zum Hauptinhalt
Ungemütlich. Keime fühlen sich im Kühlschrank nicht wohl. Dennoch sollten die Flächen regelmäßig gesäubert werden.

©  dpa/Christin Klose

Hygiene in der Küche: In der Gefahrenzone

Von wegen Toilette: Die Küche ist der wahre Hort für Keime in der  Wohnung. Doch wer normal putzt, muss nichts befürchten. Einige Tipps vom Hygienefacharzt Ernst Tabori.

Herr Tabori, neulich im Drogeriemarkt hatte ich eine Rolle Müllbeutel mit dem Aufdruck „antibakteriell“ in der Hand und war kurz in Versuchung, sie zu kaufen.

Das ist wirklich mit der größte Unfug, den man machen kann. Und zwar in Bezug auf den Schaden, den Sie damit der Umwelt und womöglich sogar sich selbst zufügen können. Sie setzen sich einem unnötigen Kontakt und gegebenenfalls der Belastung mit einem Biozid aus. Im besten Fall sind diese Mülltüten lediglich unschädlich. Wie soll das auch funktionieren? Wenn da antibakteriell wirksames Zinksalz aufgebracht ist, sitzt das an der Tüte, es ist also ausgeschlossen, dass sämtlicher Müll damit in Berührung kommen kann. Warum also gönnen wir den Bakterien nicht das kurze Vergnügen im Müllbeutel, bis die Tüte eh’ verbrannt wird? Ganz abgesehen davon wird Zinksalz mittlerweile sehr kritisch gesehen und steht im Verdacht, Wasserorganismen zu schaden.

Antibakterielle Substanzen sind also nicht per se eine gute Sache?

Eine antibakterielle Substanz wirkt biozid, soll also Bakterien töten. Davon auszugehen, dass diese Wirkung sich auf Bakterien beschränkt, wäre naiv. Nanopartikel etwa werden von unserem Körper aufgenommen. Was sie dann in uns verursachen, ist noch lange nicht abschließend untersucht. Bei einigen Substanzen aber wie Phtalaten – Weichmachern in Kunststoff -, Triclosan oder Ethinylestradiol wissen wir schon, dass sie schädlich sein können. Sie gelten als sogenannte endokrine Disruptoren, können also unser Hormonsystem aus dem Gleichgewicht bringen. In den USA ist es seit zwei Jahren untersagt, antibakterielle Seife mit Triclosan herzustellen. Das in der Antibabypille enthaltene Hormon Ethinylestradiol lässt sich am Auslass von Klärwerken konzentriert nachweisen. Mit Folgen: Fische, die in der Nähe leben, sind häufig verweiblicht. In den Everglades, ein Sumpfgebiet im Süden des US-Bundesstaates Florida, hat man Alligatoren mit geschrumpften Penissen gefunden und konnte das auf Ethinylestradiol zurückführen. Auch wenn die Folgen anderer Substanzen sich nicht so direkt mit dem Zollstock nachweisen lassen, sind sie nicht weniger potent.

Also habe ich in meinem Müll lieber Bakterien als antibakterielle Substanzen?

Absolut. Das, was Sie wegwerfen, tut Ihnen nichts mehr, Sie haben es aus der Gefahrenzone gebracht. Das ist wie beim Händewaschen: Sie spülen die Keime ins Abwasser. Da machen Sie sich doch auch keine Sorgen, wie Sie das Abwasser antibakteriell behandeln können.

Man liest immer wieder, nicht die Toilette, sondern die Küche sei der Keimherd in einer Wohnung.

Das ist vollkommen richtig und liegt schlicht daran, dass Sie in der Küche mit sehr vielen unterschiedlichen Substanzen hantieren: Fleisch, Fisch, Eier, mit Erdresten verschmiertes Gemüse. Jeder, der weiß, wie es in einem Schlachthof zugeht, weiß, dass das kein OP-Saal ist. Da werden die Därme von Rindern und Schweinen geleert und kommen mit dem Fleisch in Kontakt, das später verkauft wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass mehr als drei Viertel des Geflügelfleisches aus herkömmlicher Masthaltung mit multiresistenten Erregern wie dem Darmbakterium Escherichia Coli besiedelt waren. Gehen Sie also davon aus, dass jedes Stück Fleisch, dass Sie in der Küche bearbeiten, ganz sicher mit Keimen versehen ist – auch wenn natürlich nicht alle davon krankmachend sind. An sich ist das unproblematisch, die dürfen halt nur nicht in unseren Körper gelangen. Das Stück Fleisch kontaminiert alles, womit es in Kontakt kommt: das Schneidebrett, das Messer und vor allem Ihre Hände. Aber auch die Kühlschranktür, wenn Sie noch schnell was rausholen wollen. Die fasst kurz darauf jemand anderes an und schon hat er die Keime an den Fingern. Der Weg über Augen, Nase und Mund in den Körper ist dann kurz.

