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Umsonst gewartet: Die vom Bundesinnenministerium geschickten Busse kamen viel zu spät. Die Menschen wurden zurück geschickt.

© IMAGO/Jens Schicke

„Hauruck-Aktionen sind wenig hilfreich“: Berliner Senat verärgert über Verteil-Aktion des Bundes

Nach wochenlangem Zögern schickt das Innenministerium auf einmal 77 Busse, 5000 Ukrainer sollten verteilt werden. Völlig undurchdacht, kritisiert Berlin.

Von Sonja Wurtscheid

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hat dem Bund bei der Verteilung ukrainischer Flüchtlinge undurchdachtes Handeln vorgeworfen. 77 Busse schickte der Bund in die Hauptstadt; über Nacht sollten 5000 Flüchtlinge organisiert und gesammelt werden – obwohl das System für die Verteilung auf die Bundesländer noch gar nicht steht.

Die Mitteilung über die Busse sei ganz kurzfristig gekommen, kritisierte Kipping am Donnerstag im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses. "Das ist nicht praktikabel und umsetzbar. Die Empfehlung wäre gewesen, das zu strecken."

Die Menschen seien schließlich schon verteilt auf Unterkünfte in der ganzen Stadt, man müsse ja zuerst mit ihnen sprechen. Das brauche etwas Zeit. Solche "Hauruck-Aktionen, die nicht durchdacht sind, sind wenig hilfreich", sagte Kipping. Auch startete die Aktion mit mehrstündiger Verspätung.

Die Flüchtlinge, die der Bus aufnahm, wurden nach Bochum gefahren. Bis dahin hatten mehrere Tausend Menschen mit ihrem Gepäck auf dem Gelände des Ankunftszentrums gewartet. Nachdem stundenlang nichts passiert war, wurden die Menschen in ihre jeweiligen Unterkünfte zurückgeschickt. Deshalb verzögerte sich auch der weitere Transport. Warum es zu den Verzögerungen bei dem vom Bundesinnenministerium organisierten Transport kam, war zunächst nicht bekannt.

Registrierung an 100 Schaltern im alten Flughafen Tegel

Am Mittwoch und in der Nacht zu Donnerstag brachte Berlin 1200 Kriegsflüchtlinge unter, wie die Senatorin weiter sagte. Zentral gesteuert werden soll deren Verteilung bald schon am ehemaligen Flughafen Tegel. In der Ankunftshalle sollen die Menschen an 100 Schaltern Tag und Nacht registriert werden können. Allein dafür benötige man 420 Mitarbeiter:innen, sagte Kipping.

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Geplant sei, bis zu 10.000 Menschen pro Tag vom Hauptbahnhof und dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) mit Bussen nach Tegel zu bringen. Die Menschen, die nach dem Königsteiner Schlüssel in anderen Bundesländern untergebracht werden, sollen "in Busse kommen, die sie auch gleich in die Landkreise fahren", erklärte Kipping. Die bis zu 3500 Schlafplätze im Flughafen Tegel seien überdies nicht "so hallig und großflächig wie man sich das vielleicht vorstellt. Da stehen maximal fünf Doppelstockbetten in einem etwas abgeschirmten Raum." Auch an Haustiere sei gedacht; für sie gebe es Futter.

Drehkreuz: Tegel soll in den kommenden Tagen zum Verteilzentrum für 10.000 Menschen pro Tag ausgebaut werden.
Drehkreuz: Tegel soll in den kommenden Tagen zum Verteilzentrum für 10.000 Menschen pro Tag ausgebaut werden.

© Paul Zinken/dpa

Insgesamt hat Berlin seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine rund 8000 Schlafplätze für Flüchtlinge geschaffen. Das sagte der Leiter des LAF, Alexander Straßmeir, im Ausschuss am Donnerstag. Private Unterkünfte seien nicht eingerechnet. Mehr als 3000 Plätze wurden in Hostels und Hotels geschaffen.

Unterdessen kommen immer mehr Ukrainer:innen mit besonderem Betreuungsbedarf an. "Die Zahl der Beschwerden nimmt deutlich zu", sagte Kipping. Es kommen demnach zunehmend Menschen mit Altersdemenz und deutlich mehr Menschen mit Behinderungen. Darauf müsse reagiert werden.

Für Hochschwangere und Mütter mit Säuglingen seien bereits ein Abholservice und eine separate Unterkunft mit Hebammenversorgung eingerichtet worden, sagte Kipping – damit "wir jetzt nicht noch weitere Geburten in den Bussen haben".

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  • Mehr Informationen zur Spendenaktion „Menschen helfen!“ finden Sie in diesem Artikel.

Lange Schlangen vor Sozialämtern

Derweil herrscht in Berlin eine hohe Nachfrage nach Registrierungsterminen für ukrainische Kriegsflüchtlinge. "Innerhalb kürzester Zeit haben sich 28.000 Menschen für so einen Termin gemeldet", sagte Kipping mit Blick auf die Freischaltung des Online-Terminbuchungssystems des LAF. "Man kann davon ausgehen: Das sind noch nicht die, die in der Messehalle hocken. Sondern es sind die, die wahrscheinlich eher privat bei Menschen untergekommen sind in Berlin."

Kipping fügte mit Blick auf die Belastung in den Bezirken an: "Mir ist bewusst, dass es für die Bezirke echt gerade heftig ist. Wir wissen von den Schlangen." 90 Prozent der Flüchtlinge, die ihren Termin zur Registrierung bereits hatten, gaben demnach an, "enge familiäre Bindungen in Berlin zu haben". Man versuche, diese Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel in Berlin zu belassen.

Online-Registrierung für Flüchtlinge mit Wohnung soll bald starten

Ein vereinfachtes Verfahren soll bald beim Landesamt für Einwanderung (LEA) freigeschaltet werden. Dort können sich Menschen online melden, "wenn sie nachweisen können, dass sie eine Wohnung oder eine Bescheinigung eines Wohnungsgebenden haben", sagte Kipping. Dazu zählen auch Untermieten bei Verwandten.

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Sobald sie ihre Daten online eingetragen haben, bekommen sie eine elektronische Bescheinigung, mit der sie bei Vorlage eines Passes Sozialleistungen beantragen können und Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen, erklärte die Senatorin. "Das ist quasi eine Abkürzung für die Menschen, die jetzt schon hier verankert sind."

Notunterkunft in Messe bekommt keine Duschen

Die Menschen, die ganz neu in Berlin ankommen und die erste Nacht in der Messe verbringen, dürften wohl weiter auf Duschen verzichten müssen. "Wir haben ein richtiges Problem: Duschcontainer sind Mangelware", sagte Kipping. Schon für den Aufbau des riesigen Willkommenszentrums in Tegel kratze man alle verfügbaren Duscheinrichtungen zusammen.

An der Messe habe man alles Mögliche probiert, um dort Duschen zu installieren. Selbst die Umfunktionierung von Dekontaminationszelten sei geprüft worden, erklärte Kipping. Dies sei aber mit Blick auf den Wasserablauf nicht praktikabel.

Die Senatorin betonte, die Messe sei nur eine Unterkunft für eine Nacht. "Das ist nicht das, was wir als Unterkunft wollen. Das ist nur die Not-Notunterkunft, wenn viele kommen." Es werde ein bisschen nachgebaut, eine Kinderspielecke eingerichtet und mehr Abtrennungen aufgestellt, erklärte sie. "Aber Duschen kriegen wir für diese eine Nacht dort, obwohl wir alles nochmal durchgespielt haben, wohl leider nicht hin."

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