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Der Blitzer-Hänger macht sich bezahlt. Mehr als 4,3 Millionen Verkehrsordnungswidrigkeiten wurden in Berlin 2019 bearbeitet. Der Landeskasse brachte das immerhin knapp 90 Millionen Euro – und es könnten noch mehr sein.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Grüne kritisieren Innensenator: Kein Personal für Tempokontrollen – kapituliert Berlin vor Rasern?

Für mehr Verkehrskontrollen fehlen bei Polizei und Bußgeldstelle Mitarbeiter. Ein Skandal, sagen die Grünen –  und wollen Andreas Geisel im Innenausschuss damit konfrontieren.

Die Berliner Polizei kann die Zahl der Verkehrskontrollen nicht erhöhen – es fehlt Personal, um die mobilen Geräte zu bedienen. Auch weitere fest installierte Blitzeranlagen wird es nicht geben – denn auch in der Bußgeldstelle fehlen Leute, um die automatisch aufgezeichneten Verstöße auch zu ahnden. Dies teilte Innensenator Andreas Geisel (SPD) jetzt dem Abgeordnetenhaus mit. 

Dem Tagesspiegel liegt das mehrseitige Schreiben vor; es liest sich wie eine Kapitulation. „Unter Berücksichtigung der immensen Aufgabenvielfalt, der zunehmenden Einsatzanlässe und der Auslastung vorhandener Personalressourcen bestehen kaum geeignete Optionen für eine weitere Intensivierung“ der Kontrollen, heißt es in dem auch vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) unterzeichneten Schreiben.

Im August 2019 hatte das Parlament mit den Stimmen der rot-rot-grünen Koalition beschlossen, die Zahl der Kontrollen zu verstärken, vor allem an „Unfallschwerpunkten, Schulen, Kitas und Senioreneinrichtungen“, wie es in dem Antrag damals hieß. 

Nun kam die Antwort der Innenverwaltung: geht nicht. „Einer verstärkten Überwachung stehen nicht eine ungenügende Anzahl von Messgeräten, sondern vielmehr beschränkte Personalressourcen entgegen.“ Geisels Schreiben endet mit der Bitte, den Beschluss vom August 2019 „mit dem vorstehenden Bericht als erledigt anzusehen“.

Knickt Geisel vor den Rasern ein?

Diese Bitte wird ein frommer Wunsch bleiben. Der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux kritisierte, der Innensenator dürfe nicht den Eindruck erwecken, vor Rasern einzuknicken. „Die Grünen werden das Thema im Innenausschuss auf die Tagesordnung setzen“, sagte Lux. Das Gleiche kündigte auch Harald Moritz für den Verkehrsausschuss an.

Die Grünen sind sauer. „Der Ausbau muss weitergehen. Wir müssen mehr tun, um Raserei, Rücksichtslosigkeit und Regelverstöße im Verkehr zu ahnden“, sagte Lux. Er forderte den Senat auf, mehr Personal einzustellen, und zwar bei der Polizei und in der Bußgeldstelle. „Am Geld sollte es nicht scheitern, da sich die Stellen durch Einnahmen selbst finanzieren“, ergänzte der grüne Verkehrspolitiker Harald Moritz.

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Geschwindigkeitsübertretungen bringen dem Land Berlin viel Geld ein: Im Jahr 2019 hat die Bußgeldstelle genau 4.349.247 Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeitet, dies brachte knapp 90 Millionen Euro in die Landeskasse. Zwar hat Berlin in den vergangenen Jahren in die Technik investiert, in neue Beamte aber nicht. 

Tatsächlich arbeiteten die zuletzt angeschafften Blitzgeräte so erfolgreich, dass die Arbeit in der Bußgeldstelle kaum noch zu bewältigen ist. Bereits im Frühjahr hatte ein Spitzenbeamter des Präsidiums unter der Hand gesagt, dass die Bußgeldstelle vor der Kapitulation stehe. 

Ende März waren die beiden „Schwarzblitzer“ im Tiergartentunnel und im Flughafentunnel scharf geschaltet worden. Beide Anlagen funktionieren mit der gleichen Technik wie im Britzer Tunnel an der A100, die seit gut zehn Jahren durchschnittlich 100.000 Temposünder jährlich geblitzt hat.

Blitzer-Anhänger bringen am meisten Geld

Größter Geldbringer ist der 2018 installierte Tempoblitzer an der A111 kurz vor der Stadtgrenze. 2019 löste es fast 226.000 Mal aus – also deutlich öfter als der bisherige Spitzenreiter im Britzer Tunnel. Alle Fotos müssen einzeln auf Verwertbarkeit überprüft werden.

Noch erfolgreicher als die fest installierten Säulen, die zumeist Tempo- und Rotlichtverstöße zugleich erfassen, sind die neuen Blitzer-Anhänger. Die ersten beiden Geräte blitzten im Jahr 2019 etwa 200.000 Tempoverstöße – bei einem Stückpreis von 120.000 Euro pro Hänger. Sie stehen nur wenige Tage an einer Stelle, dann werden sie umgesetzt, damit sich ihr Standort nicht herumspricht. Die Zahl der Hänger soll auf sechs erhöht werden, dann ist Schluss.

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In Geisels Schreiben heißt es offen, dass die Arbeit der Bußgeldstelle nur noch „unter Inkaufnahme von Arbeitsverdichtungen mit dem vorhandenen Personal geleistet werden“ könne. Eine „weitere Steigerung an Überwachungsanlagen kann – bei gleichbleibendem Personalkörper – durch die Bußgeldstelle nicht vollumfänglich gewährleistet werden“. 

Warum der Innensenator nicht mehr Personal für die Bußgeldstelle einstellt, teilt er den Abgeordneten nicht mit. Und er lässt unbegründet, warum seine Antwort ein Jahr zu spät kommt.

Anders als Innenverwaltung und Polizei können sich die Grünen mehr fest installierte Technik vorstellen, etwa an stark befahrenen Kreuzungen. Derzeit haben nur 30 der 2000 Ampelkreuzungen einen Blitzer. Nach Polizeiangaben war die Intensivierung der Kontrollen in den vergangenen Jahren ein Erfolg. Die Zahl der Unfälle durch zu hohes Tempo sank zwischen 2017 und 2019 „stetig“ um mehr als 15 Prozent auf zuletzt 2214.

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