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Es muss ja nicht gleich der Mond sein. Viele Berliner Firmen zählen auf ihrem Gebiet zu den Pionieren.

© Getty Images

Gründen zwischen Mut und Zweifel: So ticken Berliner Pioniere

Was braucht es, um erfolgreich zu sein? Unsere Autorin hat sich mit vier Unternehmern getroffen, die mutig waren und neue Wege gegangen sind.

Der Betriebsleiter war voll des Lobes: Es seien „fantastische Ergebnisse“, sagte er voller Anerkennung und schwärmt von möglichen Kosteneinsparungen im siebenstelligen Bereich. Anlass für seine Euphorie war die Diplomarbeit von Sonja Jost, die als Werksstudentin ein neues Verfahren entwickelt hatte, um chemische Produktionsprozesse zu optimieren. Beinahe im Alleingang, muss man sagen. Dementsprechend irritiert fiel an diesem Nachmittag die Reaktion der übrigen Belegschaft aus. Sprach der Chef gerade wirklich von der Frau, die da neben ihm stand? Tat er definitiv. „Man hat ihnen angesehen, dass sie das einfach nicht zusammenbekommen haben“, erinnert sich Jost an die Abschlusspräsentation ihrer Diplomarbeit.

Die Diplomarbeit liegt einige Jahre zurück, unterschätzt wird Sonja Jost noch immer. Sie hat mittlerweile das Start-up DexLeChem gegründet, das die Erkenntnisse aus ihrer Abschlussarbeit noch weiterentwickelt hat. Die Firma bietet ein Verfahren an, mit dem Erdöl in der Medikamentenproduktion durch Wasser ersetzt werden kann. „Die Konzerne sparen damit Kosten und produzieren nachhaltiger“, sagt Jost. Bis sie sich jedoch am Markt durchsetzen konnte, dauerte es eine Weile.

Die Berliner Unternehmerin Sonja Jost.
Die Berliner Unternehmerin Sonja Jost.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch der Reihe nach. Innovationen, wie sie Josts Unternehmen anbietet, sind in Berlin keine Seltenheit: In Hinterhöfen und Coworking-Büros, in Laboren und Logistikzentren entstehen jedes Jahr neue, bahnbrechende Produkte und Dienstleistungen. Wie aber ticken die Menschen, die Neues schaffen, die ausgetretenen Pfade verlassen? Was treibt die Pioniere an und was führt sie zum Erfolg? Gibt es gar einen speziellen Gründer-Typus? Fragen über Fragen.

Die Motivation

Der Wirtschaftspsychologe Claas Triebel hat zwei Antworten – eine kurze und eine lange. „Nein“, lautet die kurze. „Bill Gates, Mark Zuckerberg und Steve Jobs sind wahnsinnig unterschiedliche Typen und alle wahnsinnig erfolgreich“, sagt der Psychologe. Trotzdem gebe es etwas, das sie alle eint: Durchhaltevermögen. Oder auch: die Fähigkeit auf Erfolg zu warten und trotzdem weiter dafür zu arbeiten.

Auch Dirk Graber musste Geduld aufbringen, bis sein Geschäftsmodell aufging. „Wir haben drei oder vier Jahre gebraucht, bis wir verstanden haben, wie man Brillen gut im Internet verkauft“, berichtet Graber über die Anfänge des Brillenversands Mister Spex. Zumindest äußerlich sieht man ihm den Innovationsgeist nicht an. Graber ist ein grundsolider Typ: weißes Hemd über blauer Jeans; auf dem Kopf ein Bürstenhaarschnitt, auf der Nase eine, natürlich, Brille. Auch sein Lebenslauf liest sich stringent: Studium in Leipzig, Praktika bei Ebay und Jamba: „Ich war fasziniert von der Entwicklung der Unternehmen und habe gelernt, wie viel Spaß es macht, selbstbestimmt zu arbeiten.“ Nach einer kurzen Zeit in einer Unternehmensberatung war klar: Er will selbst gründen.

Chef von Mister-Spex: Dirk Graber.
Chef von Mister-Spex: Dirk Graber.

© Stephan Röhl

Die Gründung von Mister Spex wirkt leidenschaftslos: „Wir haben uns Nischen angeschaut, die noch nicht besetzt waren, nach großen Märkten gesucht, die bereits existierten, und nach Produkten, die sich für den Versandhandel eignen.“ So kam er mit seinen drei Mitgründern auf Brillen. Eine Idee, die nicht mal seine eigene Schwiegermutter gut fand: „Sie ist Augenärztin und war dementsprechend kritisch.“ Trotz oder gerade wegen ihrer Skepsis sei sie ein guter Partner gewesen. Claas Triebel sagt, es gäbe drei Motivationen, die zum Gründen antreiben:

Man hat keinen Bock auf einen Chef.

