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Der 42-jährige Geoökologe bricht am heutigen Donnerstag Richtung Polarkreis auf und kommt erst im April zurück.

© Thilo Rückeis

Größte Arktisexpedition aller Zeiten: Aus Potsdam auf ein festgefrorenes Forschungsschiff

Torsten Sachs will den Klimawandel besser verstehen und unternimmt dazu eine einmalige Forschungsreise. Für mehrere Wochen wird er die Sonne nicht sehen.

Zwischen den kahlen Baumwipfeln auf dem Telegrafenberg strahlt die Wintersonne, wärmend und hell. Torsten Sachs läuft ohne Jacke übers Gelände des Wissenschaftsparks Albert Einstein in Potsdam. „Verrückt, wa“, sagt er, „im Januar so ein Wetter. Da wünscht man sich mal richtigen Schnee.“

Richtigen Schnee wird Torsten Sachs bekommen. Am Donnerstag, dem 23. Januar, bricht er auf nach Tromsø in Norwegen. Zusammen mit 57 anderen wird er dort Polarausrüstung erhalten und eine letzte Sicherheitsschulung machen. Dann fährt Sachs an Bord eines russischen Eisbrechers von Tromsø nach Norden, immer weiter ins Eis und in die Dunkelheit. Zwei bis drei Wochen kann es dauern, bis er sein Ziel erreicht: die „Polarstern“, ein deutsches Forschungsschiff.

Eine einmalige Forschungsreise

Torsten Sachs ist Teil eines Expeditionsteams, das eine Forschungsreise von einmaligen Ausmaßen in die Arktis unternimmt: die Expedition MOSAiC. Ein Jahr lang leben Wissenschaftler und Forscher aus 20 Nationen zusammen mit der Crew auf der „Polarstern“. Mitten im arktischen Eis. Das Schiff ist eingefroren und driftet mit dem Eis. Geleitet wird die Mission vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Nachgebohrt. Im Eis wird der Gehalt an Treibhausgasen gemessen.
Nachgebohrt. Im Eis wird der Gehalt an Treibhausgasen gemessen.

©  Promo

Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie sich das Eis in der Arktis bewegt – und wie sich die Polarregion durch den Klimawandel verändert. Begonnen hat diese größte Arktisexpedition aller Zeiten im September. Die Besatzung an Bord wechselt immer wieder, über das Jahr verteilt werden mehr als 600 Menschen die Kojen bewohnt haben. Fünfmal wird gewechselt, Sachs ist Teil der dritten Runde.

Was passiert an der Grenze zwischen Erde und Atmosphäre?

Wenige Tage vor seiner Abreise sitzt er in seinem Büro im Geoforschungszentrum Potsdam vor dem Computer und verfolgt die aktuelle Position der „Polarstern“. Sachs hat zwei Bildschirme, einen waagerecht, einen senkrecht, sein Schreibtisch ist akkurat aufgeräumt. Im Regal liegen die Kanten der Ordner passgenau übereinander. Innen an der Tür hängt eine Karte der Nordpolarregion.

Der 42-Jährige hat Geoökologie studiert und eine Juniorprofessur in Braunschweig. Ihn interessiert, was „an der Grenze zwischen Erde und Atmosphäre“ passiert, sagt er.

Er untersucht den Austausch von Treibhausgasen, vor allem von Kohlenstoffdioxid und Methan. Methan ist ein farb- und geruchloses Gas. Wenn es mit Sauerstoff reagiert, entstehen Kohlenstoffdioxid und Wasser. Methan kann unter anderem in Permafrostböden oder auch im Ozean gebildet werden oder festgesetzt sein. Taut der Frost, wird es freigesetzt.

Eiskerne ziehen in der Arktis

Während seines Aufenthalts auf der „Polarstern“ will Sachs auf zwei Arten Proben nehmen: Zum einen wird er Eiskerne ziehen und auf ihren Methangehalt prüfen. Zum anderen will er mit einer Hubschrauberschleppsonde, einem „300-Kilo-Biest“ mit Messgeräten, in einigen Metern Höhe über dem Eis entlangfliegen und die Methankonzentration in der Luft messen. Wozu?

