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Aufwind fürs Volksbegehren. Die Anhänger der Initiative zur Enteignung von „Deutsche Wohnen und Co“ ließen zum Start Luftballons steigen.

©  Reuters/F. Bensch

Das Kläger-Paar gegen die Deutsche Wohnen: „Ein Urteil, keine Gerechtigkeit“

Ein Zehlendorfer Ehepaar verlor vor Gericht gegen ein Tochterunternehmen der „Deutsche Wohnen“. Was hält es vom Berliner Mietenkampf? Ein Hausbesuch.

Aus einer Vase im Wohnzimmer ragen lange Zweige, an denen gefärbte Ostereier hängen. Wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man hinterm Apfelbaum, am Ende des kleinen Gartens, einen weißen Plastiktisch mit weißen Stühlen. Der Baum hat Blüten, die Sonne leuchtet das Gras der Wiese in sattem Grün aus. Vogelgezwitscher dringt durchs Fenster. Eine kleine Idylle in Zehlendorf. In dieser Idylle, neben dem Wohnzimmertisch, steht Wilfried Raabe und sagt: „Wir sind nicht verbittert.“

Das hat die 63. Kammer des Landgerichts nicht geschafft.

Aber ansonsten hat sie einiges erreicht. Sie hat dafür gesorgt, dass das Ehepaar Raabe öffentlich bekannt wurde. Sie hat dafür gesorgt, dass ihre Adresse Argentinische Allee 193 in den Zeitungen stand und im Fernsehen auftauchte. Sie hat dafür gesorgt, dass Politiker aller Parteien sich mit den Raabes und ihrer Wohnung befasst haben. Sie hat dafür gesorgt, dass nun jeder weiß, dass bei einer Mieterhöhung im Einzelfall die Grenzen des Berliner Mietspiegels gebrochen werden dürfen. Und sie hat damit dafür gesorgt, dass Evelyn und Wilfried Raabe die Mieterhöhung für ihre 63-Quadratmeter-Wohnung um 42,83 Euro auf 575,35 Euro akzeptieren müssen.

Wilfried Raabe ist 75 Jahre alt, ein schmaler drahtiger Mann mit grauem Bart und Brille, die auf seiner Nase rutscht. Evelyn Raabe ist zwei Jahre jünger, sie hat ihre Haare modisch geschnitten. Zusammen leben sie seit 33 Jahren in der Argentinische Straße 193. „Wir sind ganz bestimmt keine Querulanten“, sagt Wilfried Raabe. „Wir wollten doch nur wissen, was der Mietspiegel wert ist.“

Frustriert. Evelyn und Wilfried Raabe verloren vor Gericht.
Frustriert. Evelyn und Wilfried Raabe verloren vor Gericht.

©  Frank Bachner

Das wissen sie in ihrem Fall nun. Nichts. Die Gehag, Tochterfirma des umstrittenen Immobilienunternehmens Deutsche Wohnen, hat in zweiter Instanz gewonnen. Das Amtsgericht hatte die Mieterhöhung noch abgelehnt, die 63. Kammer des Landgerichts hat sie in der Berufungsverhandlung akzeptiert. Denn „ein Sachverständiger hat nachvollziehbar geschildert, wie er zu seiner Bewertung aufgrund von Vergleichswohnungen aus seinem Datenbestand gelangt ist“. So steht es in der Urteilsbegründung.

Einen Vergleich hätten die Vermieter abgelehnt

Die Gehag war vors Amtsgericht gezogen, weil die Raabes 2015 die Mieterhöhung nicht akzeptiert hatten. „Wenn da alle zwei Jahre 40 Euro Mieterhöhung kommen, sind wir irgendwann an dem Punkt, an dem wir die Miete nicht mehr bezahlen können“, sagt Wilfried Raabe. Ohnehin hätte ihre bisherige Miete ja bereits über dem Mietspiegel gelegen.

