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Gedenken in Khao Lak: Einheimische und Besucher lassen Himmelslaternen steigen – zum fünften Jahrestag 2009.

© Rungroj Yongrit/dpa

Update

"Ich habe total Lust auf Leben“: Wie eine Berlinerin die Tsunami-Katastrophe verarbeitete

Weihnachten 2004 überlebte Anke George den Tsunami in Thailand. Wie ihr Vater, ihr Mann aber starb. Ein Treffen, 15 Jahre danach.

Anke George steht auf dem Foto vor dem Bungalow in Khao Lak in Thailand und guckt nach oben. Das Haus war ihr Lebensretter. Als die Welle auf sie, ihren Mann und ihren Vater zurast, klammert sie sich an eine Palme. Die beiden Männer werden mitgerissen. Ihren Mann sieht sie nie wieder. Anke George wird zum Dach getrieben und ergreift eine Latte, die ihr ein Österreicher hinhält.

„Jetzt habe ich mir das erste Mal seit fünf Jahren wieder die Sendung von Stern TV angesehen, wie ich da noch schwer verletzt auf einer Trage lag. Sie hatten mich gefragt, ob ich mein Schicksal zur Verfügung stellen würde, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen“, erzählt die Tsunami-Überlebende. 15 Jahre ist die Naturkatastrophe her: Am 26. Dezember 2004 riss das Seebeben in Südostasien 300.000 Urlauber und Einheimische zu Weihnachten in den Tod, darunter waren auch 47 Menschen aus Berlin und Brandenburg.

„Ich war gerade in Gedenken an den 15. Jahrestag an der Stele. Es war wieder schmerzhaft, über die vielen Namen zu gucken und zu wissen, was mit diesen Opfern passiert ist“, sagt die 61-Jährige aus Schmöckwitz. Dass die Namen der Opfer auf der Gedenkstele stehen, auch der von Eberhard George, „haben wir dem Tagesspiegel zu verdanken“.

Nach der Katastrophe hatten Hinterbliebene der Gruppe „Hoffen bis zuletzt“ mit dem damaligen Berliner Notfallseelsorger Jörg Kluge und dem Deutschen Roten Kreuz zwar die Initiative zur Aufstellung einer Gedenkstele gestartet. Die Köpenickerin war Mitinitiatorin, aber als sie versuchte, die Angehörigen der 37 gestorbenen Berliner und zehn Brandenburger zu vernetzen, hieß es bei der Polizei, aus Datenschutzgründen ginge das nicht, und man könne sich Porto und Aktenwälzen nicht leisten.

Aber bei den Tsunami-Opfern steckten, noch während sie im Krankenhaus in Thailand um ihr Leben kämpften, in Deutschland schon Aufforderungsbriefe der Behörden im Briefkasten, das nicht mehr zustehende Kindergeld zurückzuzahlen sowie die 19,07 Euro Soforthilfe des Bundes. Die Briefe endeten mit dem Satz: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesundes neues Jahr.“

Zur Enthüllung des Gedenksteins kam auch Horst Köhler

Der Tagesspiegel hatte damals bei Polizei und Innenverwaltung recherchiert, die Senatsverwaltung stand dann hinter dem Wunsch. Plötzlich klappte alles, und zusätzlich zu den Angehörigen und dem DRK spendeten Leserinnen und Leser dieser Zeitung Geld für die Stele. Zur Enthüllung des Sandstein-Gedenksteines mit 43 Namen – nicht alle wollten die Namen ihrer Angehörigen dort eingetragen haben – am ersten Jahrestag der Katastrophe war auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler gekommen.

Ein Jahr nach dem Unfassbaren hielt Anke George die Abschiedsrede im Namen aller Menschen in der Selbsthilfegruppe. Sie endete mit dem Satz: „Ich durfte überleben.“ Vielen Überlebenden war es damals nicht gelungen, das zweite Leben nach der Welle anzunehmen.

Anke George-Stenger vor der Stele mit den Namen von 43 Tsunami-Opfern aus Berlin und Brandenburg.
Anke George-Stenger vor der Stele mit den Namen von 43 Tsunami-Opfern aus Berlin und Brandenburg.

© Jörg Stenger

George beschäftigte sich weiter viel mit dem Gewesenen, half suchen, bekam Dankesbriefe. Sie wollte aber auch „nach vorne schauen“. „Eine Therapeutin hat mir mal gesagt, wenn ich irgendwann das Gefühl habe, ich gehe in Gedanken durch ein Warenlager, da ruhen meine Erlebnisse, in Kartons verpackt in den Regalen, dann habe ich es geschafft“, sagte sie dem Tagesspiegel zu unserem damals schon traditionellen Jahrestagsgespräch, im Jahr 2007.