„Vereinzelt werden Methankonzentrationen in der zentralen Arktis beobachtet, die höher sind als gedacht. Aber es gibt viel zu wenig Daten, um einzuschätzen, aus welchen Quellen welche Mengen an Treibhausgasen kommen. Wir wollen wissen, wie viel da wirklich freigesetzt wird, woher es kommt, und wie die Zusammenhänge sind.“

„Es kann sein, dass wir die Schnelligkeit des Klimawandels unterschätzen“

Neben der Atmosphärenforschung sei es ein Ziel der Expedition, den arktischen Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen – und Antworten auf drängende Fragen zu finden, vor die der Klimawandel die Menschheit stelle: „Was kommt auf uns zu? Was übersehen wir? Unser Wetter, seine Entwicklung und seine Verschiebungen, das alles hängt von der Arktis ab. Solange man nicht ausreichend versteht, wie etwas passiert, wird es auch nicht adäquat in den globalen Berechnungen berücksichtigt. Es kann sein, dass wir die Schnelligkeit des Klimawandels unterschätzen.“

Polarfüchse knabbern Kabel an

Bei Außentemperaturen von minus 30 Grad Celsius und kälter ist es aber gar nicht so leicht, Forschung zu betreiben. Ob alle Forschungsgeräte die Witterung aushalten, ist ungewiss. Und auch, ob die Bewohner der Arktis mitspielen: Mehrfach haben Wissenschaftler von Bord der „Polarstern“ schon berichtet, dass Polarfüchse Kabel angeknabbert hätten oder ein Eisbär im Vorbeilaufen gegen technische Gerätschaften gerempelt sei.

Die Sicherheitsvorschriften für die Forscher sind streng, erzählt Sachs: Alleine darf keiner aufs Eis. Insgesamt seien acht professionelle Eisbärenwächter im Einsatz, außerdem müssen alle Expeditionsteilnehmer ein Eisbärenabwehrtraining durchlaufen. Sachs wurde auf einem Truppenübungsplatz bei Bremerhaven geschult, in Eisbärverhaltenstheorie, mit Suchbildern – „weiß auf weiß sieht man nicht gut“ – und mit Schießübungen auf Pappaufsteller, bis in die Nacht.

Vorgesehen ist eine Begegnung mit den Bären aber nicht: Wärmebildkameras und Leuchtraketen sollen warnen, wenn sich die Tiere dem Schiff und den außen herum aufgebauten Forschungsstationen nähern. Kommt ein Eisbär zu nahe, wird die Scholle evakuiert.

„Wenn es ein Schnarcher ist, wird es schwierig“

Angst hat Sachs vor den Bären nicht. Zwei andere Dinge bereiten ihm eher Sorge: „Ich habe verstärkt das Gefühl, dass ich etwas Wichtiges vergesse. Das ist jetzt ja nochmal ein Stück weiter weg als sonst und wenn mir etwas Spezielles fehlt, dann hab ich Pech gehabt.“ Jeder Expeditionsteilnehmer darf 20 Kilogramm Gepäck mitbringen in einer faltbaren Tasche oder einem Seesack, denn für Koffer ist auf dem Schiff kein Stauraum verfügbar.

Und auch der Umstand, dass die Wissenschaftler in Zweierkabinen zusammenwohnen, birgt ein gewisses Risiko, findet Sachs: „Wenn es ein Schnarcher ist, wird es schwierig. Ich kann dann einfach nicht schlafen. Ich hoffe, man kann notfalls noch tauschen.“

Was packt man ein für viele Wochen Arktis? Computer, Kamera, MP3-Player, Ladegeräte, ausreichend leere Festplatten, zählt Sachs auf, dazu etwas zu lesen.

