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Berlin: Horst-Dieter Klock (Geb. 1935)

Eins nach dem anderen, vor allem nicht immer dasselbe

Dichter war er. Und Grafiker. Das L mit Pfeilspitze, auf Papier gepinselt und an die Wohnungstür geheftet, erinnerte ihn daran, Lotto zu spielen. Die durchgestrichene Glühbirne bedeutete: Licht aus!

Und Burgherr war er. Weit hinten in seiner verwinkelten Burg liegt das Zauberzimmer, mit Hüten, Puppen, Bildern und Büchern in freier Anordnung, mittendrin der Märchenthron, auf dem er saß und pinselte und schrieb.

Kindergeburtstage bei Horst-Dieter sollte man nicht verpassen. Einmal hat seine Tochter 20 Kinder eingeladen, sie wollten in den Zirkus gehen. „So“, sagte Horst-Dieter, „wir sind ja ein paar zu viel im Auto, deswegen, immer wenn ihr Polizisten seht, schön ducken, hört ihr!“ Dann sind die 20 Kinder in den gelben Ford Transit ohne Sitzbank geklettert und schauten in alle Richtungen nach Polizeiautos, und wenn einer rief „Polizei!“, dann duckten sie sich, und es war so aufregend, dass sich später alle nur daran und nicht an den Zirkus erinnerten.

Eigenartig genial auch die Schnitzeljagden zu Hause in der Burgwohnung. Das Versteck für den nächsten Hinweis ist der Kassettenrekorder, alle rennen hin, einer drückt die Abspieltaste, und eine dunkle Gruselstimme mit Horst-Dieter-Akzent erklärt, wo sich der nächste Schnitzel befindet. Im Luftballon.

Horst-Dieter bekommt viel später nicht dafür, aber irgendwie doch auch dafür das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Als er einmal Rückschau hält, überlegt er lange und sagt, er habe wohl nicht viel erreicht in seinem Leben. „Aber worauf ich wirklich stolz bin, sind meine fünf Kinder und die Berliner Märchentage.“ Die Märchentage sind sein sechstes Kind.

Und dann gibt es noch die Doktorarbeit, bewertet mit magna cum laude, handgetippt, 200 Seiten theater-theoretischer Diskurs. Der Doktortitel war sowieso ein Gewinn: Als „Doktor Klock“ trat Horst-Dieter vor seinem jungen Publikum auf und erzählte Märchen. Oder er rasselte mit einer Kette als „Hui Buh, das Schlossgespenst“. Sein Freund, Autor des gleichnamigen Buches, hatte ihn für Lesungen gebucht. Die gemeinsamen Auftritte waren äußerst erfolgreich.

Sein eigenes Buch heißt „Der Baum muss bleiben“, ein Ökomärchen, zeitgemäß für die siebziger Jahre.

Weil der Beruf des Märchenerzählers nicht zum bürgerlichen Kanon gehört, wurde Horst-Dieter Vermessungstechniker. Eigentlich hätte er wie sein Papa Beamter werden sollen, bei den saarländischen Elektrizitätswerken, doch dieses Schicksal blieb ihm erspart. Schauspieler, Literat, Grafiker und Intendant könnte er ja alles später noch werden, dachte er sich. Eins nach dem anderen, vor allem nicht immer dasselbe. Pfarrer zu werden, hatte er auch mal erwogen, aber seine erste große Liebe war katholisch, er evangelisch, deshalb wurde nichts daraus. Das hat Horst-Dieter der Kirche übel genommen. Und wohl auch seinen strengen Eltern.

1965 kam er nach Berlin, da war schon der erste Sohn auf der Welt. In Schöneberg fand die kleine Familie eine Wohnung, die weniger Mark kostete als sie Quadratmeter hatte. Das riesenhafte Altbaurefugium mit Fischgrätparkett wurde Horst-Dieters Schaltzentrale. Hier wurden Partys gefeiert, physikalische Experimente ersonnen, Pflanzen gezüchtet, Projekte geplant. Und Kinder erzogen. Die Süßigkeiten hingen in einem Korb ganz oben unter der Burgdecke. Das schärfte die Fantasie.

Die Zimmerflächen füllte er mit ausrangiertem Mobiliar, die Wände mit Kunstwerken aus eigener Produktion. Eine Kommode wurde zum Lager für Proben von Sand, Kieseln und Steinen aus dem Urlaub. An seine Sakkos heftete er selbstgemalte Buttons mit Sinnsprüchen: „Man darf nicht aufhören anzufangen.“

Ein kleines Oktavheft nahm Zeichnungen und Gedichte auf, signiert und datiert mit exakter Uhrzeit: „Blätter im Wind – Lieder & Aphorismen“. Als armer Poet verstand er sich, als Lebenskünstler, dessen Glück darin besteht, nie unglücklich zu sein, wenn andere es wären.

Morgens beim Frühstück öffnete er das Fenster zum Hof und ließ sich von den Vögeln unterhalten. Er schmierte die Schulbrote für die Kinder und widmete sich seinen Studien an der Universität. Als der Doktortitel endlich erreicht war, bewarb sich Horst-Dieter mit einem Foto, das einen kühlen, zu allem entschlossenen Nachwuchsnobelpreisträger ahnen lässt. Er wurde Regieassistent bei Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“ und durfte eine kleine Rolle übernehmen.

Später beriet er David Bowie in „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, machte die Pressearbeit für „Chronos Film“ und war zwischendurch arbeitslos. Ein gutes, weil abwechslungsreiches Erwerbsleben, fand Horst-Dieter, doch blieben seit Mitte der achtziger Jahre die Aufträge aus. Immerhin gab es noch den Hauswartsjob und bald eine Stelle als Archivar an der Technischen Universität.

1990 machte Horst-Dieter in der „Neuen Gesellschaft für Literatur“ den Vorschlag, den Untergang der Märchenerzählkultur aufzuhalten: mit den „Berliner Märchentagen“. Zehn Jahre lang war er ihr hauptamtlicher Leiter und Autor.

Alles Märchenhafte ist noch da auf seiner Burg, im Zauberarbeitszimmer. Nichts wegwerfen, hat er immer gesagt, man weiß ja nie. Und nun ist er selber verschwunden, der Mann auf dem Thron, der Krebs hat ihn geholt, wie drei Jahre zuvor schon seine Frau, für die er den Regenbogen verbogen hatte. Thomas Loy

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