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Berlin: Hans August Schröder (Geb. 1930)

Die Überzeugung des Barmannes: Der Gast braucht Führung!

Schröders „Himmelsleiter“ führte geradewegs in die Charité. In vier Stufen konnte sich der Gast von dem eher süßen Mai Tai über den Rumpunsch Navy Grog und den herben Moonraker bis zum finalen Zombie ins Nirvana hangeln. Was sehr selten geschah.

„Der Gast braucht Führung!“, und Herr Schröder ließ sie ihm auf unnachahmliche Weise angedeihen. Trinken ist ein Trapezakt, seitens des Trinkers wie des Barmanns, denn der Sturz von den Klippen der Selbstbeherrschung sollte stets im Blick sein, aber niemals eintreten. In den Augen der Puritaner ist Alkohol ein teuflisches Elixier, nach Dafürhalten der poetischer Gestimmten ist es hingegen ein probates Mittel der seelischen Regeneration: im abendlichen Gespräch an der Bar ist man in rascher Folge jugendlich entflammt, mannhaft klug, greisenhaft weise, kindlich lallend – die vier Lebensalter werden in wenigen Stunden durchlaufen, um sie am nächsten Tag neu beginnen zu lassen, so denn der Kater abklingt.

Auf diesem Weg ist der Barmann Mundschenk und Cicerone zugleich. Herr Schröder selbst hat die Barkeeperzunft in drei Kategorien unterteilt: Zuunterst „der Frauenfrisör“, der immer ein offenes Ohr hat und gern Knallig-Buntes zusammenrührt; dann „der brave Schüttler“, im besten Fall ein guter Fachmann; und schließlich der „Gentleman Barkeeper“, belesen, trinkfest und entgegnungssicher: Herr Schröder in persona.

In die Wiege war es ihm nicht gelegt worden, sein Vater war Tierpräparator und nahm den Jungen nach vier Jahren aus der Schule.

Schröder begann als Page im Adlon. Der Dienst war streng, auf Akkuratesse und gutes Benehmen legte man höchsten Wert. Nazis wurden, so sie randalierten, vom Hotelbesitzer selbst hinausgebeten.

Schröder trank Tee mit dem Großmufti von Jerusalem, bestaunte den schrulligen Humoristen P. G. Wodehouse, dessen Neigung zu Hitler von der Königin Mutter keineswegs goutiert wurde, und hielt sich fern von Karajans allürenhaften Auftritten.

In der American Bar des Hotels bekam er vom Chef allabendlich eine Soda Grenadine spendiert, was seinen Entschluss gefestigt haben mag, eines Tages selbst Bar-Chef zu werden.

Nach dem Krieg ging Herr Schröder auf Reisen und arbeitete in so berühmten Hotels wie dem „Meurice“ in Paris und dem „Avenida Palace“ in Madrid. Er lernte die Kunst des Mixens in Dublin und New York und ließ sich schließlich im legendären „Trader Vic’s“ in San Francisco in der altmeisterlichen Zubereitung des Rum-Cocktails unterweisen.

Mitte der fünfziger Jahre kehrte er nach Berlin zurück und arbeitete zunächst im „Maison de France“, wo viele ehemalige Adloniken untergekommen waren.

Er schüttelte dort für den Autor von James Bond, Ian Fleming, einen perfekten trockenen Martini, was ihm ein Porträt in dem Roman „Thrilling Cities“ einbrachte, die Vorlage für den Film „Octopussy“.

1976 eröffnete Herr Schröder den „Rum Trader“ am Fasanenplatz, 18 Quadratmeter Schankfläche, Platz für kaum mehr als dreißig Personen, ab 150 Personen wurde wegen Überfüllung geschlossen, so mahnte ein Schild an der Tür.

Herr Schröder hatte einen eigenwilligen Humor, was seinen Gästen ebenso zugute kam wie sein ingeniöses Geschick in der Erfindung von Rezepturen: „Drinks fit for Kings“.

Um fünf Uhr öffnete er die Bar, um halb zehn am selben Abend schloss er.

Ablenkungen von seinem Tun kannte er nur wenige. Jenseits der sechzig begann er das Polospiel, heimlich, was seine Frau vermuten ließ, er habe eine Geliebte. Herr Schröder spürte ihren Verdruss, lud sie zu einem feinen Essen ins Kempinski mit der Begründung, er müsse ihr etwas Wichtiges eröffnen. Ihre Schockstarre löste sich in Gelächter auf, als sie den wahren Grund seiner Heimlichtuerei erfuhr. Sie verzieh ihm den Sport.

Sabrina und er waren ein Paar wie Myrna Loy und William Powell, die Helden aus der Filmserie „Der dünne Mann“. Stets milde alkoholisiert, „dann wollen wir mal einen lupfen“, begegneten sie allen Widrigkeiten des Lebens mit souveräner Ironie.

Sabrina war Jüdin, sie hatte vier Konzentrationslager überlebt, nie aufgegeben, bis sie vor vier Jahren an Alzheimer erkrankte und ihre Persönlichkeit entschwand. Eineinhalb Jahre zog sich Herr Schröder zurück, um darüber hinwegzu- kommen, dass sie für ihn gestorben war und dennoch lebte.

Dreihundert, vierhundert Stammgäste zählte der „Rum Trader“, allen war Herr Schröder im Lauf der Jahre gleichermaßen vertraut wie distinguiert begegnet, einige von ihnen nahm er sogar auf seine legendären Rum-Trader-Reisen mit, auf denen es galt, kundig wie trinkfest die Welt der Spirituosen zu erforschen.

2001, nach 25 Jahren, beschloss er, in Ruhestand zu gehen. Ein Jahr arbeitete er seinen Nachfolger ein, stand ihm zur Seite und zog sich dann ganz zurück. Herr Schröder war ein belesener Mann, zwei-, dreitausend Bände umfasste seine Bibliothek, aber nun wollte er systematischer vorgehen, und so beschloss er das Studium der Sinologie. Er, der immer Wert auf ein feines Erscheinungsbild gelegt hatte, trug fortan in studentischer Manier sein Haar ein wenig länger und kaufte sich eine Blue Jeans.

Eine Schlüssel zu seiner Bar blieb allerdings bis zuletzt in seinem Besitz. Und sein Trinkspruch, mit dem er allabendlich die Gäste auf den Heimweg schickte, wird ihm nunmehr als himmlischer Chor entgegenschallen: „May your home be safe from tigers!“ Gregor Eisenhauer

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