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Hier guckt keiner in die Röhre: Ein Bild aus dem Video von „Ich wollt’, ich wär’ immun!“.

© Happy Disharmonists

„Ich wollt’, ich wär’ immun!“: Berliner Chor landet Youtube-Hit mit Impf-Song

Ein spritziger Song: Mit „Ich wollt’, ich wär’ immun!“ treffen The Happy Disharmonists einen Nerv. Die Inspiration dazu lieferte der Tagesspiegel.

Den musikalischen Kampf gegen das Virus hat Carsten Gerlitz schon kurz nach dem ersten Lockdown aufgenommen. „Scheiß Corona“ hieß der Titel, den der Reinickendorfer Musiker und Chorleiter auf das legendäre Ein-Hit-Wunder „My Sharona“ dichtete – ein Spaß für ihn, aber auch ein wichtiges Lebenszeichen für den populären Berliner Amateurchor The Happy Disharmonists, der sich zum Singen zwar nicht zusammenfinden konnte, aber mit den von Gerlitz in seinem Studio zusammengefügten Einzelaufnahmen doch klang wie immer – ein großer Youtube-Renner.

Mehrfach haben die Sänger mit anderen Titeln nachgelegt, haben sich ironisch mit dem „gefährlichsten Hobby der Welt“, eben dem Chorsingen, beschäftigt, und nun geht die Sache erst richtig ab: „Ich wollt’, ich wär’ immun!“, getextet und arrangiert von Carsten Gerlitz, hat gut zwei Wochen nach Erscheinen, bei Youtube mehr als 400.000 Aufrufe.

Der Tagesspiegel ist nicht ganz unschuldig daran. „Ich wollt’, ich wär’ immun“ war am 6. März 2021 die Schlagzeile des Kulturaufmachers, in dem es um die Theaterszene nach einem Jahr Corona ging. Gerlitz las sie, in seinem Kopf setzte sich automatisch die Melodie von Peter Kreuders „Ich wollt’ ich wär’ ein Huhn“ in Marsch, und dann wurde er hektisch. „Das klickte sofort, und ich konnte gar nicht fassen, dass noch kein anderer auf die Idee gekommen war“, berichtet er.

Es musste also wieder der Spezialist ran, er dichtete bis zum Abend des selben Tages am aktuellen Text, nahm sich dann die Noten für ein routiniert gebautes Arrangement vor und berief drei Tage später den Chor zu einer virtuellen Probe ein. Sopran, Alt, Tenor und Bass, dazu die Solopartien: Jeder der 22 zog sein angestammtes schwarzes T-Shirt über, sang seinen Part, Gerlitz baute alles in seinem heimischen Studio in Waidmannslust zu einer prallen Chornummer zusammen und machte sich dann abschließend an die Bebilderung. „Ich wollte schon lange mal was mit alten Fernsehern machen“, sagt er, „und das war eine gute Gelegenheit“.

Und dann meldete sich die Tochter des großen Vorbilds

Nun hat jeder Sänger seine eigene Mattscheibe, oben auf dem Glotzengebirge steht eine Sammlung alter Mikrofone, unten im Bild picken ein paar Hühner zur Erinnerung an das Original, und auch zwei Pinguine marschieren verdutzt vorbei, zweckfrei, aber lustig. Da Gerlitz das nicht zum ersten Mal machte, dauerte die gesamte Prozedur zehn Tage, und das Video konnte schon am 17. März in die Umlaufbahn geschossen werden, wo es sich bedeutend exponentieller entwickelte als das Virus, falls man das so sagen kann.

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Doch das Stück wurde nicht nur stumm geklickt. Viele der beglückten Zuschauer meldeten sich auch beim Urheber oder äußerten sich in den Netzwerken. „Es war das genaue Gegenteil eines Shitstorms“, sagt Gerlitz, der im Moment täglich auch rund 20 private Mails dazu bekommt. Kein Spott, keine Häme, keine Kritik, sondern nur Freude. Schließlich meldete sich auch die Tochter von Robert Biberti, dem Bassisten der Comedian Harmonists, der Kreuders Lied unzählige Male gesungen hatte, und schrieb: Das hätte meinem Vater gefallen.

The Happy Disharmonists gelten als ältester Pop-Chor Deutschlands

All das ist nicht vom Himmel gefallen. Die Happy Disharmonists sind 1985 aus einem Musik-Leistungskurs der Georg-von-Herwegh-Schule hervorgegangen, gelten als ältester Pop-Chor Deutschlands und arbeiten kontinuierlich an immer neuen Bühnenprogrammen; noch sechs Sänger und Sängerinnen der Originalformation sind dabei, und die Besetzung ist seit einigen Jahren praktisch unverändert – im Namen ist die Verbindung zu den Comedian Harmonists im Grunde von Anfang an angelegt.

Die Gruppe hat im Kammermusiksaal und Konzerthaus gesungen, siebenmal die „Bar Jeder Vernunft“ bis auf den letzten Platz gefüllt und war bis zum Lockdown ständig auf Bühnen ihrer Nachbarschaft präsent, zum Beispiel im Lübarser „Labsaal“. The Happy Disharmonists – das sind 22 Buchstaben, jeder trägt einen davon zwecks Bühneneffekt auf seinem T-Shirt, und deshalb wird der Chor auch nicht weiter wachsen: „Wir haben eine lange Warteliste“ sagt Gerlitz, „aber wir sagen jedem, du kannst erst rein, wenn jemand anders aussteigt“.

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Das Repertoire reicht vom Weihnachtsoratorium über umarrangierte Pop-Hits wie die unvermeidliche Bohemian Rhapsody bis zu eigenen, in aller Regel von Gerlitz selbst betexteten und umgedichteten Stücken – keine Avantgarde, sondern helles, schnelles Entertainment mit Hang zu Kalauern und Selbstironie, ganz und gar unamateurhaft dargeboten.

Auch CDs gab es, als man das noch machte, inzwischen hat sich Youtube als virtuelle Bühne etabliert. Am Amateurstatus ändert das aber nichts. Denn zum einen sind die Sänger durchweg beruflich etabliert, zum anderen bringen solche nachgetexteten Hits ohnehin nur den Urhebern der Musik Tantiemen ein: Bei Peter Kreuders Erben dürfte die Freude groß sein über das immune Huhn.

Chorleiter Gerlitz arbeitete schon bei den „Palazzo“-Shows mit

Carsten Gerlitz allerdings ist studierter Pianist und Profimusiker, spezialisiert auf Chorarrangements und Chorleitung im Popsektor. Er hat Lehrbücher geschrieben, gibt Webinare, arbeitet für Fernseh- und Theaterprojekte und war für die Gesangsarrangements mehrerer „Palazzo“-Shows verantwortlich.

An Kreativität mangelt es also auch für den Fall weiterer Lockdowns nicht. Aber der Chor würde sich doch sehr viel lieber mal wieder zum gemeinsamen Singen treffen. Ganz analog, wie seit fast 36 Jahren.

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