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Ausgeliefert. Paul John bringt Essen zu Menschen, die es nicht selbst holen wollen.

© picture alliance / fStop

Hallo. Danke. Tschüss.: Unterwegs mit einem Berliner Pizzaboten

Versteckte Stars, Geld im Flur, Essen zum Pförtner – und Jogginghosen überall. Unser Autor war einen Abend lang mit einem Pizzaboten unterwegs Berlin.

Abends, nach Feierabend, gibt es eigentlich nur noch zwei Arten von Menschen: die mit den Trainingshosen und die ohne. Und eigentlich nur noch drei Wörter: Hallo, Danke, Tschüss. Alles andere, sowohl Hosen wie Wörter, sind Unterformen, Varianten. Dann beginnt die Saure-Gurken-Zeit, sprachlich wie auch modisch. Und dann setzt sich Paul John aus Eberswalde in sein Auto und fährt Essen durch die Stadt, als Lieferservice. Unterwegs mit einem Pizzaboten, zu den Feierabendberlinern. Wie sind sie denn so, die Hungrigen? Es gibt einen Werbespot, in dem ein Mann zur Furie wird, bis ihm jemand einen Schokoriegel reicht und erklärt, er, also der Hungrige, sei nicht er selbst, solange der Magen knurrt. Das ist natürlich Quatsch. Tatsächlich ist der Mensch mit leerem Magen ganz bei sich, wird ehrlich.

An einem Dienstagabend, kurz nach 18 Uhr, der Anfang in Wilmersdorf, nicht unbedingt die schlechteste Ecke der Stadt. Über den Hinterhof zum Klingelbrett. Nur noch wenige Wohnungen belebt, ein gutes Dutzend Klingelschilder ist unbeschriftet. Alles deutet auf ein langsames Verrotten hin, der Fahrstuhl ist „derzeit defekt“, informiert ein Zettel, aber derzeit sieht stark nach Ewigkeit aus. Oder nach Grundsanierung, wenn das Haus einmal komplett entwohnt ist. Der erste Kunde unterm Dach, fünfter Stock. Im Treppenhaus die alten Rippenheizungen unter den Fenstern, vorbei an ausgemusterten Computern, verziert mit World-of-Warcraft-Aufklebern, ein Internet-Rollenspiel.

„Hallo. Danke. Tschüss“, ein routinierter Start in die Schicht

Eigentlich zu klischeebeladen, das Klischeespiel für die Klischeepizza und durchgedaddelte Nächte am Computer. Und oben steht ein Mann, der eigentlich auch zu klischeemäßig ist, aber was soll’s, so ist es halt: Graue Jogginghose, grauer Schlabberpulli, Puschen, die Tür nur einen Spalt auf. „Hallo. Danke. Tschüss“, ein routinierter Start in die Schicht, aber auch zwei Euro Trinkgeld, unrund aufgerundet von 19 auf 21 Euro. „Ein guter Start“, sagt John.

Die Firma, für die er Essen ausfährt, hat keine eigene Küche. Die Kunden wählen aus verschiedenen Restaurants aus, die Aufträge landen bei ihm auf dem Handy, dann fährt John dahin, holt Essen, liefert aus. Der Vorteil: für schlechtes oder falsch geliefertes Essen kann er nichts. Er kommt in die Restaurants, greift sich das Essen aus der Küche und verschwindet wieder.

22 Jahre ist er alt, seit einem Jahr dabei, Liebhaber guter Geschichten. Zum Beispiel die von seiner militärischen Karriere und ihrem abrupten Ende. Nach fünf Tagen bei der Bundeswehr war schon wieder Schluss. So schnell? Die gute Geschichte geht so, sagt er, dass er sich beim Manöver im freien Feld bei irgendeiner tollkühnen Aktion „fast den Arm abgerissen“ hat. Ach, die Bundeswehr und ihre erfrischenden Stahlbäder. „Stimmt aber leider nicht“, sagt er, die nicht so gute Geschichte ist die wahre und besagt, dass er sich beim Turnen die Schulter ausgekugelt hat und das war’s dann. Und das freie Feld? Nun ja, wenn der Grünstreifen vor der Kaserne als freies Feld zählt – dann schon.

