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Am Tresen des Hygiene-Centers der Stadtmission gibt’s gratis Deos, Seifen, Zahnputzzeug und vieles andere.

© Thilo Rückeis

Hitze in Berlin: In der Bahnhofsmission herrscht Andrang wie im härtesten Winter

Wegen der Hitze suchen derzeit besonders viele obdachlose Menschen die Bahnhofsmission auf. Hier erhalten sie das Nötigste: Wasser und im Hygiene-Center eine Dusche, frische Wäsche, Deos.

Der Mangel an Socken ist ein echtes Problem in diesen heißen Tagen. Stürmt ein Mann zu Freya Bulgurcus Tresen in der Jebensstraße 5 am Bahnhof Zoo. Kurze, gefranste Jeans, blaues T-Shirt, etwa 30 Jahre alt. „Freya!“, ruft er. „Haste neue Socken? Meine sind verschwitzt, zu eng.“ Antwort: „Nee, hab’ ich nich. Sowas spenden die Leute fast nur im Winter.“

Wir befinden uns im Hygiene-Center für obdachlose Menschen der Berliner Bahnhofsmission. Hier herrscht zur Zeit mehr Andrang als an kältesten Wintertagen. Duschen, Haare waschen, zur Toilette gehen, rasieren, endlich so richtig frisch machen, den Schweiß loswerden, neue Unterwäsche – alles kostenlos für etwa zwanzig Männer und Frauen jeden Alters, die am Sonnabend um die Mittagszeit gerade draußen warten.

Hitzerekord in Berlin, das heißt: Hochsaison beim Getränke- und Erfrischungsservice der Bahnhofsmission. Aber die Spendenbereitschaft für Obdachlose folgt dem nicht. Hilfe scheint im öffentlichen Bewusstsein nur in der kalten Jahreszeit geboten. Deshalb freut sich Freya Bulgurcu, hauptamtliche Betreuerin des Hygiene-Centers, wenn Privatleute oder Firmen auch in diesen Tagen vielerlei Dinge als Spende vorbeibringen, die ihren Gästen den Alltag bei mehr als 35 Grad im Schatten erleichtern: Sonnencreme, Deos, Duschgel, Shampoos, Parfum, aber auch Zahnputzzeug, Trockenrasierer, Second-Hand-T-Shirts- und Unterwäsche.

Wasserautomat sehr gefragt

Die Charlottenburger Zentrale der Bahnhofsmission ist zur Zeit ein Hotspot für hunderte Obdachlose, die sich hier versammeln und teils auch vor den Türen oder im nahen Durchgang mit den Gepäckschließfächern übernachten. Rechterhand in der Kantine, in der zu festen Zeiten Essen ausgegeben wird, steht ein großer Wasserautomat mit stillem und Sprudelwasser. Die Berliner Wasserbetriebe haben ihn gespendet, sie warten und befüllen den Automaten gratis. „Jetzt ist er der Renner“, sagt Bulgurcu. Manchmal stehen die Menschen davor Schlange.

Alles, was hier am Tresen steht, haben Berliner dem Hygiene-Center für Obdachlosen gespendet.
Alles, was hier am Tresen steht, haben Berliner dem Hygiene-Center für Obdachlosen gespendet.

© Thilo Rückeis

Links neben der Kantine befindet sich der separate Eingang zum Hygiene-Center, in dem die 45-Jährige arbeitet. Von 10 bis 17.45 Uhr ist es täglich geöffnet. Es gibt vier Duschkabinen für Männer, zwei für Frauen und eine für Gäste mit Behinderung. Außerdem Toiletten, Waschbecken, kurz: das übliche Programm eines jeden Badezimmers.

Etwa im halbstündigen Rhythmus bittet Freya Bulgurcu eine neue Gruppe ins Center. Vorher werden Duschen und Toiletten von Mitarbeitern einer Reinigungsfirma jeweils gesäubert und desinfiziert. Und gleich hinter der Eingangstür rechts steht sie in einem kleinen Raum, sieht aus wie ein Shop, hinterm Tresen. Buntes Blumenkleid, volle, hochgesteckte Haare, gewinnendes Lächeln. Drei Jahre lang hat Bulgurcu den Job, damals einmal pro Woche, ehrenamtlich gemach. Inzwischen ist sie fest angestellt. „Es ist kaum zu glauben aber wahr“, sagt sie. „Es gibt nur zwei solcher Hygiene-Center für Obdachlose in ganz Europa.“ Der Papst sei am schnellsten gewesen. „Er richtete das erste im Vatikan ein. Das zweite sehen Sie hier.“ Es wurde im Dezember 2015 mit Unterstützung der Deutschen Bahn und des Senats eröffnet.

Drogerieartikel für Bedürftige

Auf dem Tresen stehen Sonnencremes und Deos aufgereiht, daneben Rasierwasser und zwei Flaconfläschchen: „Frau Tonis Parfüm, Typ Bogota Berlin“. Bulgurcu bittet die nächste Gruppe herein. Alle Männer, drei sind jünger, sprechen polnisch und rumänisch, daneben ein gut 70-Jähriger mit zotteligem Vollbart und langem weißen Haar. „Was wünschen die Herren?“, fragt sie. „Alles komplett?“ Zwei sagen „ja“ und bekommen das Komplettpaket – vom Handtuch und Waschlappen bis zu Rasierzeug, Zahnputzset, Kamm. T-Shirts holt Bulgurcu aus Schubladen, die Einmal-Zahnbürsten sind eingeschweißt, Handtücher kommen anschließend in die Waschmaschine.

Freya Bulgurcu spricht höflich, sagt „Sie“, kaum „Du“, es sei denn, sie kennt einen der Obdachlosen schon länger. Sie wünscht beim Abschied einen „guten Tag“ und mahnt: „Passen Sie auf sich auf:“ Wer will, kann sich aus einer Krabbelkiste noch rasch ein Stückchen Seife einstecken oder Tampons. „Nur weil ein Mensch keine Wohnung hat, ist er ja nicht weniger wert“, sagt die Helferin. Jeder verdiene Respekt. Aber sie findet auch den gebotenen, freundlich-bestimmten Konterton, wenn einer zickig wird wie Thorsten, der plötzlich vorprescht, seine Mähne schüttelt und schimpft: „Ich muss jetzt duschen, ich kann nicht mehr!“

Natürlich lernt sie bei alledem ihre Stammgäste kennen – zu mehr als 80 Prozent Männer – hört Geschichten und erfährt, wer dringend besondere Hilfen braucht. Zur Zeit sind dies beispielsweise Alkoholsüchtige, die starke Hautverbrennungen haben. Sie schlafen draußen im Schatten ein. Aber sie merken nicht, wie die Sonne wandert und sie irgendwann voll bestrahlt.

Draußen wartet Stephan neben einem großen Tramper-Rucksack noch immer auf die ersehnte Dusche. Stephan, Mitte fünfzig, war Gelegenheitsarbeiter ohne festen Wohnsitz in Hamburg, bis er sich vor Kurzem entschloss, nach Berlin zu fahren. „Muss ja an die Rente denken“, sagt er. Will sich an der Spree nun einen Job und ’ne Wohnung suchen. Will sein Leben „konkreter machen“. Noch schläft er nachts am Alexanderplatz.

Aber jetzt erst mal die Dusche! Man sieht Stephan die Vorfreude an. Ist schon seine zweite heute im Hygiene-Center – „bei dieser Hitze“.

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