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Beweisstück. An dieses Boot soll der Investmentbanker Stefan T. gefesselt worden sein. Doch es gibt Ungereimtheiten in der Darstellung des Opfers. Dennoch verbot der Chefermittler

© Picture Alliance/dpa

Großverfahren gegen mutmaßlichen Entführer: Was im Maskenmann-Prozess bisher geschah

Bald wird der Prozess gegen den mutmaßlichen Maskenmann fortgesetzt. Für Staatsanwaltschaft und Polizei könnte der Fall zum Fiasko werden.

Der sogenannte Maskenmann-Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) gilt als eines der spektakulärsten Verfahren in der Brandenburger Justizgeschichte. Das liegt nicht nur am Delikt, um das es geht: eine Entführung mit einer Lösegeldforderung, ein selten vorkommendes Verbrechen. Der letzte derartige Fall datiert immerhin schon aus dem Jahre 1997, als zwei Russen den Gastwirtssohn Matthias Hintze aus Geltow in einem Erdloch versteckt hielten und dabei den Tod ihres Opfers billigend in Kauf nahmen.

Doch der „Maskenmann“, der 2011 und 2012 zwei Berliner Millionärsfamilien in Brandenburg brutal überfallen und einen Bankier gekidnappt haben soll, bringt auch die ermittelnden Polizisten im Zeugenstand vor Gericht immer mehr in Erklärungsnot. „Ich bin der Falsche“, ließ der Angeklagte von seinem Anwalt erklären. Eine Dokumentation der bisher bekannt gewordenen Fakten.

DIE FÄLLE

Im Frühjahr und im Herbst 2011 wird die Familie des Berliner Unternehmers Christian P. zweimal auf ihrem Landsitz in Bad Saarow am Scharmützelsee überfallen. Bei der zweiten Tat im Oktober 2011 schoss ein Mann auf die 23-jährige Tochter. Ein Bodyguard warf sich vor sie und erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Er ist seitdem querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.

Am 5. Oktober 2012 drang ein Täter in die Villa des Investmentbankers Stefan T. in Hubertushöhe am Großen Storkower See ein und schoss dabei mehrfach in die Decke. Nach Darstellung des Opfers fesselte der Täter den 51-Jährigen und verbrachte ihn auf eine kleine Schilfinsel, um von der Familie eine Million Euro zu erpressen. Nach 33 Stunden konnte sich das Opfer nach eigenen Angaben selbst befreien.

DIE POLIZEI

Sofort nach dem Überfall am Storkower See startete die Brandenburger Polizei eine der größten Suchaktionen ihrer Geschichte. Mehr als 300 Beamte, Taucher, Boote und Hubschrauber waren im Einsatz. Die Sonderkommission (Soko) mit bis zu 60 Ermittlern erhielt den Namen „Imker“, weil sich der Täter mit einem Imkerhut und Schleier getarnt haben soll. Das erwies sich später aber als falsch. Eine Belohnung von 50 000 Euro wurde ausgelobt und die Bevölkerung wurde aufgefordert, Beobachtungen zu melden. 530 Hinweise gingen daraufhin ein. 40 Personen kamen auf die Liste der Verdächtigen. Mehr als 1000 kriminalistische Spuren wurden untersucht. Allerdings gibt es keine konkreten Beweise, sondern nur Indizien.

DER ANGEKLAGTE

Die Ermittlungen konzentrierten sich schließlich auf den 47-jährigen Mario K., gelernter Dachdecker aus Berlin-Marzahn. Auf ihn stieß die Soko durch die bei den Überfällen in Bad Saarow und Storkow benutzte Waffe vom Typ „Czeska“. Mario K. hatte 1997 vor einem Schnellrestaurant in Berlin-Hellersdorf mehrfach mit einer solchen Pistole auf den Boden geschossen, um sich gegen einen Angriff von Jugendlichen zu wehren. Die Waffe wurde damals von der Polizei beschlagnahmt und vernichtet. Er erhielt wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. 2003 und 2004 hatte er als Einsiedler auf einer Sumpfinsel in den Gossener Wiesen am Seddinsee in Köpenick gehaust, war in Jachten eingebrochen und hatte diese angezündet. Ein Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren und drei Monaten Haft. Er lebt von Hartz IV. Als Mitglied in einem Berliner Schützenverein schoss er regelmäßig mit einer „Czeska“. Eine Spur, die ihn konkret mit einer möglichen Tatwaffe in Verbindung bringt, gibt es aber nicht.

