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Ein ungewöhnlicher Anblick - auch für Joschi (6), Joris (3) und Vater Marc Danewitz.

© Boris Buchholz

ICE im Berliner Vorgarten: Versuchszug „TrainLab“ rollte im Schneckentempo durchs Wohngebiet

Ungewöhnlicher Anblick in Lichterfelde: Am Freitag rollte ein ICE über die alte Goerzbahn durchs Wohngebiet. Der Zug soll Daten zum autonomen Fahren sammeln.

Joschi (6), sein Bruder Joris (3) und ihr Vater Marc Danewitz mussten fast eine halbe Stunde im Schnee warten, dann war er um 9.48 Uhr da: der ICE-Versuchszug der Deutschen Bahn, das „advanced TrainLab”. Der dieselgetriebene ICE der Baureihe 605 brauste am Freitag nicht durch Deutschland, er rollte langsam und gemächlich den Dahlemer Weg in Lichterfelde hinunter. Hier führt die Goerzbahn entlang, der eingleisige Schienenstrang Richtung Goerzallee wird seit 2018 nicht mehr befahren.

Doch die Bahn hofft, dass der 2,5 Kilometer lange Streckenabschnitt zum idealen Testlabor für die Zugfahrten von Morgen taugt. Den Kindern ist das egal: Sie staunen über den ICE, der in Schrittgeschwindigkeit fast durch ihren Vorgarten fährt. Es sei „megagut” gewesen, erklärt Joschi als der Zug Richtung Schönow entschwindet.

Und auch der Vater ist begeistert, das TrainLab sei ein großartiges Geburtstagsgeschenk – Marc Danewitz wurde am Freitag 44 Jahre alt. „Wir kamen aus dem Winken gar nicht mehr heraus”, freute sich Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn für Berlin, später am Bahnhof Wannsee im Gespräch mit dem Tagesspiegel über das rege Interesse am Straßenrand.

Die Goerzbahn, erklärte er, könnte zu einem Versuchsfeld für automatisierte Fahrten werden. Denn die Strecke zwischen Lichterfelde-West und Schönow biete optimale Voraussetzungen, um verschiedene Systeme zur Objekt- und Hinderniserkennung sowie zur Umfelderkennung zu erproben. An rund vierzig Stellen können Autos die Schienen queren, der Abstand zum fließenden Verkehr neben dem Gleisbett sei fast nirgends in Deutschland so gering wie am Dahlemer Weg.

Ob die Goerzbahn wirklich das geeignete Test-Terrain für neue Sensoren und Software ist, muss noch geprüft werden. Tobias Fischer, der technische Leiter des TecLab der Deutschen Bahn, ist mit dem Ergebnis der Testfahrt durch Lichterfelde zufrieden. „Die Aufnahme hat geklappt, wir müssen jetzt sehen, wie die Sensoren angesprochen haben”, sagte er. In den kommenden Wochen würden die gesammelten Daten ausgewertet werden.

Joschi (6, li.), Marc Danewitz und Joris (3) sind begeistert vom ICE.
Joschi (6, li.), Marc Danewitz und Joris (3) sind begeistert vom ICE.

© Boris Buchholz

Ob, wann und wie oft der mit Sensoren gespickte Zug künftig am Dahlemer Weg fahren werde, konnte er nach dem Testlauf nicht sagen. Wichtig ist ihm aber, dass „das advanced TrainLab nicht automatisch fährt, sondern es sammelt vor allem Daten” Stets sei ein Triebwagenführer im Cockpit. Erkunden soll der Testzug zum Beispiel, ob Systeme zum automatischen Bremsen funktionieren.

Tobias Fischer, der technische Leiter des TecLab der Deutschen Bahn, links, am Bahnhof Wannsee.
Tobias Fischer, der technische Leiter des TecLab der Deutschen Bahn, links, am Bahnhof Wannsee.

© Boris Buchholz

Die Berliner Politik träumt schon von der Zukunft

Bei der Berliner Politik hat der Zukunftszug schon für gewagte Träume gesorgt: Der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann und sein CDU-Kollege Christian Goiny durften bei der Testfahrt mit an Bord des ICE sein. Der Blick aus dem Führerstand sei grandios gewesen, „der Platz neben dem Lokführer ist der Premiumsitz”, verrät Christian Goiny. Er wünsche sich, dass es auf der Goerzbahn bald wieder eine Beförderung von Fahrgästen gibt.