Verbittert sind sie nicht, die Raabes, aber zumindest verstört und frustriert. Sie verstehen es einfach nicht. „Vor Gericht bekommt man keine Gerechtigkeit, sondern ein Urteil“, sagt Wilfried Raabe. Seine Anwältin habe ihm schon frühzeitig gesagt, dass es schwierig werden könne, weil bekannt sei, dass die Kammer den Mietspiegel, anders als andere Kammern, nicht einfach so akzeptiert. Raabe glaubt, dass das Urteil ja quasi schon von vornherein festgestanden habe. Das ist natürlich falsch, aber die irreale Einschätzung zeigt auch den Grad seines Frusts. Für einen juristischen Laien wie den 75-Jährigen ist es schwer zu verstehen, warum Gerichte in Berlin so unterschiedlich über die Bedeutung des Mietspiegels urteilen.

Nach dem Sieg im Amtsgericht haben sie schon ein wenig gefeiert, zurückhaltend natürlich, es war ja nur die erste Instanz. Aber sie hatten auch insgeheim damit gerechnet, dass die Gehag nicht in Berufung gehen werde. Nicht bei diesen vergleichsweise geringen Beträgen. „Tja, dieser Gedanke ging voll in die Hosen“, sagt er jetzt.

Vor dem Landgericht wäre das Ehepaar Raabe ja sogar noch zu einem Vergleich bereit gewesen, 20 Euro mehr Miete hätten sie akzeptiert. Aber nach einem kurzen Telefonat habe der Anwalt der Gehag einen Vergleich abgelehnt.

Das Volksbegehren unterstützen sie nicht

Die Rechtschutzversicherung der Raabes hat bisher alle Kosten übernommen, auch für das Gutachten, das vom Landgericht verlangt wurde. Sonst hätten die Raabes zu einem früheren Zeitpunkt die geforderte Erhöhung akzeptiert. So wie es viele ihrer Bekannten und Freunde ihnen geraten haben. Immer wieder hörten die Raabes: „Lasst doch den Quatsch sein, es ist doch sinnlos, wenn man sich mit so einem großen Konzern anlegt.“ Aber die Raabes wollten es wissen und ließen sich auf den Rechtsweg ein.

Und jetzt, im Wohnzimmer, in dem auf einen Tisch der dicke Aktenordner – gefüllt mit den Unterlagen zum Fall – liegt, der Bescheid über die Mieterhöhung ganz oben, da gewinnt Wilfried Raabes Stimme doch ein wenig an Schärfe: „Die Hauptschuld liegt bei den Politikern. Den Mietspiegel gibt es jetzt schon so lange, und die haben es nicht geschafft, ihn rechtsverbindlich zu gestalten.“

Das Urteil fällt mitten in die Diskussion um die Zukunft großer Immobilienfirmen in Berlin. Ein Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungskonzernen hat schon mehrere tausend Unterschriften gesammelt. Jeder, der seinen Namen geschrieben hat, fordert damit, dass Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden. Das Land Berlin soll die Wohnungen den Firmen zwangsweise abkaufen. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern Deutsche Wohnen. Der besitzt in Berlin rund 112 000 Wohnungen und steht wegen seines Umgangs mit Mietern häufig in der Kritik. Die Raabes streiten ja auch mit.

Da läge es nahe, dass die Raabes auch unterschreiben. Sie fühlen sich ja als Opfer des Konzerns. Volksbegehren? Da lacht Wilfried Raabe fast spöttisch auf. Nie würde er unterschreiben, er nicht, seine Frau auch nicht. „Eine Enteignung wäre doch völlig sinnlos. Wem wäre damit gedient? Dadurch wird keine einzige Wohnung mehr gebaut“, sagt er.

Die Raabes sind ja nicht generell gegen Enteignungen im Immobilienbereich, das darf man nicht missverstehen. Sie wollen nur differenzierter vorgehen. „Wenn jemand in einem Häuserblock viele Wohnungen bewusst leer stehen lässt, dann enteignen, sofort“, sagt Evelyn Raabe aufgebracht. „So etwas kann man nicht akzeptieren. Dann bin ich für Enteignungen. Aber nicht generell.“ Ihr Mann nickt zustimmend. Ein klarer Standpunkt, er bedeutet allerdings nicht, dass die Raabes ihre Frontstellung zu ihrem Vermieter aufgeweicht hätten. Denn Evelyn Raabe sagt auch grimmig: „Aktien von der Deutschen Wohnen kaufen? Nie im Leben.“

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