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ICC

© Mike Wolff

ICC: Ein Raumschiff mit kleinen Macken

Abriss oder Sanierung – das ICC entzweit den rot-roten Senat. Klärung soll ein siebtes Gutachten bringen. Das ICC soll bleiben, sagen dagegen die Mitarbeiter.

Er hat das Fundament gelegt, nun treibt ihn die Sorge um den Abriss. Klaus Sanland ist einer, der mit dem ICC verbunden ist, und davon lebt. Vor 28 Jahren brachte er als Lastwagenfahrer den Beton auf die Baustelle, hat das riesige Congress Centrum neben dem Funkturm wachsen sehen. Heute bewacht er das Gebäude und muss um dessen Zukunft bangen.

Besorgt verfolgt er die politische Debatte um einen Abriss. Die Linkspartei setzt sich vehement für einen Neubau ein, doch die Sozialdemokraten sperren sich. Sie favorisieren eine Komplettsanierung bei laufendem Betrieb. Doch die ist teuer – Gutachten sprechen von rund 170 Millionen Euro. Ein weiteres Gutachten soll nun angefertigt werden, das siebte mittlerweile. Erst danach wollen SPD und die Linke entscheiden.

Für Klaus Sanland und seine Kollegen wirkt die Debatte um Sanierung oder Abriss bizarr. Die 60 Mitarbeiter machen täglich andere Erfahrungen. Das Kongresszentrum ist gefragt; Daimler Chrysler, Lufthansa oder auch Hertha BSC hatten hier kürzlich ihre Hauptversammlung. Von einer Abrissbude keine Spur, das ICC präsentiert sich seinen Gästen als ein in die Jahre gekommener, aber immer noch fitter Messetempel, etwa beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2007. Auf den Fluren drängeln sich die Teilnehmer durch die engen Gassen. An den Ständen der Pharmaindustrie, der Universitäten, und der Hersteller von medizinischen Geräten sieht man zufriedene Gesichter. Lachen, Händeschütteln, Prospekte verteilen und danach zum nächsten Fachvortrag in einen der Konferenzsäle eilen. Die Messe ist in vollem Gange, alles huscht umher, ein Stimmensalat füllt das Gebäude. Die Stimmung erinnert an einen Flughafen am ersten Tag der Ferien.

Auch im Ausland schätzt man das ICC: Bereits zum dritten Mal hintereinander wurde das Kongresszentrum von 250 000 Tourismusexperten zum „Leading Congress & Convention Centre“ gewählt. Eine schlechte Bilanz sieht anders aus.

Wie viele seiner Kollegen im Kongresszentrum steht Klaus Sanland zu dem umstrittenen Gebäude. Im Senat interessiert sich dafür niemand. Einem wie Sanland hören sie nicht zu. Seit sechs Jahren ist er im Sicherheitsdienst des ICC. Am Eingang begrüßt er die Besucher, läuft Streife, sitzt als Pförtner an der Schranke. Auch die Nachtschicht übernimmt er schon mal. Ein Mädchen für alles. Einer, der das ICC kennt. Doch wenn andere über die Zukunft des ICC reden, schüttelt er meist nur den Kopf. Asbestverseuchung im Gebäude? Der grauhaarige Sanland winkt ab, sein Lächeln verschwindet. „Das hat ein Reporter irgendwo aufgeschnappt, dann war es plötzlich die große Geschichte.“ Er versucht zu beruhigen, es zu erklären: Asbest gäbe es wohl, aber nur in Bereichen, die niemand betritt. Was er nicht sagt: Der im Baumaterial gebundene Asbest könnte bei einer Sanierung oder einem Abriss freigesetzt werden. Erst kürzlich wies der Architekt des ICC Ralf Schüler auf diese Gefahr hin.

Zukunftsängste hat Sanland trotz der Abrissdebatte nicht. Er denkt, dass die 20 Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst auch bei einer Schließung des ICC nicht um ihre Arbeit fürchten müssen. Irgendwo anders auf dem Messegelände sollen sie dann eingesetzt werden, das hat man ihnen versprochen. Dennoch würde er sich nur ungern vom Messezentrum trennen. „Wir leben für das ICC“, sagt Sanland.

Auch Benjamin Kallus-Schumann fühlt sich mit dem Gebäude eng verbunden. Als Leiter der Technik ist er verantwortlich für den Zustand und die Mängel des ICC. Seit 15 Jahren versucht er mit einem Team von zwölf Mitarbeitern das Kongresszentrum instand zu halten – die Kritiker konnte auch er nicht überzeugen. Obwohl das Gebäude doch etwas ganz Besonderes ist, zumindest für ihn. Soll er über das Haus erzählen, gerät der 42-Jährige ins Schwärmen: „Ein reines Kongresszentrum, die Messe gleich im Haus integriert, eines der größten in Europa.“ Er schmunzelt, spielt mit seinem mächtigen Schlüsselbund. Und erst die Architektur des Hauses. Die Besuchergruppen seien begeistert vom ICC, auch wenn es in die Jahre gekommen ist.

28 Jahre hat das „Raumschiff des Westens“ auf dem Buckel. Der Stil der 70er sei wieder modern, habe ihm vor kurzem ein Architekturstudent gesagt. Das freut Kallus-Schumann, sein Haus wird geschätzt. Neuerdings kommen sogar die Leute vom Film. Für den Kinostreifen „Alles auf Zucker“ wurden hier einige Szenen gedreht.

Über den Ideenwettbewerb für eine alternative Nutzung des ICC kann er nur lachen. „Alles Quatsch, einen Investor werden sie nicht finden. So eine Größe kann doch keiner kostendeckend betreiben“, sagt er. „Dann können sie gleich das Gelände einzäunen. Und davor einen Wachmann mit Hund setzen“, so Kallus-Schumann. Er glaubt ans ICC als Kongresszentrum. Von der Substanz halte das Haus noch weitere 20 bis 30 Jahre. „Es hat seine Macken, aber ich mag das Haus“, brummt er vor sich hin.

Doch die Macken können auch nerven. Zumindest Constanze Wölm. „Im Winter bin ich bis zu sechsmal im Monat hier“, sagt sie, „da ist es oft kalt und unangenehm.“ Das Lüftungs- und Heizungssystem setzt manchmal aus, für sie bedeutet das stundenlanges Frieren. Sie arbeitet an der Garderobe und nimmt den Besuchern die Mäntel und Taschen ab.

Mit ihrem schwarzen Band im Haar und ihrem zierlichen Gesicht will die junge Berlinerin nicht recht zum 70er Jahre Charme des ICC passen. Ihre älteren Kollegen mag das Gebäude verzaubern, Wölm findet es dagegen peinlich. „Das könnte schon ein Wahrzeichen für die Stadt werden. Dafür müsste es aber ein anderes Gebäude sein“, sagt sie. Sie zählt Mängel auf, nennt weitere Gründe, die für einen Abriss sprechen. Das ICC ist für sie ein Wrack, schon längst auf Grund gelaufen. „Manchmal kommt es mir hier vor, als wenn alles in die Brüche geht“, sagt sie.

Tobias Betz

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