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Verfassungsschutzchef Nürnberger stellte das Handbuch über Reichsbürger vor.

© Ralf Hirschberger/dpa

Handbuch in Brandenburg: Wie umgehen mit Reichsbürgern?

Die Reichsbürgerszene in Brandenburg wächst, laut Verfassungsschutz sind es 600. Das Innenministerium schult Behördenmitarbeiter im Umgang mit ihnen.

Freiland haben sie ihr Gehöft genannt. Auf dem abgeschotteten Eiland in der Provinz eine radikale Ablehnung, ja Bekämpfung des Staates gelebt. Bis am Ende einer tot ist. Herbert Trimbach hatte den Tatort aus Bayern am Wochenende auch gesehen. Ein solches Freiland, in dem militante Selbstverwalter in einer Gemeinschaft zusammenleben, gibt es in Brandenburg nicht, sagt der Leiter der Polizeiabteilung im Brandenburger Innenministerium.

Dennoch sind die sogenannten Reichsbürger – laut Trimbach eher Einzelpersonen und keine Kommunen wie im Film – in Brandenburg alles andere als harmlos. Sie lehnen die Existenz der Bundesrepublik ab. Und die Szene der extremistischen Verschwörungstheoretiker wächst stetig. Und zwar im „Heckwasser“ der in ihren Aussagen auch gegen die politischen Eliten gerichteten Pegida-Bewegung, wie Dirk Wilking vom demos Institut für Gemeinwesenberatung in Potsdam erläutert.

18.000 Reichsbürger bundesweit

600 Reichsbürger gibt es laut Verfassungsschutz in Brandenburg, 18.000 sind es bundesweit. Vor einem Jahr lag die Zahl offiziell bekannter Staatsleugner und Selbstverwalter in der Mark noch bei 440. Und, wie im Tatort: Einige von ihnen sind offenbar bereit, ihre kruden Verschwörungstheorien nicht nur mit abstrusen Schriftsätzen an Behörden, sondern notfalls auch mit Waffengewalt zu verbreiten.

Nachdem ein Reichsbürger im Herbst 2016 im bayerischen Georgensgmünd einen Polizeibeamten erschossen hatte, wurden auch in Brandenburg Verfahren gegen Reichsbürger eingeleitet. In 26 Fällen wurden Waffenscheine und Waffen bereits entzogen, in 13 weiteren Fällen wehren sich die Reichsbürger juristisch dagegen, laufen die Verfahren noch. An Waffen ist alles dabei, was Sportschützen, Jäger oder auch Salutwaffenschützen mit Schwarzpulverschein in ihrem Arsenal haben, heißt es aus dem Landeskriminalamt.

Gefahr früh erkannt

Brandenburg, betont der neue Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger, habe die Gefahr durch die Reichsbürger früher erkannt als andere Bundesländer, frühzeitig Verwaltungsmitarbeiter geschult. Das mache sich auch durch die starke Nachfrage nach dem Handbuch zum „Umgang mit Reichsbürgern“ bemerkbar, das nun in dritter, erweiterter Auflage erschienen ist und am Dienstag im Potsdamer Innenministerium präsentiert wurde. Demos, Verfassungsschutz und Landeskriminalamt haben das Buch herausgegeben, diesmal in einer Auflage von insgesamt 8500 Stück. Die ersten beiden Auflagen waren jeweils binnen zwei Wochen vergriffen.

„Ich könnte ganzjährig auf Tournee gehen“, sagt Extremismusexperte Dirk Wilking. So groß seien die Anfragen aus anderen Bundesländern nach Seminaren zum Umgang mit Reichsbürgern. Weil anfangs nicht einmal alle Fortbildungsanfragen von Verwaltungen in Brandenburg bedient werden konnten, wurde das Handbuch herausgegeben. Oberste Prämisse beim „richtigen Umgang mit Reichsbürgern“: nie diskutieren, das sei sinnlos. Beleidigungen, Bedrohungen und weitere strafrechtlich relevante Verhaltensweisen von Reichsbürgern sollten unverzüglich angezeigt werden.

Alles Extremisten

Bei Weitem nicht alle Reichsbürger seien Rechtsextremisten oder Antisemiten, sagt Verfassungsschutzchef Nürnberger. Aber Extremisten, egal in welcher Form, seien sie alle, weil sie die Verfassung ablehnen. Oft seien es „Bankrotteure“, erläutert demos-Mitarbeiter Wilking, „Bedeutungssüchtige, Geschäftemacher, Querulanten, aber auch ernsthaft Überzeugte, psychisch Kranke, Betrogene, Verzweifelte und Träumer“. Die meisten sind männlich, zwischen 40 und 50. „Viele haben einen Systemwechsel mitgemacht“, sagt Wilking. Die Erfahrung, dass man mit eigenem Handeln einen Systemwechsel herbeiführen kann, sporne sie an. „Deswegen ist das Potenzial für Reichsbürger im Osten größer als in Westdeutschland“, meint Wilking. Die Schnittstellen zur AfD wiederum seien gering, da die AfD eine Partei sei und damit hierarchische Strukturen habe – das liege dem Reichsbürger, anders als im „Tatort“ dargestellt, nicht. Was nicht heiße, dass sich die AfD nicht der Argumentation der Reichsbürger bediene, wenn es gegen den Staat gehe. Reichsbürger seien an sich weniger politik- als verwaltungsverdrossen.

Das kann schnell eskalieren. Die Polizei schildert einen Vorfalll aus Oberhavel. Ein Gerichtsvollzieher musste im Haushalt eines Reichsbürgers pfänden. Der Mann verfolgte den Gerichtsvollzieher, nötigte ihn, aus seinem Auto auszusteigen, bedrohte ihn. Im Handbuch stehen weitere Fälle: „Mitarbeiter von brandenburgischen Finanzämtern sahen sich bereits Gewalttätigkeiten ausgesetzt, die bis hin zu Beschädigung beziehungsweise Manipulation ihrer Kraftfahrzeuge gingen.“ Ferner seien Beamte mit Gewalt an der Vollstreckung gehindert werden. Im Vorjahr wurden 70 Delikte jedweder Art von Reichsbürgern erfasst, in diesem Jahr bislang 17. Keine Zahlen aus dem Bayern-Tatort, sondern aus dem Brandenburger Innenministerium.

Marion Kaufmann

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