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Sanierungsarbeiten an einem Wohnkomplex während der Pandemie in Berlin-Lichtenberg.

© privat

Handwerker ohne Atemschutz, Homeoffice im Dunkeln: Wie Berliner Mieter unter einer Sanierung während der Pandemie leiden

Homeoffice ohne Wasser, Arbeiten ohne Abstand: Mehr als 800 Wohnungen in Lichtenberg werden saniert - auf die Mieter wird keine Rücksicht genommen.

Ein Wohnblock in Lichtenberg mit 840 Wohnungen wird seit 2016 saniert und soll 2021 fertig sein - dann kommt die Coronapandemie dazwischen. Bewohnerinnen und Bewohner erzählen von dauerbesetzten Ersatztoiletten, Tagen ohne Strom und Wasser im Homeoffice zur Zeit der Ausgangsbeschränkungen sowie Handwerkern ohne Mundschutz in den Wohnungen. Einige Mieterinnen und Mieter, die namentlich nicht genannt werden wollen, sehen ihre Gesundheit gefährdet. Die Wohnungsgenossenschaft "Vorwärts", der die Häuser im Rosenfelder Ring 90 – 96 gehören, widerspricht.

„Vorwärts“ verfügt über mehrere Standorte im Bezirk Lichtenberg, die Häuser im Rosenfelder Ring sollen energetisch und auch in Sachen Wohnkomfort auf den aktuellen Stand gebracht werden. In diesem Jahr sollen die letzten 240 Wohnungen saniert werden.

Mathias Nordmann, Leiter der Abteilung „Vermietung“, sagte auf Nachfrage, die Maßnahmen seien bereits 2015 geplant worden und müssten trotz der Coronapandemie weitergeführt werden. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt sei ein Hygienekonzept erstellt worden.

Bauarbeiter seien angewiesen worden, Mundschutz zu tragen und bei Erkältungssymptomen zu Hause zu bleiben. „Während des gesamten Baugeschehens ist uns nicht ein positiver Coronafall bei den beauftragten Handwerkern oder unseren Mitgliedern bekannt geworden“, sagt Nordmann.

Offenen Wohnungstüren, Handwerker ohne Atemschutz

Betroffene Mieter berichten jedoch, die Handwerker hätten teilweise ohne jeglichen Schutz gearbeitet. Zudem hätten sie morgens und abends Haus- und Wohnungstüren offenstehen lassen, sodass die Bewohner fürchteten, es könnte eingebrochen werden. 

Nordmann von der "Vorwärts" entgegnet, allen Mietern seien Ersatzwohnungen innerhalb der Genossenschaft angeboten worden. Nur 25 Prozent der betroffenen Mieter hätten dieses Angebot angenommen. Eine ältere Frau erklärt, warum: Sie habe Angst um ihre Möbel, denn diese können nicht mit in die Ersatzwohnungen genommen werden, welche mit Betten, Küche und Fernseher ausgestattet sind.

Umzug in Ersatzwohnungen

So geht es auch anderen, meistens älteren Mietern: sie haben Angst vor Einbrüchen, denn die Wohnungs- und Haustüren stünden den ganzen Tag offen für die Handwerker und würden auch nachts nicht unbedingt abgeschlossen. Das Baugerüst rund um das Haus könnte Dieben den Einstieg vereinfachen. Eingangskontrollen würden nicht durchgeführt.

Umzüge oder Kisten zum Umzug in die Übergangswohnungen bezahle und organisiere die Wohnungsbaugesellschaft ebenfalls nicht, erzählen die Mieter. Die junge Frau, die das Angebot angenommen hat, sagt, sie hätten so viel es geht mitgenommen in die Übergangswohnung, aber das meiste musste in ihrer alten Wohnung im Rosenfelder Ring bleiben.

Toiletten vor dem Gebäude stehen für die Mieter bereit

Auch die Sanitärsituation ist schwierig: Abschnittsweise wird das Wasser in den Wohnungen eine Woche lang für jeweils acht Stunden täglich abgestellt. Für die Mieter, die in den Wohnungen verbleiben wollen, steht ein Sanitärcontainer vor dem Gebäude bereit. Mieter berichten, dieser werde auch von den Bauarbeitern benutzt, sei ständig besetzt und nicht sauber. Kurzzeitig sei eine freie Wohnung für die nächtliche Notdurft bereitgestellt worden, damit die Mieter nachts nicht nach draußen zum Container müssten.

Während die Sanierungsmaßnahmen laufen, steht den Mietern dieser Sanitärcontainer zur Verfügung. 
Während die Sanierungsmaßnahmen laufen, steht den Mietern dieser Sanitärcontainer zur Verfügung. 

