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In manchen Bezirken liegt der Versorgungsgrad mit Hausärzten nur noch bei 90 Prozent.

© imago/blickwinkel

Hausärzte dringend gesucht: Kassenärztliche Vereinigung befürchtet Hausärztemangel in Berlin

Neue Praxen sollen nur noch in drei Bezirken zugelassen werden. Und es gibt weitere Ideen gegen den drohenden Notstand.

Ärztemangel – ist das nicht ein Problem der Menschen in ländlichen Regionen? Also wenigstens eine Sorge, die die Hauptstadt nicht hat? Leben wir in Berlin nicht, was die medizinische Versorgung betrifft, fast wie im Schlaraffenland? Was die Versorgung mit niedergelassenen Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten angeht, so könnte es schon bald anders aussehen, meint Burkhard Ruppert, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. Von einer „Ärzteschwemme“, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Großstädten festzustellen war, könne vor allem bei den Hausärzten ohnehin längst nicht mehr die Rede sein.

Berlin wächst, die Anzahl der Hausärzte nimmt langsam aber beständig ab, und ein Drittel der 2336 Hausärzte, die heute praktizieren, ist über 60 Jahre alt. „Es wird zum Hausärztemangel kommen, weil wir die notwendige Menge an Ärzten nicht zur Verfügung haben.“

Derzeit liegt der Versorgungsgrad für die gesamte Stadt noch bei beruhigenden 106,2 Prozent, in einigen Bezirken jedoch deutlich unter 90 Prozent. Es sei deshalb damit zu rechnen, dass der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die bestehende Zulassungssperre für neue Kassensitze demnächst aufheben und die KV Berlin daraufhin 42,5 neue Vertragsarztsitze ausschreiben werde, sagte Ruppert dem Tagesspiegel. „Wir werden dann empfehlen, dass neue Sitze an die derzeit am schlechtesten versorgten Bezirke Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Neukölln gehen.“

Eine große Aufgabe

Alle zu erwartenden neuen Kassenarztsitze auch wirklich zu besetzen, sei allerdings eine große Aufgabe. Denn auch „Nachrücker“, die sich bisher einen Kassensitz mit einem Kollegen geteilt haben oder bei ihm angestellt waren, gebe es nicht mehr in ausreichender Zahl.

Zusammen mit den Krankenkassen setzt die KV darauf, die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin zu fördern. „Zudem gibt es inzwischen auch die Überlegung, im Rahmen eines Pilotprojektes gemeinsam mit den Kassen und dem Berliner Senat zehn Kassensitze in den drei am schlechtesten versorgten Gebieten der Stadt finanziell zu fördern“, so Ruppert. Außerdem hat die KV Berlin gemeinsam mit den Kassen und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in einem „Letter of intent“ vereinbart, dass Arztsitze aus besser versorgten Bezirken in schlechter versorgte verlagert oder dort „Zweigpraxen“ eröffnet werden können.

Zusätzlich möchte man noch früher ansetzen und den Nachwuchs für die abwechslungsreiche Aufgabe gewinnen. Da inzwischen viele junge Ärztinnen und Ärzte lieber im Angestelltenverhältnis arbeiten als selbst eine Praxis zu führen, müsse man Medizinern verstärkt Möglichkeiten bieten, auch als Angestellte im ambulanten Bereich zu arbeiten. „Noch ist die hausärztliche Versorgung in der Stadt ausreichend, doch es macht Sinn, sich um all das rechtzeitig zu kümmern“, so Ruppert.

Auch außerhalb der Sprechstunde präsent

Das gelte umso mehr, als die Hausärzte auch außerhalb ihrer Sprechstunden präsent sind: Inzwischen gibt es in der Stadt zwei KV-eigene Notarztpraxen für Erwachsene, am Jüdischen Krankenhaus und am Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn. Sie entlasten die Rettungsstellen. Zur Überbrückung der sprechstundenfreien Zeit sind nach Auskunft der KV Berlin zudem fünf weitere Notdienstpraxen für Erwachsene geplant. Die Auswahl und der Aufbau der Standorte sollen demnach in den nächsten Jahren Schritt für Schritt erfolgen, wobei zunächst die Innenstadt im Fokus liegt.

Sobald im innerstädtischen Bereich zwei weitere Standorte feststehen, sollen zuerst im Süden, danach im Westen/Nordwesten und zuletzt im Nordosten/Osten geeignete Standorte an den dortigen Krankenhäusern gesucht werden. 50 bis 60 Ärzte, die sich neben ihrer eigenen Praxis auch für die Notdienstpraxis engagieren, werden pro Standort gebraucht. „Die Ärzte im Umfeld der derzeitigen Standorte sind hochmotiviert, diese Arbeit zu leisten“, versichert Ruppert.

An vier Standorten existieren inzwischen auch Notdienstpraxen für Kinder und Jugendliche. Anfang November hat die KV Berlin in Kooperation mit der Charité die letzte von ihnen zur Unterstützung der dortigen Kinderrettungsstelle auf dem Gelände des Virchow-Klinikums eingerichtet. Diese bietet Freitag von 15 bis 22 Uhr und an den Wochenenden und Feiertagen von 11 bis 22 Uhr eine Entlastung der Klinik, damit sich deren Mitarbeiter um die schwer kranken Kinder kümmern können und die Familien nicht so lange warten müssen. In der gemeinsamen Aufnahmestelle wird die Entscheidung getroffen, wo der junge Patient am besten aufgehoben ist. Auch wenn eine blutende Wunde oder hohes Fieber oft dramatisch wirken, sind sie meist in der KV-Notdienstpraxis gut zu behandeln.

Viele wissen nicht von Bereitschaftsdiensten

Doch zu wenige wissen, dass es solche Angebote gibt: Studien haben ergeben, dass nur die Hälfte der Patienten, die sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses einfinden, überhaupt von der Existenz eines Ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung wissen. Die KV möchte das ändern – und dafür die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 populärer machen. Wer in Berlin diese Nummer wählt, hat am anderen Ende der Leitung die Leitstelle des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Von acht Uhr morgens bis Mitternacht ist dort, wenn es nötig ist, ein Beratungsarzt zu sprechen, ab April wird mit einer Software zur Ersteinschätzung gearbeitet.

„In drei von vier Fällen ergibt die Abklärung, dass keine weitere medizinische Versorgung notwendig ist“, berichtet Ruppert. Die Sache hat dann Zeit, bis Hausärztin oder Hausarzt wieder Sprechstunde haben.

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