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Platz für das Bunte Berlin - das Haus der Statistik am Alexanderplatz

© DAVIDS/Florian Boillot

Haus der Statistik am Alexanderplatz: Pioniere kochen, feiern und recyceln schon während der Sanierung

Im Haus der Statistik stemmt sich das Bunte Berlin gegen die Kommerzialisierung des Öffentlichen Raums. Das weckt Erinnerungen an das Kulturhaus Tacheles.

Die Ruine hat eine Küche und der Tisch ist gedeckt: Knusprige Brote, ein Möhren-Gurken Dip, Weintrauben, Radieschen und Dill, es gibt Joghurt und Bulgur, Käse und dann kommt einer, ist (so was) von „Restlos Glücklich“ und reicht einen goldbraun gebratenen Eierpuffer – das Haus der Statistik am Alexanderplatz, das mit seinen hohlen Fensterlöchern und bunten Graffiti aussieht, als sei es zum Abriss verdammt, bebt vor Kreativenergie seiner „Pioniernutzer“. Vier Jahre bevor das ganze Quartier samt Rohbau saniert und ergänzt ist, sorgen sie für Leben an dem unwirtlichen Platz im Herzen Berlins.

Viele hundert Millionen für das neue Quartier

Das Haus der Statistik ist ein Projekt, wie es in keiner anderen Hauptstadt der Welt möglich ist. Gerade erst schien die totale Kommerzialisierung der unfern gelegenen Oranienburger Straße vollendet, als bekannt wurde, dass als Feigenblatt für die vorgeschriebene „kulturelle Nutzung“ der legendären Tacheles-Ruine eine Restaurantkette mit Buchladen und angeschlossener Fotogalerie öffnen wird.

Da ist das Haus der Statistik vielleicht das letzte Aufbäumen des Senats gegen die globale Filialisierung von Berlins Zentrum durch „Flagship-Stores“ von Mode-, Sport- und Elektronik-Konzernen. Und die finanzielle Kraftanstrengung dafür ist gewaltig: Viele hundert Millionen Euro werden hier hinfließen, an den „AllesAndersPlatz“, wie die Aktivisten den neuen Sitz ihrer Trutzburg nennen.

Entschieden ist nun, wer jetzt erstmal zum Zuge kommt in der zugigen Ruine. "Restlos Glücklich" zählt dazu. Das ist ein Verein, der mit der Bio-Kette „Denns“ vereinbarte, Verwertbares aus den für die Mülltonnen bestimmten aussortierten Produkten zu sichern: Äpfel mit braunen Stellen, krumme Möhren, abgelaufene Joghurts, aufgerissene Käsepackungen kauft keiner. Wenn die Tafel die Lebensmittel nicht für Bedürftige braucht, verwendet sie "Restlos Glücklich". Die Engagierten stecken Einladungen in die Briefkästen rund um den Alex und kochen mit den Mietern. „Inzwischen kommen auch ältere Männer“, sagt Wenke Heuts. Studenten sind dabei, junge Mütter, aber auch ältere Menschen – die älteste war 92.

Tuch und Kunststoff anders, neu, wieder-verwerten

„Nachhaltig“ ist das und zählt zu den in langen Debatten mit willigen „Akteuren“ ausgewählten Leitmotiven. Dazu tragen auch die Aktivisten der Initiativen „Kunst-Stoffe“ oder „Textilhafen“ bei. Sie alle stemmen sich gegen die Wegwerfgesellschaft, indem sie gebrauchte Stoffe aller Art neu, anders, wieder verwenden.

Das Kunst- und Kulturzentrum „Schlesische 27“ stieg dazu auf den Teufelsberg und barg unter den Trümmer des zweiten Weltkriegs eine alte Schreibmaschine. Anderes sind Gaben: Ein Kochtopf aus der Nachkriegszeit, die Wiederverwertung eines Stahlhelms. Die Ausstellung dieser „objets trouvés“, wie die Surrealisten sie nennen würden, ist eine fantasievolle zeitgeschichtliche Fundgrube.

Wer das alles bezahlt? Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte, die im Quartier hinter der Ruine 300 Wohnungen baut, die Hälfte davon Sozialbauten, schießt einen kleinen Betrag zu für Moderation, Auswahl und „Kuratierung“ der Pioniere.

25000 Quadratmeter buntes Berlin

„Zusammenkunft Berlin“ heißt der Verein, der aus der ursprünglichen zivilgesellschaftlichen Initiative hervorging, die vor Jahren den Senat davon überzeugte, dem Bund die Ruine vom Haus der Statistik abzukaufen und rund 25.000 Quadratmeter für das Bunte Berlin herzurichten. Dem „Gemeinwohl“ sollen sich hier alle verpflichten, die kulturellen und sozialen Pioniere, sollen sich der Nachbarschaft öffnen, also die Bewohner der Plattenbauten ins Haus locken oder auch Bildungsprojekte anschieben.

Berlins Werk und Seehofers Beitrag

Dass in einer Ruine überhaupt schon gekocht, diskutiert und gefeiert werden kann, ist ein Verdienst von „Raumlabor“ und dem Zulo-Architektenkollektiv. Sie haben Wasser- und Stromleitungen gelegt, die Abwasserentsorgung wiederhergestellt, die Küche eingebaut.

Sie nahmen einen Lehmofen im Hof in Betrieb, setzten viel helles unbehandeltes Holz ein. Soviel Initiative überzeugt dann auch mal „Erzkonservative“: Das Geld dafür und die Konferenz der Baumeister-Avantgarde „Making Future“ kam aus dem Hause von Bauminister Horst Seehofer.

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