Man hat eine Mission.

Man will reich werden.

Bei Nikita Fahrenholz war es Nummer drei. „Geld und Erfolg ist in Deutschland ein Tabuthema“, sagt er. Und muss es wissen: Denn er ist nicht nur erfolgreich, sondern dürfte auch ziemlich reich sein: Fahrenholz war einer der Mitgründer des Essenslieferanten Delivery Hero. Vor einem Jahr ging das einstige Start-up an die Börse, bewertet mit insgesamtz 4,4 Milliarden Euro.

In seiner Jugend durchlebte er das Konstrastprogramm. Aufgewachsen ist Fahrenholz in einer Ostberliner Platte. „Wenn man aus bescheidenen Verhältnissen kommt und viel Geld verdienen kann, ist das für lange Zeit ein guter Motivator.“ Aber nicht der einzige. Fahrenholz kann man als rastlos beschreiben, als Getriebenen. Bei Delivery Hero ist er nur noch Anteilseigner, widmet sich seinem neuen Projekt: Book a Tiger, einem Onlineservice, der Reinigungskräfte vermittelt. „Die Arbeit bei Lieferheld war getan“, sagt er.

Nikita Fahrenholz und Claude Ritter (re.), Gründer von "Book a Tiger".
Nikita Fahrenholz und Claude Ritter (re.), Gründer von "Book a Tiger".

© Thilo Rückeis

Er spricht schnell, denn seine Tage sind durchgetaktet. „Es gibt immer wieder Phasen, da lebt man nur nach dem Kalender.“ Eine dieser Phasen war auch die Anfangszeit von Lieferheld: so lange im Büro arbeiten, bis man einschläft – und am nächsten Morgen haben sich alle neue T-Shirts bei H&M gekauft. So lautet die Legende. „Diese Zeiten sind heute aber vorbei“, sagt Fahrenholz und wirkt nicht traurig darüber.

Von Familie und Risiko

Es muss ja nicht gleich der Mond sein. Viele Berliner Firmen zählen auf ihrem Gebiet zu den Pionieren.
Es muss ja nicht gleich der Mond sein. Viele Berliner Firmen zählen auf ihrem Gebiet zu den Pionieren.

© Getty Images

Verena Pausder ist anders aufgewachsen: Ihre Eltern sind Unternehmer, sie kennt die Risiken und Herausforderungen. „In meiner Familie bekommt man das Risiko mitgeliefert“, sagt sie. Mit 20 gründet sie gemeinsam mit ihrer Schwester eine Sushi-Bar in Bielefeld. „Es gab dort kein Sushi, ich mochte Sushi, also haben wir das selbst gemacht“, erinnert sie sich. Die Zeit war wie ein Studium der angewandte Betriebswirtschaftslehre – und das einzige Mal, dass sie von ihren Eltern Kapital bekam.

Eine Konzernkarriere kam für sie nie infrage: „Bei Praktika haben die Leute mich gefragt, wann ich denn endlich aufhöre, die Luft anzuzünden.“ Zu hibbelig sei sie gewesen, zu ungeduldig. Heute ist sie Gründerin und Geschäftsführerin von Fox and Sheep, einem Unternehmen, das Spiele-Apps für Kinder entwickelt. Es läuft gut: Die Firma ist Marktführer in Deutschland und inzwischen an den Spielzeugkonzern Haba verkauft. Wird man nach dem Verkauf entspannter? „Kein Stück. Außerdem geht es mir nicht darum, reich zu werden, ich will etwas verändern.“

Verena Pausder, Gründerin und Geschäftsführerin von Fox and Sheep.
Verena Pausder, Gründerin und Geschäftsführerin von Fox and Sheep.

© promo

Die Umsetzung

Verkaufen war für Sonja Jost keine Option. „Ich habe oft genug gesehen, wie innovative Ideen in der Schublade verschwinden. Für mich war klar, wenn ich will, dass das gemacht wird, muss ich es selber machen.“ Tat sie dann auch: Nach fünf Jahren ist DexLeChem umsatzgetragen. Endlich, muss man sagen: „Nach einem Jahr hatten wir immer noch keine Kunden und uns ging das Geld aus“, erzählt sie, „Ich wusste, dass es funktionieren wird, aber die anderen davon zu überzeugen, war schwierig.“ Die Gesellschafter zerstritten sich, Jost war kurz davor aufzugeben.

„Damit eine Idee funktioniert, muss man mit Menschen können“, sagt Claas Triebel. „Am Anfang stellt jeder Gründer den Menschen ein Luftschloss vor die Nase und muss sie irgendwie davon überzeugen, daran mitarbeiten zu wollen oder Teile davon zu kaufen.“ Und andere Menschen überzeugt man am besten, indem man selbst für die Sache brennt.

