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Die Probleme der Hebammen waren nur Teil der Anliegen, die bei der Demo laut wurden.

© Kai-Uwe Heinrich

Hebammen-Krise: Wenn Idealismus nicht mehr reicht

Die Hebammen: überlastet. Die Gebärenden: alleingelassen. Bei der Großdemo zum Frauentag in Berlin wurde auch für eine bessere Geburtshilfe protestiert.

Am Frauentag gingen in Berlin tausende Menschen auf die Straße, um für Gleichberechtigung ein Zeichen zu setzen. Am Robert-Koch-Platz gab es einen Sitzstreik, ein großer Demonstrationszug mit einigen tausend Menschen war vom Alexanderplatz zum Oranienplatz unterwegs. Mit dabei: Hebammen und Eltern, die gegen die aus ihrer Sicht unhaltbaren Bedingungen in der Geburtshilfe protestierten. Aus diesem Anlass haben wir Hebammen und Mütter zu ihren Erfahrungen und Forderungen befragt.

Die vielbeschworene Krise der Geburtshilfe äußert sich in vielen Dimensionen, ob Hebammen zu wenig Geld für zu viel Verantwortung bekommen, Kreißsäle schließen oder Eltern und Kinder Gewalt bei der Geburt erfahren. Drei Frauen berichten über die aktuellen Probleme und erklären, wie Abhilfe geschaffen werden kann.

Die engagierte Mutter

Hannah Elsche arbeitet in Berlin als Kunsttherapeutin mit Frauen auch zu den Themen Schwangerschaft und Geburt und engagiert sich als Gruppenleiterin bei Mother Hood, einer Elterninitiative zum Schutz von Mutter und Kind während Schwangerschaft, Geburt und erstem Lebensjahr. Der Verein erhebt zehn Forderungen für eine sichere Geburtshilfe, darunter eine bessere Vergütung für geburtshilfliche Leistungen sowie einen besseren Personalschlüssel für die Betreuung von Geburten.

Für die zweifache Mutter ist die wichtigste Forderung, dass sich im Kreißsaal je eine Hebamme um eine Gebärende kümmern soll – nach Angaben von Mother Hood können es aktuell drei oder mehr Geburten pro Hebamme werden. „Ein Problem bei der Geburt ist, dass Frauen häufig allein gelassen werden, weil Hebammen mehrere Geburten gleichzeitig betreuen müssen. Wenn Frauen mit dieser auch emotionalen Herausforderung allein gelassen werden, kann es zu einer Traumatisierung während der Geburt kommen“, sagt Hannah Elsche.

Sie erwartet ihr drittes Kind und plant, sich bei der Geburt von einer Beleghebamme begleiten zu lassen. Beleghebammen arbeiten freiberuflich, schließen aber Verträge mit Kliniken, um die Einrichtung für die Geburt nutzen zu können. Sie begleiten die von ihnen betreuten werdenden Mütter vor, während und nach der Geburt. So ist unter der Geburt eine 1:1-Betreuung gewährleistet.

Außerdem liege daher die Kaiserschnittrate liege in Deutschland deutlich über dem von der Weltgesundheitsorganisation für medizinisch notwendig befundenen Maß. Es käme zu häufig zu Eingriffen in den natürlichen Geburtsverlauf, die weitere Interventionen nach sich ziehen würden. „Daher erleben Frauen häufig, dass geburtsbeschleunigende Maßnahmen eingeleitet würden“,  so Elsche. Dann würde zum Beispiel die Fruchtblase künstlich geöffnet. Das sei aber nicht natürlich, es könne dadurch zu einer Interventionskaskade kommen. Dann brauche es immer weitere Eingriffe, um die Geburt durchzuführen.

Abhilfe könnte aus Sicht von Elsche eine verbesserte Betreuungssituation schaffen: „Wenn die Betreuung eins zu eins durchgeführt wird, also immer eine Gebärende durch eine Hebamme betreut wird, kann die Hebamme viel feinfühliger auf die Bedürfnisse der werdenden Mutter eingehen.“ Im Kern handele es sich also „um eine riesengroße Personalfrage“, fasst die Kunsttherapeutin zusammen. "In Berlin müssen Kreißsäle wegen Überfüllung schließen, was wiederum den Stress in den verbliebenen Kreißsälen verstärkt."

