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Verkehrswende in Kreuzberg. Die bunte Parade am Pfingstsonntag soll in diesem Jahr erstmals ohne Diesel-Lkw stattfinden.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Großveranstaltung im Juni: „Was bleiben will, muss sich verändern"

Der Karneval der Kulturen will nachhaltiger sein – und sicherer, um Konflikte zu entschärfen. Erstmals gibt es eine Videoüberwachung.

Die Tänzer aus Südamerika wollen in diesem Jahr mehr als Folklore bieten. „Unser Auftritt steht unter dem Motto: Chile, das Ende der Welt“, sagt Marcia Vargas. Zur Pressekonferenz vor dem Karneval der Kulturen ist sie am Donnerstag im bestickten Gewand der Mapuche gekommen, einem unterdrückten indigenen Volk. „Wir wollen den Finger in die Wunde legen bei sozialen und ökologischen Problemen.“

Erstmals Videoüberwachung

Damit passen Marcia Vargas und ihr Tanzkollektiv „Grupo Chile“ gut zum diesjährigen Karneval der Kulturen, der vom 7. bis 10. Juni stattfindet. Der schreibt sich auf die Fahnen, eine neue Kultur von Großveranstaltungen in der Innenstadt zu etablieren. Nachhaltiger und sicherer soll das Fest sein – und damit auch strenger reguliert.

Dazu gehört, dass erstmals zwölf Kameras das Geschehen überwachen. „Die Bilder werden in eine Kontrollzentrale übertragen, von dort aus verfügen Polizei, Feuerwehr und Veranstaltungsdienst nur in Gefahrensituationen darüber, das Geschehen aufzuzeichnen und vorübergehend zu speichern“, erklärt Karnevalsleiterin Nadja Mau. Sie wäre lieber ohne die Videoüberwachung ausgekommen, verweist aber auf das dadurch erleichterte Genehmigungsverfahren.

Streitigkeiten vorbeugen

Denn in den vergangenen Jahren führte der Karneval der Kulturen mit seinen knapp einer Million Besuchern oft zu Streit zwischen Senat, Bezirk, Polizei, Veranstaltern und Nachbarn: Anwohner klagen über Lärm, Müll und gesperrte Straßen, die Organisatoren über fehlende Gelder und die Ordnungskräfte über zu viele Menschen auf zu engem Raum. Zum Schutz vor Terroranschlägen hatte die Polizei bereits 2018 die angrenzenden Straßen mit Zufahrtssperren abgeriegelt, am übernächsten Wochenende sperren die Veranstalter ein noch größeres Gebiet ab.

Aber es soll nicht bloß sicherer, sondern auch leiser und umweltfreundlicher zugehen. So starten von 74 Umzugsgruppen 23 ohne ein motorisiertes Gefährt. Statt mit Lastwagen ziehen die Tänzer, Sänger und Artisten mit Lastenrädern, Schubkarren, Schiebeplattformen oder schlicht zu Fuß durch Kreuzberg. Rund 4400 Akteure beteiligen sich am traditionellen Umzug am Sonntagvormittag von der Großbeerenstraße bis zum Hermannplatz.

Das Repertoire reicht von persischen Rhythmen über chinesische Löwentänze, karibische Trommler, Blasgruppen aus der Schweiz und Narren aus Süddeutschland. Trinken sollen sie, genau wie alle anderen Zuschauer, aus Mehrwegbechern anstatt aus Plastikgläsern. Auch das ist ein Novum. Außerdem stellen die Veranstalter dreimal so viele Müllbehälter auf wie im Vorjahr, nämlich 135 Eimer.

„Was bleiben will, muss sich verändern“, sagt am Donnerstag Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert. Gedankenspielen, den Karneval der Kulturen an den Stadtrand oder gar nach Brandenburg zu verbannen, erteilt er eine Absage. Absage. Dieses Fest, dass die Vielfalt feiert, gehöre nach Kreuzberg.

Mehr als Folklore

Der Senat hat 830.000 Euro beigesteuert und ist damit Hauptförderer. Erstmals werden Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) den Umzug eröffnen und das erste Stück der Strecke vorangehen. „Beim Karneval der Kulturen zeigt sich der kulturelle Reichtum Berlins in allen seinen Facetten“, schreibt Müller in einem Grußwort.

Erstmals fand das Fest 1996 als Statement gegen fremdenfeindliche Ausschreitungen statt. Kritiker finden, seitdem habe sich die Veranstaltung in ein Folklorewochenende mit Fressmeile verwandelt. Eine Stadt, die Diversität jeden Tag lebt, müsse keinen Tag herausheben, um sie zu feiern.

Marcia Vargas sieht das anders. Die Tänzerin erzählt von einer befreundeten Band aus Chile, der Kombo „Wichañe“, die auf eigene Kosten nach Berlin fliegt, nur um beim Karneval der Kulturen aufzutreten. „Tausende Menschen stecken ehrenamtlich viel Herzblut, Lust und Überzeugung in den Karneval“, sagt sie. Am Pfingstsonntag wolle „Grupo Chile“ den Berlinern zeigen, was das Ergebnis davon ist.

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