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Zürückbleiben, bitte!

© Doris Spiekermann-Klaas

Heimat Hauptstadt: Nennt mich nicht Berlinerin!

Ich lebe in dieser Stadt nur, weil ich mich nicht zugehörig fühlen muss. Wie ein Entwicklungshelfer in einem Krisengebiet – diese Distanz tut gut. Eine Polemik.

Es ging um wettergerechte Bekleidung, als jemand mit Blick auf meine Daunenjacke frotzelte, die Berliner würden sich wohl nach Datum statt nach Temperatur anziehen. Und ich? Zuckte zusammen und rief: „Ich bin aber keine Berlinerin!“

Es war eher ein Reflex als eine ordentliche Antwort, hervorgebracht in einem derart entrüsteten Ton, dass ich mich sogar selbst kurz wunderte.

Ich lebe seit mehr als 20 Jahren in dieser Stadt und das in der Regel gern. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich hier eingemeindet werden möchte.

Im Gegenteil: An fast jedem Tag denke ich mindestens einmal, dass ich hier nur deshalb gern lebe, weil ich mich eben nicht zugehörig fühlen muss. So kann ich nämlich eine sehr angenehme Distanz wahren. Ein bisschen wie bei den Entwicklungshelfern in einem Krisengebiet. Sie sind da und sie engagieren sich, aber was da um sie herum ist, ist nicht ihrs. So geht’s mir auch. Ich wohne hier nur. Der Rest ist Zaungast.

Hirnrissige Stadtplanung, kleinkarierte Lokalpolitik

Während der vielen Debatten um das Zugehörigkeitsgefühl der „Menschen mit Migrationshintergrund“ haben immer alle meine volle Solidarität, die auf ihren Wurzeln bestehen, die sich nicht eingemeinden lassen wollten. Ich empfinde genau wie sie. Und das ist eine Frage des Prinzips und nicht der Lage der Herkunftsortes.

[„Nennt mich Berlinerin!“ – die Antwort auf diesen Artikel lesen Sie an dieser Stelle]

Andererseits: Wenn sich niemand außer den wirklich Eingeborenen für die Stadt wirklich zuständig fühlt, dann kann hier nie etwas besser werden. Dann geht es einfach immer so weiter mit dem ganzen Dysfunktionalen, das Berlin auch und an manchen Tagen vor allem ist. Ob gestörte Verkehrsführung, hirnrissige Stadtplanung, der hingeworfene Abfall überall, das mancherorts komplett verwahrloste Alki- und Drogenelend, die kleinkarierte, uninspirierte Lokalpolitik.

Und dann tut die Stadt mir leid, weil ich sicher nicht die Einzige bin, die so zaungastig denkt, sondern eher eine von Hunderttausenden Zugezogenen. Vielleicht haben sie alle wie ich irgendwann mal sehr genossen, dass man hier ankam, ohne dass es irgendwen interessierte. Da lag ein Freiheitsversprechen drin, das sich für viele erfüllt haben dürfte.

Aber dann ist dieses Ist-auch-egal-ob-du- da-bist-Gefühl nie wieder vergangen. Es hat sich stattdessen zu einem Anwesenheitsselbstverständnis verfestigt, in dem nun umgekehrt auch die Stadt nur noch eine Adresse ist.

Mitte-Chic und Kreuzberg-Schlunz

Befeuert wird das noch von dem Umstand, dass nahezu alles, was an Berlin gut, interessant, cool, überregional bekannt und vielleicht sogar liebenswert ist, von Nicht-Berlinern auf die Beine gestellt wird: die Cafés und Kneipen, die Musik, die Märkte, die Hilfsangebote, die Clubs, die Start-ups, der Mitte-Chic, der Kreuzberg-Schlunz, der so genannte Lifestyle – einfach alles.

Und das, was die wirklichen und echten Berliner und Berlinerinnen dazu beitragen, was ist das eigentlich? Sollte sich das in Gemecker, Gemotze, Genöle und Verhinderungsverrenkungen – Stichwort Verwaltung – erschöpfen?

Da will dann natürlich auch keiner zugehören – also ich jedenfalls nicht. „Sind Sie Berlin genug?“, hat diese Zeitung vor einigen Wochen gefragt und dazu einen (wirklich lustigen) Test entwickelt. Aber die richtige, die entscheidende Frage ist natürlich eine andere: „Haben Sie von Berlin genug?“

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