Die Hebamme

Simone Logar ist Zweite Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands. Über die Situation in den Kliniken sagt die Hebamme: „Aufgrund der aktuellen Arbeitsbelastung und schlechten Bezahlung sind viele Kolleginnen schon nach kurzer Zeit nicht mehr bereit, im Kreißsaal zu arbeiten.“ Viele Stellen blieben unbesetzt, weil Hebammen nicht bereit seien, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. So würden sich immer weniger Menschen für den Beruf entscheiden, die Lage verschlechtere sich immer weiter. „Wenn die Kapazitäten im Kreißsaal nicht ausreichen, wird die Situation auch für die Eltern immer schwieriger.“ Es sei fatal, wenn Gebärende aufgrund der Kapazität in andere Kliniken geschickt würden.

Bei freiberuflichen Hebammen sei das Vergütungsniveau ebenfalls nicht hoch, außerdem sei die Arbeit in Vollzeit mit dem Familienleben nur schwer vereinbar. „Aber die Betriebskosten sind so hoch, dass sich die Tätigkeit für freiberufliche Hebammen nur in Vollzeit lohnt“, erläutert Simone Logar, die als Beispiel für die Betriebskosten Parkgebühren und Bürokosten nennt. „Auch hier bräuchte es attraktivere Modelle.“ Für die Tätigkeit von Hebammen in Kliniken fordert Simone Logar mehr Personal, eine bessere Bezahlung und weniger tätigkeitsferne Aufgaben. Auch freiberufliche Hebammen sollten besser vergütet werden. „Eine weitere Entlastung wäre eine Senkung der Betriebskosten“, sagt Logar. Auch mietfreie oder mietreduzierte Räumlichkeiten und Hebammenzentren seien wichtig, damit die Hebammen hier Kurse und Beratungen abhalten könnten.

Hebammen und Eltern beteiligten sich am großen Demozug, der am Frauentag vom Alexanderplatz zum Oranienplatz führte.
Hebammen und Eltern beteiligten sich am großen Demozug, der am Frauentag vom Alexanderplatz zum Oranienplatz führte.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Zweite Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands wünscht sich zudem mehr zukunftsweisende Arbeitsmodelle für Hebammen. „Wir müssen mehr für die Work-Life-Balance tun. Denn Hebamme ist ein Beruf für Idealistinnen.“ Doch das hohe Maß an Verantwortung verlange den Hebammen viel ab. „Idealismus allein reicht nicht, damit man diesen Beruf, den man mit Herzblut gewählt hat, bis zur Rente ausüben kann.“ Es brauche neue Konzepte, wie Hebammen gut organisiert zusammenarbeiten können, um alle Anforderungen, Beruf und Freizeit, gut zu vereinbaren. 

Die Vereinsgründerin

Die Gymnasiallehrerin Mascha Grieschat hat die „Initiative für eine gerechte Geburtshilfe“ gegründet und fordert eine traumasensible Betreuung aller Gebärenden. Gewalt bei der Geburt kann verschiedene Formen haben: Ein unsensibler, ruppiger Umgang mit Gebärenden. Medizinisch unnötige Interventionen ohne Zustimmung der Patientin, die massiven Einfluss auf den Geburtsverlauf haben können, bis hin zum ungewollten Kaiserschnitt. Ausübung von verbaler bis hin zu körperlicher Gewalt. Gerade weil Gebärende in einer absoluten Ausnahmesituation sind, kann Fehlverhalten von Hebammen und Ärzten psychisch schwere Folgen haben. Umgekehrt gilt: Gerade in akuten Notsituationen unter der Geburt kann auch als traumatisierend empfunden werden, was medizinisch schlicht notwendig ist.

Mascha Grieschat verweist auf Studienergebnisse, nach denen zwischen rund 4 und rund 16,6 Prozent  aller Mütter an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. „Aber wenn auch Patientenrechtsverletzungen und Respektlosigkeit gegenüber den Gebärenden berücksichtigt werden, könnte Gewalt in der Geburt mehr als 50 Prozent aller Gebärenden betreffen“, so die Mit-Initiatorin der Roses Revolution.

