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Klaus Lederer, Michael Müller und Ramona Pop.

© Christoph Soeder/dpa-Zentralbild

Update

Halbzeitbilanz: Rot-rot-grüne Koalition des Langmuts

Rot-Rot-Grün zeigt viel Geduld bei den großen Themen der Stadt. Und die Kompromissbereitschaft der Partner ist begrenzt.

Von Sabine Beikler

Im 23. Stock des Degewo-Hochhauses in Gropiusstadt hat man im Panoramaraum einen schönen Rundumblick. Den Ort hatten sich die Koalitionäre passend gewählt, um zur Halbzeitbilanz auf die „Veränderungsprozesse“, so der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), hinzuweisen.

Die Gropiusstadt habe sich mithilfe von Quartiersmanagement zu einem „lebenswerten Kiez“ entwickelt. Und „sehr wohl“ fühlt sich Müller laut eigenem Bekenntnis auch in der Koalition. Das Verbindende sei die freie, offene, liberale, tolerante Stadt, die Rot-Rot-Grün verkörpere. Kritisch merkte Müller an, die Zusammenarbeit könne „noch besser“ funktionieren und Abstimmungsprozesse könnten „noch besser“ koordiniert werden.

Am Dienstag klappte es mit der Abstimmung mal wieder nicht: Die von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingebrachte Bundesratsinitiative „Fahren ohne gültigen Fahrausweis“ wurde zum Ärger der Grünen im Senat zurückgestellt.

Eigentlich ist man sich in der Koalition einig, dass Schwarzfahren künftig nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden soll. Warum Behrendts Initiative nicht durchkam, begründet die SPD damit, dass man noch Gespräche in der Länderkammer führen wolle, um mehr Zuspruch zu erhalten. Die Grünen dagegen haben den Verdacht, dass die SPD „Verhandlungsmasse“ aufbaue für die anstehenden Gespräche über eine Novellierung des Polizeigesetzes.

Verhandlungen über Umgang mit Videoüberwachung

Und zum Ärger der SPD hat Behrendt eine Vorlage aus dem Haus des Innen- und Sportsenators Andreas Geisel (SPD) für die Finanzierung der Special Olympics 2023 in Berlin noch nicht mitgezeichnet. Eine Retourkutsche, findet die SPD.

Der Umgang mit Videoüberwachung wird in der Koalition noch heftig diskutiert werden. Man müsse sich zum Volksbegehren und zur Videoüberwachung „äußern“, so Müller. Und die Politik müsse gegebenenfalls auch „neu“ reagieren. Er jedenfalls wolle kein erfolgreiches Volksbegehren und keine unkoordinierte Videoüberwachung in der Stadt.

Selfie fürs Fotoalbum (v.l.n.r): Ramona Pop (Grüne), Michael Müller (SPD) und Klaus Lederer (Linke).
Selfie fürs Fotoalbum (v.l.n.r): Ramona Pop (Grüne), Michael Müller (SPD) und Klaus Lederer (Linke).

© Britta Pedersen/dpa

Die Berliner Sozialdemokraten hatten sich auf ihrem letzten Parteitag durchgerungen, eine Videoüberwachung „an ausgewählten kriminalitätsbelasteten Orten“ in Berlin zuzulassen. „Jedoch darf sie nur anlassbezogen und temporär eingesetzt werden“, lautete der einstimmig gefasste Beschluss.

Die Linke ficht das nicht an. Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer stellte am Dienstag klar, dass man während der Koalitionsverhandlungen Kompromisse eingegangen sei. „Und nicht jede Vereinbarung soll neu verhandelt werden.“ Er sei aber optimistisch, dass die Innenpolitiker eine „vernünftigen Entwurf“ ausarbeiten werden.

Mieten, Mobilität, Wohnungsbau

Auch in den Bereichen Mieten- und Verkehrspolitik muss Rot-Rot-Grün punkten: Ein Stopp der Mietenexplosion ist nicht spürbar, und von der Mobilitätswende haben Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer auch noch nicht viel mitbekommen. Die Wohnungsnot wächst in Berlin unaufhaltsam, die Mieten steigen so schnell wie in keiner anderen Stadt, und die Koalition verpasst ihr Ziel beim Bau landeseigener Wohnungen.

Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) korrigierte die Zielmarke von 30.000 in dieser Legislaturperiode auf 25.000. Und die sechs Wohnungsbaugesellschaften zogen die Marke noch einmal um 1000 Wohnungen hinunter. Eine Strategie fehlt Rot-Rot-Grün, wie man mit dem Ankauffonds Wohnungen zurückkauft. 2018 gingen 3746 Wohnungen über kommunale Gesellschaften in den Besitz des Landes über, davon 638 im Rahmen eines Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten.