Weil es auf der „Polarstern“ Waschmaschinen gibt, nimmt er Kleidung für ein bis zwei Wochen mit, und Sportsachen. Polarausrüstung ist bereits vor Ort, seinen Überlebensanzug – besonders warm und mit Auftrieb, falls man ins Wasser fällt – bekommt Sachs in Tromsø. Der derzeitige Fahrtleiter habe außerdem angefragt, ob die Neuankömmlinge ein paar Spiele mitbringen könnten. Nächte können lang sein, wenn immer Nacht ist.

Die Sonne wird er mehrere Wochen lang nicht sehen

Die Sonne wird Torsten Sachs mehrere Wochen lang nicht sehen. Geplant ist, dass er bis Anfang April auf der „Polarstern“ bleibt, das Zeitfenster für seine Rückkehr ist auf drei Wochen angesetzt. Zumindest in den ersten Wochen wird nur der Mond die Eislandschaft erhellen. Dort, wo das Schiff im Eis steckt, dauert die Polarnacht rund 150 Tage. Sachs sagt: „Du lebst im Scheinwerferkegel deiner Stirnlampe.“

Und es ist nicht nur dunkel. Auch die Kontaktmöglichkeiten zur Zivilisation sind begrenzt. Es gibt für die gesamte Besatzung des Schiffs zwei Satellitentelefone.

[Mehr Informationen zur Expedition unter follow.mosaic-expedition.org]

Über Bord-WLAN ist die Nutzung von Messengerdiensten wie WhatsApp zwar möglich, allerdings ohne Anhänge, Fotos, Videos. Skype geht nicht, Fernsehen geht nicht. Mails können über eine spezielle Bord-Adresse verschickt werden, bis zu einer Größe von 50 Kilobyte. Für Sachs ist das kein Problem. „Wenn das normale Alltagsgeprassel von E-Mails und Nachrichten reduziert wird, ist das für mich wie Urlaub.“ Ein internetfähiges Handy hat er ohnehin nicht.

600 Menschen ein Jahr in der Arktis zu versorgen, bedeutet Aufwand

Die MOSAiC-Expedition ist eine Investition. 600 Menschen für ein Jahr in der Arktis zu versorgen, bedeutet einen enormen Aufwand. Allein die reinen Betriebskosten betragen rund 200.000 Euro pro Tag, die Kosten werden auf insgesamt 140 Millionen Euro geschätzt. Mitfinanziert wird die Expedition vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Ist es das wert? „Auf jeden Fall“, sagt Sachs. Wenn man bedenke, dass mit dieser Expedition ein ganzes Jahr in Daten abgebildet und noch Generationen von Wissenschaftlern mit der Auswertung beschäftigt werden können, sei es „eigentlich ein ziemlich günstiger Preis“.

Es könnte ein entscheidender Erkenntnissprung sein

Für die Wissenschaft könnte die Expedition einen großen, vielleicht einen entscheidenden Erkenntnissprung bedeuten. Für jeden Teilnehmer ist sie ein Abenteuer. Die Plätze waren enorm begehrt, berichtet Sachs: „Natürlich wollten viele mit. Ich habe nachts um zwei Uhr auf einer Party mitbekommen, dass in der Gruppe einer Kollegin noch ein Platz freigeworden ist. Da sein zu können, ist schon was, eine einmalige Aktion.“

Endlich richtiger Schnee

Wie wird es sein, auf dem zugefrorenen Polarmeer zu stehen? „Meereis ist faszinierend. Es ist dynamisch, wie Plattentektonik im Schnelldurchgang. Die Schollen verschieben sich, dann ragen die Zacken wild in die Gegend, wie in einem Mini-Gebirge. Und wenn das Eis richtig alt ist, kriegen die Gipfel eine blaue Färbung. Das passiert, weil nach und nach das Salz aus dem gefrorenen Meerwasser drainiert“, erklärt Torsten Sachs.

Und: „Wenn es so kalt ist, quietscht der Schnee.“ Er greift mit den Händen die Luft, macht eine Geste, als würde er einen Knautschball drücken. „Das ist, wie auf Styropor zu laufen.“ Sachs bekommt richtigen Schnee.

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