Dieser Aktionstag macht auf Gewalterfahrungen in der Geburt aufmerksam, indem Betroffene und Angehörige Rosen und oft auch anonyme Briefe an den Orten ablegen, an denen sie Gewalt bei der Geburt erfahren haben. „Manche leiden unter Albträumen oder können ihr Kind nicht richtig annehmen. Durch das Niederlegen der Rosen und die Briefe können sie anonym auf ihre traumatischen Erfahrungen hinweisen.“

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Als Beispiele nennt Mascha Grieschat die dauerhafte CTG-Überwachung, die die Herztöne des Kindes und die Wehen der Mutter anzeigt. Dabei gebe es eine hohe Rate falsch positiver Tests, die eine Auffälligkeit anzeigten und dann zu einer schnelleren Geburt mithilfe von Saugglocke oder Dammschnitt führten, obwohl diese medizinisch eigentlich nicht notwendig sei. „Das kann physische und psychische Traumata mit sich bringen“, betont Grieschat und nennt Schlüsselbeinbrüche und Verletzungen der Kopfhaut bei den Neugeborenen. Dies führt zu der grundlegenden Frage, wo Gewalt anfängt. Für einige, so Mascha Grieschat, bedeute die dauerhafte Überwachung Sicherheit, für andere aber eine Form struktureller Gewalt. Während eine CTG-Überwachung zu Kaiserschnitten führe, um Kinder schneller zu gebären, stehe dann kein Team bereit, wenn ein echter medizinischer Notfall einen weiteren Kaiserschnitt notwendig mache.

"Die Betreuungssituation ist desaströs"

Die Organisatorin der Roses Revolution sagt: „Die Betreuungssituation ist desaströs.“ Im Kreißsaal müsse sich eine Hebamme oft gleichzeitig um drei werdende Mütter kümmern, Komplikationen könne sie dabei nicht erkennen. Doch auch wenn wie im Idealfall für jede Gebärende eine Hebamme zuständig sei, könne es zu Erfahrungen wie verbaler Gewalt oder der Verweigerung einer freien Wahl der Geburtsposition kommen. Oder die Frauen bekämen gegen ihren Willen Medikamente verabreicht oder einen Dammschnitt.

Auch die Situation des Vaters – oder bei lesbischen Paaren der Partnerin – kritisiert Mascha Grieschat: Sie müssten die Position der Hebamme übernehmen, wenn diese die Gebärende verlasse, um nach einer anderen Frau zu sehen. Wenn die Gebärende aber beispielsweise enorme Schmerzen habe, gebe es keine Unterstützung für ihre Begleiter, die durch einfache Massagen helfen könnten – wenn sie nur wüssten, wie.

Für Mascha Grieschat ist es wichtig, dass die Fortbildung von Hebammen verbessert wird. Supervision sei wichtig, damit über die Gründe des gewaltvollen Handelns offen gesprochen werden könne. „Hebammen können eine starke Machtposition einnehmen, beispielsweise sind sie die ersten, die die Neugeborenen berühren. Diese Erfahrung kann die Hebammen zu unglaublich positiven und verantwortungsbewussten Menschen machen. Die Macht kann aber auch von Ärzten und Hebammen missbraucht werden. Darüber muss offen gesprochen werden.“

Eine Chance für Verbesserungen sieht Mascha Grieschat in den Zielen der International Childbirth Initiative („Internationale Geburtsinitiative“, ISI), die im vergangenen Jahr zwölf Schritte für Anleitung und Unterstützung einer sicheren und respektvollen Versorgung in der Mutterschaftsbetreuung festgelegt hat. Schritt eins benennt hier bereits die Notwendigkeit, alle Frauen und ihre Neugeborenen mitfühlend, respekt- und würdevoll und ohne physische, verbale oder emotionale Misshandlung zu  behandeln. Mascha Grieschat findet: „Diese zwölf Schritte müssen Standard in den Kliniken werden, um ein Verständnis für diese Form von Gewalt zu bekommen.“

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels waren Schlüsselbeinbrüche als physische Traumata bei den Müttern genannt worden.

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