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Berlin: Hubert Skolud (Geb. 1950)

Halbwahres, Unbewältigtes. Und die Suche nach der Wahrheit

Der Junge aus dem Bürgerhaus im Südwesten Berlins ist an Lebensenergie, Neugier und Entdeckerfreude kaum zu übertreffen. Und Ende der Sechziger bietet die Halbstadt jede Menge Schlupfwinkel, in denen Heranwachsende sich ohne Hilfe von außen erwachsen geben können. Hubert schreibt Gedichte und liest sie so vor, dass man glaubt, einem großen zeitgemäßen Ereignis beizuwohnen. Jedenfalls Gleichaltrige glauben das und Mentoren, die, ähnlich wie er, von Amerikas Beat-Poeten bezaubert sind. Andere halten dieselben Zeilen, Schrift und Klang für faulen Zauber.

Diese doppelte Wirkung wird Hubert Skolud sein Leben lang hervorrufen, er wird dem Glück und dem Fluch des Schreibens auch immer entfliehen: Durch Projektplanung, Betreuung fremder Vorhaben, Sprung und Sturz ins Feiern, aber vor allem durch Menschenfang. Seine schmalen Augen ziehen an, sein Lachen ist impulsiv, sein plötzlicher Ernst fordernd. Er fühlt sich ein in geheime Wünsche. Kann einer scheuen jungen Frau suggerieren, ihre Stimme würde bald Millionen erreichen und einem gemütlichen Taxifahrer, sein Mutterwitz sei bühnenreif. So weckt er Tatendrang und Erfolgswillen, aber auch Wut und Enttäuschung, wenn das Vorausgesagte nicht eintrifft.

Der Vielversprechende taucht auf im Kreis um Konstantin Wecker, damals auf den Wellen erster Erfolge, lehrt und lernt nicht nur, wie Verse zur Musik passen, sondern auch, mit welchen Hilfsmitteln sich Konzentration und Lebensfreude zur Leidenschaft steigern lassen. Wenn Skolud diesen oder einen anderen Kreis wieder verlässt, hat er sich Freunde und Feinde gemacht, aber kaum einer wird ihn vergessen. Und sein eigenes Gedächtnis behält all die Gestalten und kommt bei Gelegenheit auf sie zurück.

Später ist es der Kreis um die Musiker von Spliff, Nena und Interzone, stabile Freundschaften mit Jim Rakete und dem Schauspieler Guntbert Warns datieren aus jenen Tagen. Liedtexte, ein Buch über Neue-Deutsche-Welle-Bands, aber auch Jobs in der Grauzone zwischen Tourneebegleitung, Wohlfühl-Beschaffung und Pump ernähren ihn. Er schreibt an einem langen Roman, einem Liebesabenteuer im geteilten Deutschland. Heiratet eine Ärztin, Gegensätze ziehen sich an.

Skolud lebt bescheiden, doch mit teuren Gewohnheiten. Sich ein Doppelleben zu schaffen und damit zu kokettieren, kann zur Sucht werden. Wer ihn darin als anmaßend und rücksichtslos erlebt, wird bei anderer Gelegenheit gewonnen von seiner zärtlichen Aufmerksamkeit. Und vom Schalk: Bei einer Verhandlung mit einem Agenten aus der Filmbranche lässt Skolud einen Boy mit einem Pappreiter immer wieder stumm durch die Hotellobby laufen (Handys sind noch nicht erfunden): „Herr Skolud bitte ans Telefon“ – erfolgreiche Marktwertsteigerung.

Das Wachbleiben über Tage, sich Arbeitsergebnisse im Exzess abpressen, das Jonglieren mit den Nächsten auf einer Skala von „nur für den Moment“ bis „lebenslang“ – all das provoziert naturgemäß Erschöpfungszustände. Eine ererbte Blutkrankheit kommt dazu und verstärkt den Eindruck, hier treibe einer lustvoll Raubbau an sich selbst. Schon früh wirkt Hubert Skolud bisweilen verwirrt und wie vom Tode gezeichnet. Pathosumwehte Abschiede in großer Runde vor einem weiteren Krankenhausaufenthalt gestaltet und genießt er. Und erholt sich wieder, tritt leiser ins alte, weite Netzwerk ein. Berufliches Scheitern bremst ihn ebenso wenig: Sein Romanprojekt hat sich – angeblich – durch die Wiedervereinigung erledigt, aus der Drehbucharbeit für „Cobra Elf. Die Autobahnpolizei“ wird er nach den ersten vier Folgen hinausintrigiert. Mancher sieht einen feurigen Narren in ihm, der es versteht, doch immer neue, jüngere Menschen an sich, seine Liebenswürdigkeit und seinen Kunstglauben zu binden. In den letzten Jahren, in denen er sich sein Geld als Taxifahrer verdient, fühlt er sich verbunden mit der Weddinger Vorlesebühne „Die Brauseboys“.

Vielleicht ist es gar nicht erstaunlich, dass jemand, dessen Alltag so oft aus Jonglage von Halbwahrem, Verschwiegenem, Unbewältigtem besteht, sehr nach der Wahrheit verlangt. Im Schreiben wollte Hubert Skolud sie entdecken. Dass wir zu Hause sind, „wo Lügner Lügner Lügner nennen“, dies Nietzsche-Wort zitiert er oft, das gelte es zu überwinden.

Eine Krebskrankheit hat er gerade überwunden, lebt mit frischen Projekten am Start und der jungen Gefährtin seiner letzten Jahre, als er sich nach einer verzweifelten, von Wortwechseln und Telefonaten erfüllten Sommernacht vor ihren Augen aus dem Fenster stürzt. Manfred Maurenbrecher

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