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Berlin: Horst Walter (Geb. 1936)

Eine Stahlplatte aus der Mauer war Kunstobjekt, dann Arbeitstisch und Tresen

Vier Treppen, Hinterhaus. Am Türschild seiner Atelierwohnung sein Künstlername: HOKW. Dahinter liegt etwas schwer Beschreibliches, ein Erfahrungsraum in Sachen Farbrausch. Ein Lebenswerk, das nachts in Phosphorfarben glüht. Jeder Millimeter ist bunt, egal ob Wand, Stuhl, Decke, Boden oder Fenster. Es gibt keine Beschränkungen in diesem „Toleranzimperium“. Alles hängt mit allem zusammen, Tapes stellen Verbindungen zwischen übermalten Fotos, Objekten und Texten her. Jahre hat er hier gelebt, mäandernd, bis auf den Dachboden wuchert seine Kunst. Im Bad sein Medikamentenschrank: „Ich bin mein eigenes Versuchskaninchen“, steht in Neonschrift darauf. Und überall das Wort „Freiheit“ und das Brandenburger Tor, aber erklären muss das nichts. Gedankenmalerei nannte er seine letzte Phase, ein Gesamtkunstwerk, in das sein Leben aufgesogen wurde.

In Pankow geboren, drei Geschwister, ausgebombt, evakuiert an die Ostsee, Flucht nach Österreich und dann Herford in Ostwestfalen. 1949 die Rückkehr nach Berlin, der Vater, ein Lederhändler, drängt den Sohn in eine Lehre: Kunstschmied. Nur die Kunst wird bleiben, der Schmied bleibt auf der Strecke.

Am 17. Juni 1953 fährt Horst mit dem Rad zum Brandenburger Tor. Dort demonstrieren Arbeiter gegen die DDR-Regierung. Die Bilder bleiben, sie werden später zum Zentralmotiv seiner Kunst, übermalt, als wenn das Entsetzen damit gebannt werden könnte. Nach der Lehre arbeitet er als Gerüstbauer und Barmixer, 1962 macht er die „Rote Posaune“ auf, ein Künstlerlokal in einer Kriegsruine am Schöneberger Ufer. 1963 die „Peppermint Lounge“, Berlins erste Twistkneipe. Livemusik von den Lords und Drafi Deutscher, die Bude ist voll. Aber das reicht ihm nicht. Er geht nach Paris, lernt Picasso kennen und beginnt zu ahnen, was er vom Leben will. Eine Reise in die Sowjetunion Ende der Sechziger schafft Klarheit, das Archiv der Tretjakow-Galerie trifft seinen Nerv. Er beginnt zu malen. Ein Jahr Ibiza, Dali kennenlernen, Hippie sein, eine neue Identität – Boris Ivanov, der Felsen bemalt. Er schreibt ein Drehbuch mit dem Titel „Life“; realisiert wird der Film allerdings nicht.

Er lernt Gertrud kennen und lieben, sie wird seine Frau. Ein ungewöhnliches Paar, das auch die Liebe zur Kunst vereint. Sie bekommen drei Söhne, leben entweder auf Ibiza oder in Idar-Oberstein, wo sie eher zufällig gelandet sind. Horsts Kneipen, die „Hottes Dampfwalze“ oder „Olle Pumpe“ heißen, sind selbst gestaltete Gesamtkunstwerke. Die Studenten lieben sie. Als die Familie im Jahr 1979 nach Berlin zurückkehrt, gibt es für ihn nur noch die Kunst. Er produziert ohne Ende, Gertrud muss sich um den Alltag kümmern.

Die Söhne wachsen zwischen Farben und Formen auf. Sobald ein Atelier oder Schauraum vollgemalt ist, zieht Horst woanders hin. Jenseits aller ästhetischen Trends und Ökonomien entsteht eine Existenz, die sich trägt, weil sie in sich ruht. Sein erster Künstlername: „MALA!"“ Ein Eigenbrötler ist er nicht, Kommunikation und Vernetzung sind ihm wichtig. Auch wenn ihm nicht alle folgen können. Was er anzettelt, ist so bizarr wie „ART BRUTAL“. Mitte der Achtziger gründet er den Kunstverein „d'Art“ und die Zeitung „Kunstburg“ mit grafischen Originalen. Er erfindet Kunstaktien, setzt sich für die Erhaltung der Brauerei Engelhardt als Kulturstandort ein, tritt Politikern auf die Füße. Zur 750-Jahr-Feier Berlins schickt er ihnen selbst gestaltete Krawatten, sogenannte „Kulturbinder“, um sie an ihre Verantwortung zu erinnern.

1989 die Erfüllung seines Lebenstraums, die verhasste Mauer fällt, er kann jetzt mit dem Fahrrad durch das Brandenburger Tor fahren. Am Checkpoint Charlie hämmert er als einer der ersten auf das Bollwerk ein. Eine von den Grenzern eingesetzte Stahlplatte, die die Löcher ausfüllen soll, nutzt er als Kunstobjekt. Später wird sie Arbeitstisch und Tresen seiner letzten Wohnung. Er besetzt Grenzwachtürme, Grenzübergänge werden zu temporären Kunstorten, er baut „Kultursperren“ aus Relikten der Grenzbefestigung. Er spricht mit Soldaten, filmt, will die Zeit der großen Freiheit festhalten. Als künstlerischer Leiter der Ausstellung „Voltaire in Potsdam“ wieder Medienpräsenz. Sein Mauerspechtmuseum wird ebenso beachtet. Dass andere mit den bunten Betonstücken Geld verdienen, bleibt ihm völlig fremd. Er sucht Anschluss an Künstlerinitiativen wie das Tacheles und „endart“, in seiner neuen Galerie „Schaufenster“ am Arkonaplatz lesen Undergroundheroen, seine multimedialen Festivals tragen Namen wie „The SURVIVALbanKING – Ihr seid alle so unterschiedlich begabt“.

Im letzten seiner Schutzräume dann, in der Mansteinstraße, fällt er um, einfach so. Inmitten der Kunst. Und hinterlässt auch Texte über Bilder, die nicht mehr gemalt wurden. Aber seine Zeit hat er genutzt. Erik Steffen

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