Pizza, Räuberpistolen vom Lieferantenleben

Nun also Pizza, Räuberpistolen vom Lieferantenleben: Es sind ja immer die Ausreißer, die Extremen, die den Job bunt machen. Zum Beispiel die Väter, die freudestrahlend die Tür aufreißen, den Boten hineinbitten, hinein zur aufgespannten Familientafel, wo sie dann alle sitzen, in feiner Garderobe, keine Spur von Trainingshosen. Oder die Stars, Sido, Markus Kavka, diese Kategorie.

Auf dem Weg zum nächsten Kunden die Geschichte vom Heißhunger im Schauspielermilieu, wo man sich schon wundert, dass da jemand zu später Stunde für 70 Euro ein paar Stücke Käsekuchen aus einem Nobelhotel ordert. Und man dann ins Treppenhaus tritt, mitten hinein in die süße Wolke die entsteht, wenn ein paar Etagen höher die rotäugige Kundschaft steppenweise Gras verbrannt hat: Fressflash im Endstadium, ein klarer Fall von Trainingshose.

Das sind die wilden Geschichten, die Wirklichkeit ist – wie immer – profaner: Ein Wilmersdorfer Hinterhaus gegen 19 Uhr, die junge Dame isst auf Firmenkosten, in dem Fall: arabisch für 24 Euro. Monatlich wird ein fester Betrag abgebucht, der wird dann verfuttert. Bargeldlos, Essen rüberreichen, fertig. Schlecht für John, denn Trinkgeld gibt es dann auch keins mehr. Aber ideal für menschenscheue Kunden. Die Frau im Hinterhaus – die erste ohne Jogginghose – tritt wenigstens noch an die Tür.

Wer ist der unbekannte Kunde? Vielleicht ein Superstar?

Unklar die Lage bei dem Mann, den John schon öfter belieferte, das Phantom an der Gegensprechanlage. „Stellen Sie das Essen vor die Tür, ich hole es dann“, sage der immer, tatsächlich so erlebt, kein Quatsch. Kopfkino. Wer wohnt da? Ein Schwerstentstellter? Oder ein Superstar, ein richtiger Superstar?

Dann die Order zu einem Nobelthailänder am Ku’damm, für 40,30 Euro Nudeln und sonstiges eingepackt und ab an den Potsdamer Platz, Bellevuestraße 1 – auf der Liste Berlins teuerster Ecken ein solider Spitzenplatz. „Jetzt wird’s gut, glaube ich“, sagt John, trinkgeldsicher. Hinter der verglasten Front im Erdgeschoss ein Tresen, dahinter eine Frau: Wer hier lebt, hat einen Doorman, beziehungsweise Doorwoman. Klingeln und hinein.

Der Kunde sei eben schon hier gewesen und habe das Geld hinterlegt, sagt die Frau, bezahlt wird also im Erdgeschoss. Sie füllt eine Quittung aus, schreibt 40,30 Euro auf das Papier, das 20-Centstück kullert über den Tresen, das 10-Centstück hinterher.

Ab in die obere Etage, die Dame summt die Sicherheitstür auf, der Fahrstuhl sieht aus wie ein kleiner Architektenspaß zum Thema „Goldener Käfig“: ein matt schimmerndes blattvergoldetes Drahtgeflecht. Eine Tür öffnet sich, der Mann trägt Jeans und Hemd. „Geld schon bekommen?“, erkundigt er sich und John – ganz Dienstleister – vertut die Chance auf ein klein wenig unterhaltsame Verwirrung. „Äh, ja“, sagt er. „Das ist prima“, strahlt der Rohling, greift nach der Tüte und schließt die Tür. „Tschüss“, sagt John. Das „Danke“ kann er sich sparen.

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