Sie hat es geschafft

Sie hat es geschafft. Auch wegen der Töchter, der Enkel, den regelmäßigen Reisen an den Ort des Geschehens, dem Dank an die Helfer. Alle Bilder und Unterlagen lagern in einem Karton auf dem Schrank. Den kann sie sich, wenn sie will, jederzeit vornehmen. Doch manchmal rollt der Tsunami in ihrem Kopf auf sie zu, unerwartet. Wie gerade bei einer Kinowerbung, als ein Surfer auf einer Welle auf sie zu rauschte. „Triggern“ heißt das, „Flashback“ – das bedeutet, der Mensch erlebt das Furchtbare erneut, als wäre er noch mittendrin. Das Meer liebt sie aber immer noch.

Anke George war mit ihrem Lebenspartner in Khao Lak, gemeinsam besuchten sie die Gedenkstätten. „Ich freue mich total, am Leben zu sein, und genieße es. Ebi hätte es genauso gemacht und fände es gut.“ Jetzt bist du in Sicherheit, hier ist alles gut, du hast es überstanden – das sind stärkende Sätze und Gefühle, die es traumatisierten Menschen ermöglichen, wieder Halt und Stabilität zu finden nach einem furchtbaren Erlebnis.

Die Hochzeit mit ihrem Lebensgefährten Jörg Stenger am 21. August 2015 wird einer der schönsten Tage im zweiten Leben. Doch dann der nächste Schlag. Da sitzt Key Accountant Anke George-Stenger am 27. Dezember 2018 am Arbeitsplatz in Friedrichshain, sie ist Kundenberaterin und Auftragsbearbeiterin einer großen Druckerei in Darmstadt. Komisch, da reagiert keiner, die Firma war angeschlagen, ja, aber sie sollte gerettet werden.

Dann der Anruf eines Kollegen: „Du, die Druckerei gibt es seit anderthalb Stunden gar nicht mehr.“ Ein herber Schlag, der George-Stenger, seit 17 Jahren mit vollem Einsatz für ihre Firma tätig, hart trifft. Sie hat auch Besuche bei der Arbeitsagentur überstanden, als ihr, der Berufserfahrenen, ein Kurs angeboten wurde, in dem sie lernen könne, sich für Arbeit fit zu machen. „Erniedrigend“, fand sie das.

Ein Buch von Isabelle Allende hat ihr geholfen

Dieses Jahr treffen wir uns in der Nähe ihres neuen Arbeitgebers, ein früherer Kunde gewann sie für sich. George-Stenger sagt, sie gehe am neuen Arbeitsplatz auf, sie gehöre zu einem tollen Team. Gerade wurden alle Kollegen gebeten, in einem lustigen Weihnachtswerbevideo mitzumachen.

Was sie bis heute wichtig findet, ist, dass sie sich zumindest nach einer Operation mit Narkose im Traum von ihrem Eberhard verabschieden konnte. „Er stand neben mir am Bett und sagte: Tschüss, ich muss jetzt gehen.“ Als sie das erzählt, 15 Jahre später, geht ihr das immer noch nahe. Mit der berühmtem Schriftstellerin Isabelle Allende ist Anke George-Stenger in Briefkontakt, „ihr Buch ,Paula‘ über die Tochter, deren Verlust sie verarbeiten musste, hat mir sehr geholfen damals, das schrieb ich ihr.“ Der persönliche Antwortbrief Allendes liegt vor uns auf dem Tisch. „Durch Zufall oder eben nicht durch Zufall“ stand sie früher mit Familie sogar schon mal vor dem Wohnhaus Allendes, ohne es zu wissen.

Wenn die Berlinerin sich jetzt in den Fernsehsendungen gleich nach dem Tsunami sieht, fällt ihr vor allem die Plastiktüte mit den Kontakten der Helfer, der Retter, von Leidensgenossen, auf, die sie wie einen Schatz fest auf dem Schoß hält. Heute hat Anke George-Stenger sinnbildlich noch ganz viele andere prall gefüllte, wunderschöne bunte Taschen auf dem Schoß, und da ist noch ganz viel Platz. „Ich habe mir schon so viele tolle Wünsche erfüllt“, sagt Anke George-Stenger, 15 Jahre danach. „Und ich habe total Lust auf Leben.“ Am 26. wurde der Name von Eberhard George auf einer Gedenkfeier in Khao Lak verlesen.

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