berlin und die Enteignung von Immobilienunternehmen. Und ab Sommer werden Unterschriften gesammelt, um mit einem Transparenzgesetz eine gläserne Verwaltung zu erzwingen.

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