Genau genommen darf ich das Fleisch also nicht essen, will ich nicht das Risiko eingehen, an einen pathogenen Keim zu geraten.

Doch, natürlich dürfen Sie. Sie senken das Infektionsrisiko, indem Sie eine akribische Küchenhygiene einhalten. Und immer wieder Hände waschen, das ist generell die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor Krankheiten. Ich komme mir manchmal schon blöd vor, das immer wieder zu predigen, aber es ist auch erstaunlich, wie wenig Vorstellungskraft manche Menschen haben, wenn es um Keim- und Infektionsübertragungen geht. Wichtig: Fleisch, Fisch und Eierspeisen gut durchgaren. Dabei werden die Keime, die sich im und am Fleisch befinden, zerstört. Schon Luther predigte: Iss, was gar ist – trink, was klar ist – red’, was wahr ist. Er hatte sehr recht.

Was ist mit einem Steak medium?

Ich möchte niemandem vorschreiben, was er wie zu essen hat. Aber jeder sollte mögliche Risiken kennen und selbst entscheiden. Ich bin kein Freund von rohem Fleisch, es kann Keime und Parasiten übertragen. Pilze sollten ebenfalls gut gegart werden, sie sind sehr empfänglich für Schimmelpilze und Bakterien. Ansonsten: Halten Sie einfach Ihre Küche sauber.

Was mache ich mit Geschirrtüchern und Spülschwämmen?

Die geben Sie am besten mehrmals pro Woche in die Waschmaschine. In einem Spülschwamm verbleiben immer Reste von Eiweiß und Fett, auch wenn Sie den von Hand ausspülen. Dazu ist er feucht und im Warmen, ein Paradies für Bakterien und Pilze. Weil er im Zentrum nie richtig austrocknet, explodiert die Zahl der Keime bereits nach kurzer Zeit. Untersuchungen haben pro Gramm Spülschwamm mehr als 300 Millionen Keime gefunden. Zum Vergleich: Pro Quadratzentimeter Toilettensitz wurden unter 300 Keime gezählt.

Okay, das ist ein Argument.

Und noch lange nicht alles. Denn während unter den Bakterien auf dem Toilettensitz etwa fünf Prozent coliforme waren, also Darmbakterien, lag deren Zahl im Spülschwamm bei 80 Prozent. Deshalb gehört so ein Spülschwamm regelmäßig in die Wäsche – am besten bei 60 Grad. Ganz sicher geht, wer ein Vollwaschmittel verwendet. Dann arbeiten beim Waschvorgang neben der hohen Temperatur, den waschaktiven Substanzen und der starken Verdünnung auch noch Sauerstoffabspalter als Aufheller mit, die gleichzeitig desinfizierend wirken.

Eine saubere, trockene Oberfläche ist der natürliche Feind aller Keime

Ungemütlich. Keime fühlen sich im Kühlschrank nicht wohl. Dennoch sollten die Flächen regelmäßig gesäubert werden.
Ungemütlich. Keime fühlen sich im Kühlschrank nicht wohl. Dennoch sollten die Flächen regelmäßig gesäubert werden.

©  dpa/Christin Klose

Keime auf Fleisch, Fisch und Gemüse, ein permanent verseuchter Spülschwamm. Da scheint es absolut sinnvoll, wenigstens in der Küche alles ordentlich zu desinfizieren.