„Bauen, kaufen, deckeln“ sei der Dreiklang der Wohnungs- und Mietenpolitik, so Müller. Man müsse jedes Instrument nutzen, um den Mietanstieg zu begrenzen. Selbstkritisch führte Lederer an, dass man unterschätzt habe, dass Wohnungsbau nicht so schnell wie erhofft vorangehen könne. Wohnen sei die neue soziale Frage, daran müsse sich Rot-Rot-Grün auch messen lassen. Es sei auch nicht egal, wer in Berlin baue. Der politische Kurs ist laut Lederer klar: Landeseigene Flächen würden den landeseigenen Wohnungsunternehmen, dann den Genossenschaften und den kommunalen Bauträgern zur Verfügung gestellt.

Enteignung von Wohnungsunternehmen

Gegen eine Deckelung der Mieten, also einen Mietstopp für begrenzte Zeit, hat kein Koalitionspartner etwas einzuwenden. Nur wie die vielen juristischen Expertisen, die zurzeit auf Partei- und Fraktionsebene in Arbeit sind, zusammengeführt werden können, blieb am Dienstag offen. Linksfraktionschef Udo Wolf schlug im Gespräch mit dem Tagesspiegel ein Expertengremium, besetzt mit Juristen aller Koalitionsfraktionen vor.

Und wie man es mit der Initiative zur Enteignung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen hält, ist in der Koalition noch nicht geklärt. Müller lehnt dies ab, die Grünen haben keine einheitliche Position und die Linke unterstützt die Initiative, die ab 6. April Unterschriften für ein Volksbegehren sammeln will. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) wies gestern erneut darauf hin, dass man das Wort Enteignung nicht leichtfertig in den Mund nehmen sollte.

So wie sich Lederer erstaunt zeigte, dass der Wohnungsbau langsamer als erhofft vorankomme, hat Pop nach zweieinhalb Jahren Mitregieren ihren „größten Aha-Effekt: Es geht nicht so schnell wie ich mir das wünsche“. Der Nahverkehrsplan sei nun auf den Weg gebracht worden, die Beamtenbesoldung sei angepasst und die Liegenschaftspolitik wurde novelliert.

Der Senat hat den Nahverkehrsplan beschlossen, der in 15 Jahren gut 28 Milliarden Euro für Busse und Bahnen vorsieht, laut Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) auch „für die bessere Anbindung der Pendelnden aus dem Umland“. Parallel soll eine sichere Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur aufgebaut werden. Das Bürgerticket ab 2023 ist eine der großen Visionen für den Berliner Nahverkehr der Zukunft. Aber das soll erst einmal geprüft werden.

Die deutliche Ausweitung des Streckennetzes – allein bei der Tram sollen 73 Kilometer bis 2035 dazukommen – und der Ankauf neuer Fahrzeuge wird auch von der Opposition befürwortet. Allerdings ist der Ausbau der U-Bahn-Linien in der Koalition strittig. Die SPD befürwortet entsprechende Pläne, die Grünen lehnen sie ab mit Verweis auf die Kosten und die Zeitdauer. Wie letztlich die Außenbezirke besser an den ÖPNV angebunden werden sollen, wo Park+Ride-Plätze entstehen sollen, um die Pendler für das Umsteigen zu motivieren, ist noch nicht konkret dargestellt worden. Und der Ausbau der angekündigten Fahrradwege und die Verbesserung von gefährlichen Kreuzungen gehen auch nur zögerlich voran.

Kein Wort zur Bildungspolitik

Über die Bildungspolitik verlor Rot-Rot-Grün am Dienstag kein Wort. In ihrer Halbzeitbilanz aber weist die Koalition auf die Schulbauoffensive hin: Mit 5,5 Milliarden Euro sollen bis 2026 neue Schulen gebaut und bestehende Schulen erweitert und saniert werden. Über 60 Schulen sollen neu entstehen. Auch der Kita-Ausbau soll weitergeführt werden. Derzeit werden 173.000 Plätze angeboten – 8000 mehr als im Dezember 2016. Und in diesem Jahr sollen weitere 7000 Plätze hinzukommen.

Der Lehrermangel als strukturelles Problem muss allerdings von Rot–Rot-Grün angegangen werden. Rot-Rot-Grün wird über das strittige Thema Verbeamtung diskutieren müssen. Das wird auch auf dem SPD-Parteitag am 30. März eines der wesentlichen Diskussionen.

Laut der Prognose der Kultusministerkonferenz müssen bundesweit bis 2030 jährlich im Schnitt 31.900 Lehrkräfte neu eingestellt werden. Im Durchschnitt fehlen in Berlin jährlich 400 Grundschullehrer: Selbst für da Jahr 2030 wird noch eine Unterdeckung von 350 Stellen erwartet. Ähnliches gilt für die Klassen 7 bis 10, wo der Mangel noch höher und zwar bei jährlich rund 600 Lehrkräften liegen wird.

Gleichzeitig steuert Berlin auf einen Überschuss bei den Lehrern der gymnasialen Oberstufen zu, wo sich das jetzige Überangebot von rund 300 Lehrkräften auf fast 1200 pro Jahr steigern wird. Diese Lehrkräfte müssen die Lücken an Grund-, Sonder- und Berufsschulen also füllen, wenn Berlin nicht langfristig auf Quereinsteiger angewiesen bleiben soll.

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