Als die Strecke vor über 100 Jahren gebaut wurde, hatte sie genau diesen Sinn: Arbeiter wurden in Zügen zu den neuen Goerzwerken an der heutigen Goerzallee gebracht. Doch in den letzten Jahrzehnten rollten auf dem Abschnitt nur noch Güterzüge zum Gewerbegebiet am Teltowkanal – im Juni 2018 der letzte.

„Selbstfahrende Schienenbusse” kann sich CDU-Mann Goiny, der Dahlemer Weg liegt in seinem Wahlkreis, für die Zukunft gut vorstellen. „Ich denke, dass das ein guter Beitrag wäre, die Verkehrsprobleme in Steglitz-Zehlendorf zu lösen”, sagte er.

Das TrainLab war am Freitag zum ersten Mal in Lichterfelde unterwegs.
Das TrainLab war am Freitag zum ersten Mal in Lichterfelde unterwegs.

© Boris Buchholz

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Dass die Strecke Richtung Schönow weiter benutzt werden sollte, das will auch der Berliner Bahn-Chef Alexander Kaczmarek. Die Gleise seien in einem „hervorragendem” Zustand. „Eisenbahninfrastruktur, die vorhanden ist, muss am Netz gehalten werden”, ist sein Credo. Und ein zweites lautet: „Wenn wir nicht mutig handeln, dann können wir auch nicht zu spannenden Lösungen kommen.”

Bei diesen Worten auf dem Bahnsteig in Wannsee nickte Niklas Pempel zustimmend. Der Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins ZEUHAG, das steht für die nicht mehr existierende Zehlendorfer Eisenbahn und Hafen AG, hat seit 2018 den Betrieb der Goerzbahn-Strecke übernommen. Aus Spenden und Firmenzuwendungen finanziert der Verein jedes Jahr 15.000 Euro, um den Betrieb zu gewährleisten.

Wäre der Verein 2018 nicht in die Bresche gesprungen, wäre die Goerzbahn stillgelegt worden, erklärt Niklas Pempel. Das erste Ziel der Eisenbahnenthusiasten sei es, die Goerzbahn vor dem Verschwinden zu bewahren. Ziel Nummer zwei: „Dass die Strecke für die Erprobung neuer Technologien genutzt wird”. Eigentlich habe der Verein eher an moderne Lösungen für den Güterverkehr gedacht, gibt der Vereinsvorsitzende zu. Doch auch die Idee, wieder Fahrgäste zu befördern, findet er „sehr gut”

Wiederbelebung der Stammbahn „mit gutem Willen möglich”

Apropos Fahrgastverkehr: Vom Cockpit des TrainLabs hatte der SPD-Abgeordnete Heinemann einen hervorragenden Blick auf die Schienen – der Zug befuhr neben der Goerzbahn auch die Strecke zwischen Rathaus Steglitz und Wannsee. Nach der Mitfahrt sei er sich sicher: „Mit gutem Willen könnte man die Stammbahn zwischen Steglitz und Wannsee wieder in Betrieb nehmen”, „das wäre in fünf Jahren möglich”.

Im Cockpit ist die Aussicht am besten.
Im Cockpit ist die Aussicht am besten.

© Boris Buchholz

Gemeint hat er wohl Regionalzüge entlang der Wannseebahn; die Stammbahntrasse zweigt in Zehlendorf ab und führt über Düppel, Kleinmachnow und Dreilinden nach Potsdam. Zu Christian Goiny sagte er: „SPD und CDU wollen das.” Die Fahrt des TrainLabs hat für gute Bahn-Stimmung gesorgt – und zwei wichtige Verbündete. Beide Abgeordnete sind Mitglieder des mächtigen Hauptausschusses des Abgeordnetenhauses.

Doch zurück zum Dahlemer Weg und zu Joschi, Joris und ihrem Vater. Marc Danewitz bedauert, dass seit zweieinhalb Jahren keine Züge mehr über die Goerzbahn rollen, es sei schade. Der Zugverkehr habe eine weitere gute Seite gehabt: „Meine beiden älteren Kinder sind morgens alleine aus dem Bett gestiegen, wenn ein Zug kam.” Jetzt wieder einen Zug auf den Gleisen zu sehen, sei ein Highlight gewesen.

Die vielen fotografierenden Anwohner und angereisten Trainspotter gaben ihm Recht. Alexander Kaczmarek sagte später, der Einsatz des rollenden und riesigen Testlabors sei auch eine Werbemaßnahme für die Goerzbahn gewesen – und eine Aufmunterung: „Es gibt auch während der Pandemie schöne Dinge.”

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