Wer desinfiziert, reduziert lediglich die Menge der vorhandenen Keime, indem er einige abtötet, sodass keine akute Infektionsgefahr besteht. Hinzu kommt, dass gar nicht alle Stellen etwas abkriegen, wenn Sie einfach drübersprühen; ein Teil des Biozids landet mit der Atemluft in der Lunge. Eine saubere, trockene Oberfläche ist der natürliche Feind aller Keime. Das schaffen Sie spielend mit einem normalen Haushaltsreiniger oder einer guten Seife. Da muss nichts aggressiv oder antibakteriell sein.

Für den Kühlschrank werden Stäbchen gepriesen, die man einmal knickt, reinhängt und die dann einen Monat lang dafür sorgen, dass die Lebensmittel länger frisch bleiben, weil sich Keime weniger schnell vermehren.

Der dort verwendete Stoff ist das Biozid Chlordioxid, das bei Raumtemperatur zu einem giftigen Gas wird. Um wirken zu können, muss es sich in einer gewissen Konzentration im Kühlschrank anreichern und kommt natürlich mit den Nahrungsmitteln in Kontakt und kann eindringen. Vor wenigen Jahren war der Aufschrei groß, als bekannt wurde, dass Hühnchenfleisch mit Chlorlösung desinfiziert worden ist. Aber jetzt hängt man sich die verteufelte Substanz in den Kühlschrank?

Wenn da doch die Keime sind?

Die ureigene Aufgabe des Kühlschranks ist es, das Keimwachstum zu reduzieren. Das gelingt hervorragend, wenn die Temperatur zwischen vier und sieben Grad Celsius liegt. Salmonellen zum Beispiel bilden bei Zimmertemperatur innerhalb von 30 Minuten eine neue Generation, im Kühlschrank brauchen sie dafür fünf bis sechs Mal länger. Dort ist es für ein Bakterium einfach nicht gemütlich, es teilt sich nicht mehr so gern. Wenn Sie jetzt noch darauf achten, die Flächen im Kühlschrank sauber zu halten und zum Beispiel Butterflecken zügig beseitigen, brauchen Sie sich innerhalb des empfohlenen Aufbewahrungszeitraumes um das Keimwachstum dort keine Sorgen zu machen.

Wie sieht es aus mit antimikrobieller Sportkleidung oder Unterwäsche? Die Sachen stinken dann nicht so schnell.

All diese antimikrobiell beschichteten Bekleidungsprodukte sind meiner Meinung nach blanker Unsinn. Wenn Sie Sport machen, schwitzen Sie. Fühlen Sie sich dann wohler in den Sachen, weil sie vielleicht etwas weniger riechen, wenn die eingebrachten Nanosubstanzen das Keimwachstum eindämmen? Das ist in etwa so, als wenn man das Badezimmer dick mit Raumspray überzieht, nachdem man auf der Toilette war. Der Dreck und meist auch der Geruch sind ja dennoch da. Ich sehe den Nutzen nicht. Vielmehr sehe ich eher die Gefahr, dass wir mit Substanzen in Berührung kommen, von denen wir noch nicht wissen, welchen Einfluss sie auf unsere Körperzellen haben.

Gesetzt den Fall, ich nehme es mit dem Putzen und Spülschwammwaschen nicht so genau: Wie groß ist die Gefahr, die von Keimen ausgeht?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern hängt vom Keim und den Umständen ab. Holt man sich Salmonellen, wird das für ein Kleinkind, ältere Menschen oder solche mit einem schwachen Immunsystem schnell auch lebensgefährlich. Holt man sich einen multiresistenten Escherichia Coli, macht der Ihnen vielleicht gar nichts. Aber es kann auch sein, dass sie den Keim irgendwo an den Händen spazieren tragen, wenn sie in den nächsten Tagen zum Blut abnehmen oder zu einer Untersuchung ins Krankenhaus müssen – dort genügen ein paar Handgriffe, und der Keim gelangt in Lunge oder Blutbahn, was ebenfalls sehr gefährlich werden kann. Wenn Sie normal putzen und alle besprochenen Maßnahmen einhalten, müssen Sie sich als immunkompetenter Mensch keine Gedanken machen. Und obwohl oft das Gegenteil behauptet wird: Aus Sicht der Infektionsprävention spielt es keine große Rolle, wie oft Sie Ihre Bettwäsche wechseln.

Das Gespräch führte Claudia Füßler. Ernst Tabori ist Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Infektiologe (DGI). Seit 2009 ist er Ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg.

Zur Startseite