Monatelang wurde im Jahre 2013 der überwiegend im Wald lebende Mario K. von der Polizei observiert und im September 2013 vor einem Einkaufszentrum in Köpenick festgenommen. Seit dieser Zeit sitzt er in Untersuchungshaft.

DIE ANKLAGE

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten versuchten Mord, schwere Körperverletzung und räuberische Erpressung vor. Ihm droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Haft.

DER PROZESS

Im Mai 2014 begann der Prozess über die Taten in Bad Saarow und am Storkower See. Die Zahl der Prozessbeteiligten ist enorm hoch. Auf dem Podium sitzen drei Richter und drei Schöffen sowie ein Ersatzschöffe und eine Protokollantin. Der Angeklagte wird von zwei Verteidigern vertreten. Ihnen gegenüber nehmen stets zwei Staatsanwälte Platz sowie die vier Anwälte der Nebenklage, vier mutmaßliche Opfer des „Maskenmannes“ und ein psychiatrischer Gutachter. Dazu kommen sechs Bewacher des Angeklagten, der stets in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wird. Das Urteil wurde ursprünglich für Oktober 2014 erwartet. Doch das Verfahren dürfte sich noch weit in das Jahr 2015 hinziehen. Mehr als 200 Zeugen sollen gehört werden. Der Angeklagte Mario K. bestreitet jegliche Tatbeteiligung.

DIE ZWEIFEL

Schon zum Prozessauftakt wird bekannt, dass sich ein langjähriger Polizist, der Mitglied der Soko war, selbst angezeigt hat, und zwar wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Er will so darauf aufmerksam machen, dass aus seiner Sicht bei den Ermittlungen nicht sauber gearbeitet wurde. Vor Gericht wiederholte er seine Zweifel am geschilderten Tatablauf des Entführungsopfers am Storkower See. Er habe in mehreren Selbstversuchen sich gefesselt, befreit und sich durch den Sumpf bewegt. Ein 33-stündiger Aufenthalt am Wasser und ein Waten durch den Sumpf seien ohne Verletzungen nicht möglich. Die aber hat das Opfer nicht erlitten. Eine von der Polizei beauftragte Kriminologin hält die Variante des Entführungsopfers für nicht plausibel. Eine Rekonstruktion des Ablaufs der Entführung fand bei Tageslicht und nicht in der Dämmerung statt, die zur Tatzeit aber schon eingesetzt hatte.

DIE MERKWÜRDIGKEITEN

Die Frau des Entführungsopfers beschrieb den Täter als „nicht größer als ich“, also nicht größer als 1,72 Meter. Tatsächlich ist Mario K. im Gerichtssaal mit 1,86 Metern vermessen worden. Der vom Entführungsopfer geschriebene Zettel mit der Lösegeldforderung steckte angeblich in der nassen Hose, wies aber nach Angaben eines Polizisten keine Flecken auf.

DIE POLIZEIARBEIT

Frühzeitig äußerten Mitglieder der Sonderkommission ihre Auffassung, wonach das mutmaßliche Entführungsopfer die Tat vorgetäuscht haben könnte. Doch kritische Fragen wurden vom Chef der Soko nicht zugelassen, wie er mittlerweile vor Gericht zugab. Alle Ermittlungen richteten sich auf Mario K. In Absprache mit dem Polizeipräsidenten durfte das Opfer zusammen mit seiner Familie schon unmittelbar nach der Entführung in den Urlaub nach Mallorca fliegen. Zuvor war eine gerichtsmedizinische Untersuchung von Stefan T. auf mögliche Verletzungen ausgeblieben. Auch der damalige Notarzt, der den Entführten nach dessen Befreiung kurz in Augenschein genommen hatte, konnte nicht befragt werden. Er ist nach Brasilien ausgewandert.

GEGEN DIE ZWEIFEL

Dem 53-jährigen Banker Stefan T. traut man die Selbstbefreiung nach der Entführung körperlich zu. Sein zur Tat zehnjähriger Sohn schilderte ebenso wie seine Ehefrau den Überfall und die anschließende Fesselung ziemlich glaubwürdig. Es gibt keine Hinweise auf eine Absprache zwischen den beiden überfallenen Millionärsfamilien.

DIE AUSSICHTEN

Der Prozess wird im Januar fortgesetzt. Es werden noch zahlreiche Zeugen erwartet. Einige schon gehörte Personen dürften noch ein zweites Mal in den Zeugenstand gerufen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser spektakuläre Prozess für die Staatsanwaltschaft, die Nebenkläger und die Ermittler der Polizei zum Fiasko wird.

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