© privat

„Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass während einer Pandemie ein derartiges Hygienerisiko eingegangen werden soll und sich niemand der Sache und dem Schutz der Mieter annehmen kann“, sagt eine Mieterin. Den Mietern werde jede Möglichkeit genommen, sich an die Hygieneempfehlungen zu halten. Desinfektionsmittel sei entweder leer oder nicht vorhanden. 

Nordmann von der "Vorwärts" sagt dagegen, die Container seien immer nur von fünf bis zehn Personen genutzt worden.

Mieter wenden sich ans Gesundheitsamt

Im Juli machten Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Fotos von den Toiletten. Geändert habe sich aber nichts, sagt die Mieterin, die sich auch an das Bezirksamt wandte. Dieses wollte sich auf Tagesspiegel-Nachfrage nach der Situation vor Ort erkundigen, antwortete dann allerdings nicht mehr.

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Einige Mieter waren zur Corona-Hochzeit von ihren Arbeitgebern angewiesen worden, im Homeoffice zu arbeiten. Ende März wurden die Fenster zu den Wohnungen im Rosenfelder Ring mit lichtdurchlässigem Vließ verhangen. Die Wohnung zu lüften, sei nicht mehr möglich gewesen, berichtet jemand. Hinzugekommen sei der tägliche Baulärm. 

Kein Homeoffice in Genossenschaftswohnungen erlaubt

Die "Vorwärts" hätte auf Nachfrage der Mieter gesagt, es würde noch lange keine Ausgangssperren geben, niemand sei gezwungen, in den Wohnungen zu bleiben. Zum Tagesspiegel sagte die Wohnungsbaugesellschaft, die Mieter seien früh über den Bauablauf informiert gewesen und hätten sich darauf einstellen können. Einige Mieter seien in Open-Space-Büros gegangen. „Im Übrigen möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass unabhängig von Pandemiesituationen, die Genossenschaftswohnung rein zu Wohnzwecken vermietet werden und nicht zum Arbeiten benutzen werden dürfen“, so Nordmann.

Vermieter: "Glöckchen" an die Fenster hängen

Im Mai wurde die Heizungsanlage erneuert, die dafür eine zeitlang abgestellt werden musste. 

Ende Juni gab es einen Polizeieinsatz, weil vermummte Personen auf den Baustellengerüsten gesichtet worden waren – es handelte sich nicht um die Handwerker. 

Ein Ansprechpartner der "Vorwärts" habe zu einem Mieter am Telefon gesagt, er möge doch „Glöckchen“ an die Fenster hängen, damit man höre, wenn jemand einbreche.

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Um die Wohnungen zu sanieren, mussten Handwerker während der Ausgangsbeschränkungen und auch noch im Juli und August ganztägig Zugang zu Wohnungen haben. Sie hätten, so erzählen Mieter, keine Atemmasken getragen oder Abstandsregeln eingehalten. Die Mieter machten das Gesundheits- sowie das Bezirksamt bereits vor Wochen darauf aufmerksam und erhielten die Antwort, das Amt habe hier rechtlich keine Handhabe.

„Seit Beginn der Pandemie im Februar/März diesen Jahres versuchen wir Mieter Unterstützung zu erhalten“, sagt eine Mieterin. Nordmann von der "Vorwärts" sagt, dass die Wohnungsbaugenossenschaft viele positive Rückmeldungen von den Mietern erhalte, es handele sich damit um einzelne Beschwerden. 

Bauarbeiter tragen nun Atemschutz

Die Mieter beklagen zudem, dass die "Vorwärts" versuche, die Namen derjenigen herauszufinden, die sich über die Situation beschweren. Eine Mieterin hatte, stellvertretend für andere, eine Mail an den Vermieter verfasst. 

Auf eine Mail vom 5. August antwortete ein Vertreter von "Vorwärts": „Es ist für uns wenig hilfreich, wenn in sehr abstrakter Form von Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen wird, die beunruhigt seien. So ist es nicht möglich, zu helfen. Befremdlich wirkt auch, dass die betroffenen Genossenschaftler Mitglieder des Abgeordnetenhauses bemühen, um offensichtlich persönliche Probleme zu lösen.“ Die Mail liegt dem Tagesspiegel vor. 

Eine Mieterin berichtet, dass die Bauarbeiter seit Mitte August nun Schutzmasken tragen würden – wohl, nachdem der Tagesspiegel die Anfrage diesbezüglich an die "Vorwärts" gestellt hatte.

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