Damit Mister Spex funktioniert, braucht es ganz grundlegend zwei Dinge: Brillengestelle und Brillengläser. Doch gerade an die Brillengestelle zu kommen, war schwer: „Manche Hersteller wollten uns über drei Jahre nicht beliefern, wir mussten immer und immer wieder nerven.“ Klinken putzen eben. Wie hält man das aus? „Mich motiviert das“, sagt er. „Wenn jemand nicht an meine Idee glaubt, will ich ihn davon überzeugen.“ Und das klappt. Mister Spex hat inzwischen über 450 Mitarbeiter, schreibt schwarze Zahlen.

Genau diese Zweifel muss man aushalten können, sagt Claas Triebel. „Als Gründer trifft man immer wieder auf Unsicherheiten, auf Menschen, die die Idee für völlig bescheuert halten. Wer sich davon abschrecken lässt, hat ein Problem.“

Die Verantwortung

„Man hat als Gründer sehr viele Freiheiten, aber auch sehr viel Verantwortung“, sagt Dirk Graber, „Diese Verantwortung muss man wollen.“ Er wollte. Gewissenhaft hat er jeden Mitarbeiter am Anfang selber eingestellt, bis das Unternehmen größer wurde. „Heute gucke ich mir nur noch die Leute an, die entweder in meinen Bereich fallen oder Management-Positionen übernehmen.“ Man muss auch abgeben können.

Abgeben wollte Sonja Jost unbedingt. „Ich habe drei Jahre alleine geforscht und mich so darauf gefreut, das endlich im Team zu tun“, erzählt sie. „Ich dachte: Toll, wir sind alle gleichberechtigt. So naiv. Nicht jeder will Verantwortung übernehmen.“ Nur weil man eine gute Idee hat, die für eine Unternehmensgründung taugt, ist man also noch keine gute Chefin. „Ich musste lernen, dass Menschen sich wertgeschätzt fühlen wollen, dass sie einbezogen werden wollen.“ Nach einem halben Jahr beschwerten sich die Mitarbeiter über die Menge an Verantwortung. Für Jost kein Problem, entscheidet sie eben alleine. Dann wieder: Entscheiden wolle man zwar nicht, aber man möchte gefragt werden. „Ich arbeite nicht, damit mir jemand sagt: Gut gemacht, Sonja. Dass es anderen anders geht, musste ich lernen.“ Dafür und auch für die Zeit, in der Krise zwischen den Gesellschaftern herrschte, hatte sie einen Coach: Svenja Neupert, die seit Jahren Gründerinnen und Gründer berät.

Die Vision

„Man braucht eine Berufung“, sagt Neupert, „und aus dieser Berufung heraus muss man eine Vision entwickeln.“ Eine Vision wie grüne Chemie oder die digitale Bildung, eine Revolution des Brillenmarkts oder eben Online-Plattformen, ob für Essen oder Putzkräfte. Fahrenholz’ Berufung liegt in der Herausforderung selbst. „Ich bin schnell gelangweilt, wenn ich ein Thema verstanden habe, will ich das nächste machen“, erklärt er seinen Ausstieg bei Delivery Hero, „Objektiv betrachtet war das natürlich nicht klug, weil klar war, dass wir an die Börse gehen und noch größer werden, aber mein innerer Teufel hat gesagt, ich muss etwas Neues machen.“ Rastlos, fast schon verbissen. Wie motiviert er sich, wenn Dinge nicht funktionieren? „Es gibt da so einen militärischen Begriff: Durchbrechen. Das heißt, wenn man eine Gefahr sieht, marschiert man einfach durch, weil anhalten noch schlimmer wäre.“

Anhalten, das machen sie alle kaum. Und trotzdem arbeitet sich niemand von ihnen kaputt. „Work smarter, not harder“, sagt Claas Triebel, „Man muss dosiert arbeiten können.“ Sonja Jost schreibt sonntags E-Mails, sortiert die Woche. „Sachen, die ich auch Montagmorgen machen könnte“, sagt sie „aber dafür komme ich Montag erst am Mittag. Wenn ich ausschlafen kann, schlafe ich aus.“ Pausder und Graber nehmen sich vor allem Zeit für ihre Kinder, das entschleunigt automatisch: „Ich versuche um 18 Uhr zu Hause zu sein“, sagt Verena Pausder, die neben zwei Söhnen eine kleine Tochter hat, „an vier von fünf Abenden schaffe ich das auch.“ Der Wunsch nach Abschalten, Runterkommen ist kaum da. „Ich freue mich jeden Tag, ins Büro zu kommen“, sagt Verena Pausder, „ich will gar nicht abschalten.“

Julia Kopatzki

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