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Tuff, tuff, tuff, die Eisenbahn. Die Ringbahnen, Regios, ICEs und Güterzüge, die unter der Verbindungsbrücke von Dänen- und Sonnenburger Straße durchrattern, erfreuen fast alle Kinder im Arnimkiez.

© Constanze Nauhaus

Hör mal, wer da hupt: Anwohner im Prenzlauer Berg genervt von tutenden Zügen

Winkende Kinder, tutende S-Bahnen, genervte Anwohner: In Prenzlauer Berg schwelt seit Jahren ein Streit an der Bahntrasse. Dieser könnte bald beigelegt sein.

Ein klassischer Vormittag im Arnimkiez: Auf der schmalen Fußgängerbrücke zwischen Dänen- und Sonnenburger Straße steht eine kleine Gruppe Kitakinder. Sie winken den unter der Brücke durchfahrenden S-Bahnen zu, manche Zugführer winken zurück. Manche hupen sogar, dann ist die Freude oben groß.

Allerdings nicht bei allen. Ein Mann kommt auf die Gruppe zu, er wendet sich an die beiden Erzieherinnen. Man sieht ihn gestikulieren, diskutieren. „15 Hupen in zwei Stunden, das halte ich nicht aus, ich kann nicht arbeiten!“, sagt er später. Seit sieben Jahren wohnt er hier, direkt neben der Bahntrasse, auf der nicht nur S-Bahnen verkehren, sondern auch Regios, ICEs – und sehr, sehr laute Güterzüge. Auf 110 Dezibel bringe es so eine Zughupe, etwa so viel wie ein Flugzeug, das hat er im Internet recherchiert. „Ich ertrage den Zuglärm, die nächtlichen Schleifarbeiten, die Güterzüge, die unser Haus vibrieren lassen. Aber den Spaß am unnötigen Lärm, den ertrage ich nicht.“ Gespräche mit Eltern oder Erzieherinnen führe er immer wieder, sie brächten nichts, sagt er.

Die Fronten haben sich in den letzten Jahren verhärtet. „Klar,“ sagt ein Vater, der mit seinen beiden Töchtern öfter herkommt. „Die kleinen Großstadtkids freuen sich wahnsinnig, wenn der Zugführer hupt oder winkt. Es ist ein Highlight ihres Tages. Vor allem in Coronazeiten.“ Auch er will, wie alle Beteiligten, nicht mit Namen in die Öffentlichkeit – man lebt eben eng zusammen im Viertel.

Die Hupgeschichte sei exemplarisch für den Kiez, sagt ein anderer Anwohner. „Die Brücke war bis vor ein paar Jahren vereinsamt. Mittlerweile ist das die reinste Ameisenstraße.“ Je dichter die Ballung, sagt er, umso mehr bestehe jeder auf seinem Recht. Oder dem, was er für sein Recht halte. „Es wäre hilfreich, wenn jeder das Verhältnis fände zwischen dem, was er selbst will und dem, was er anderen zumutet.“

An den Tag, als die Situation eskalierte, können sich alle erinnern

An den Tag, als die Situation eskalierte, können sich alle erinnern: Aus einem Fenster flog eine Wasserbombe, wenig später standen mehrere uniformierte Beamte im Hof. Wer denn hier Gegenstände aus dem Fenster auf die Gleise werfe? Auf die Gleise, auf Kitakinder, auf eine Erzieherin – wer da getroffen wurde oder nicht getroffen werden sollte, oder nur ein bisschen, ist zwei Jahre später nicht mehr ganz klar.

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Fest steht: Der Ballon flog, und zwar in eine bestimmte Richtung. Die Kitaerzieherin, die das Geschoss damals fast abbekommen hätte, macht das noch heute fassungslos. Sie könne die Aggression den Kindern und Erzieherinnen gegenüber nicht nachvollziehen, „denn wir hupen ja nicht! Und wir halten auch kein ‚Bitte hupen!‘-Schild hoch.“

Wer ist dann für das Hupen verantwortlich? Die winkenden Kinder? Die zum Winken animierenden Erwachsenen? Die Zugführer? Die Deutsche Bahn? Das Bezirksamt? Letzteres erklärt in Person von Ordnungsstadtrat Daniel Krüger (parteilos, für AfD) knapp, Verkehrslärm liege nicht in der Zuständigkeit des Bezirksamtes und verweist auf die Senatsverwaltung.

Besteht kein Notfall, dürfen Züge im Stadtgebiet nicht hupen, wie Autos

Und nach ein paar Extrarunden kommt man letztendlich um die Lärmschutzverordnung nicht herum, die besagt: Lokführer dürfen, müssen dann ein Hupsignal geben, wenn Gefahr, etwa durch eine Person am Gleis, besteht. Das heißt im Umkehrschluss: Besteht kein Notfall, dürfen Züge im Stadtgebiet nicht hupen, wie Autos. „In diesem speziellen Fall hupen einige jedoch, um auf Kinder, die ihnen von der Brücke aus zuwinken, zu reagieren und um ihnen damit eine Freude zu machen“, sagt eine Sprecherin der S-Bahn dem Tagesspiegel. „Das sind jedoch Ausnahmefälle.“

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Die vielleicht auch bald verstummen. „Wenn ich keine Kinder hätte“, räumt der Vater auf der Brücke ein, „wäre ich wahrscheinlich auch ziemlich genervt von dem Gehupe.“ Auch die Kitaerzieherin sagt, das Spannendste seien sowieso die Züge an sich. Wie sie aus dem Tunnel kommen, unter der Brücke durchrauschen.

Warten, wann und wo welcher Zug als nächstes kommt. Handelt es sich hier also nur um ein seit Jahren unausgesprochenes Missverständnis, um unausgesprochene Erwartungen zwischen Kindern und Zugführern? Man habe letztere nun jedenfalls angewiesen, „dieses Hupen“ künftig zu unterlassen, teilt die S-Bahn-Sprecherin mit. „Damit sich die Anwohner dadurch nicht gestört fühlen.“ Vielleicht kehrt nun etwas mehr Ruhe ein im Arnimkiez. Und ein bisschen Frieden.

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