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Berlin: Hans Limburg (Geb. 1962)

Er wollte sofort alles über den Bossa Nova wissen

Mitten in Rio de Janeiro, auf der Bühne einer Bossa-Nova-Bar, steht ein Berliner. Er spielt auf seiner Gitarre und singt brasilianische Lieder. Alle Vokale gelingen ihm weich und rund, kein Konsonant klingt kehlig oder hart.

Das brasilianische Publikum kennt die Lieder, hat sie hunderte Male von brasilianischen Sängern gehört. Und kann, im Vergleich zu jenen, nicht die Andeutung eines Akzentes ausmachen. Zu allem heißt dieser Deutsche auch noch Hans.

Hans war 17 oder 18, Leute in seiner Klasse kauften sich Police- und „Pink Floyd“-Platten, manche sprangen zu Punkgetöse auf und ab. Da stand er in einer Bar, unterhielt sich, trank ein Glas Bier und neigte plötzlich den Kopf, streckte das Ohr ein wenig nach vorn, wie man es kurioserweise tut, wenn man etwas besser hören will. Ein Sambarhythmus schlug zu einer Cool-Jazz-Gitarre, die einen fast flüsternden Gesang begleitete. „Was ist das?“, fragte er einen der Herumstehenden. „Das ist João Gilberto.“

Hans wollte sofort alles über den Bossa Nova wissen. Er kaufte jede Platte, die er auftreiben konnte. Er ging auf Sammlerbörsen. Er studierte die Rhythmen der Lieder und ihre Texte, obwohl er noch kein Wort Portugiesisch verstand. Nach und nach begriff er diese Musik, die eher ihn gewählt hatte, als er sie. Seit er zehn war, hatte er klassischen Gitarrenunterricht genommen, jetzt gelang es ihm nach und nach, die Melodien, eine Mischung aus melancholischen und anarchischen Momenten, nachzuspielen. Er hatte Helden: Heitor Villa-Lobos und vor allem Antônio Carlos Jobim. Er besaß diese außerordentliche Begabung: Auf der Stelle prägte sich alles, was er hörte, ein.

Dabei kam Hans keineswegs aus einer musikalischen Familie, studierte, bevor er 1995 nach Berlin zog, Elektrotechnik in Kaiserslautern und unterrichtete kontinuierlich Mathe und Physik an einer Berufsschule – auch ein Jazzgitarrist muss seine Miete bezahlen,

Aber wenn er die nächste Stunde vorbereitet, die letzte Aufgabe eines Tests korrigiert hatte, ging er ins Studio, probte, spielte die Stücke ein, trat mit Bands auf, dem Quintett Planetão, den Formationen Bassanova, Trio Cupuaçu, TrioRio. Filigran, virtuos klang seine Gitarre, fein, fast leicht seine Stimme, präzise in der Phrasierung, rein in der Intonation. Welche Worte er auch sang, nie kippten sie in den Kitsch: „É um caco de vidro / É a vida, é o sol.“ – „Es ist eine Glasscherbe / Ist das Leben, ist die Sonne.“ Und zwischen den Liedern erzählte er Geschichten, kannte hunderte Details aus dem Leben der Musiker und ihrer Stücke: dass João Gilberto 1949 an einem Talentwettbewerb teilgenommen hatte oder Jobims „Corcovado“ 1962 von Miles Davis eingespielt wurde.

Hans’ Portugiesisch war inzwischen perfekt geworden. Aber erst 2008 lebte er tatsächlich ein halbes Jahr lang in Rio, an der Copacabana, unweit des Strandes von Ipanema, auf dem dieses Mädchen wiegenden Schrittes vorüberläuft. Doch Hans war mit einem Mann gegangen, seinem Freund Nigel, einem Oboisten, der ein Engagement in Brasilien hatte. Er traf die besten brasilianischen Musiker, er spielte mit ihnen in den Bars und Clubs der Stadt, er nahm eine Platte auf, „From Brazil … with love“.

Im Oktober 2011 begann er mit einem Mal, sein rechtes Bein hinterherzuziehen, ganz leicht nur. Im November schon hörte er diese Worte: nicht operabel, nicht heilbar. Ein Tumor im Gehirn. Ein Jahr, sagten die Ärzte, maximal. Im Frühling darauf glaubten alle an ein Wunder. Der Tumor war kleiner geworden. Hans nahm wieder seine Gitarre, sang. Es kostete Kraft. Seine Sicherheit schwand. Aber die schöne Stimme war noch da. Er trat in Griechenland auf und in Frankreich. Im Herbst konnte er nicht mehr weiter. Es gab kein Wunder. „É a noite / é a morte.“ – „Es ist die Nacht / ist der Tod.“ Tatjana Wulfert

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