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Methusalem kam 1999 auf einem Friedhof in Lichterfelde zur Welt, jetzt verunglückte er in der Nähe des Prinzenbades.

©  Lutz Artmann

Greifvögel: Berlins ältester Habicht ist tot

Sie nannten ihn Methusalem, von weither pilgerten Vogelfreunde in sein Kreuzberger Revier. Nun trauern Berlins Greifvogelfans um einen der bekanntesten Vertreter seiner Art.

Er war ein Star, ein internationaler zudem: Der britische „Telegraph“ hat über ihn berichtet und das „BBC Wildlife Magazine“, ein Schotte reiste seinetwegen nach Berlin. Viele andere Greifvogelfans, Birder, wie sie sich selbst nennen, schlichen immer wieder mit langen Objektiven über einen bestimmten Friedhof in Kreuzberg, um ihn zu beobachten. Am vergangenen Dienstag ist der älteste und bekannteste männliche Habicht Berlins, vielleicht sogar Europas, gestorben.

„Wahrscheinlich hat er sich beim Prall gegen eine Scheibe die Schulter ausgerenkt. Auch ein Hämatom im Kopf ist gut möglich“, erzählt Norbert Kenntner; ein Anflugtrauma sei die häufigste Todesursache von Habichten in der Stadt. Für den promovierten Biologen war das Tier ein alter Bekannter.

Methusalem, wie er unter den Berliner Habichtfans liebevoll wegen seines stolzen Alters von 18 Jahren genannt wurde, war an die Gegenwart von Menschen gewöhnt. Der Vogel mit den für ältere männliche Habichte typischen tief orangeroten Augen blieb entspannt sitzen, wenn sich mal wieder Zweibeiner mit ihren Kameras zwischen den Gräbern postierten. Kenntner ist einer der drei ehrenamtlichen Habichtberinger Berlins, die mit Erlaubnis des Senats arbeiten. Schnell erreichte ihn darum die Meldung, dass die Feuerwehr einen Habicht in die Tierklinik gebracht hatte, für den jede Hilfe zu spät kam.

Der Habicht, wissenschaftlich Accipiter gentilis, ist eigentlich ein Waldbewohner. An diesen Lebensraum ist er perfekt angepasst: Sein Gefieder tarnt ihn, der Körperbau ermöglicht bei der Jagd das Manövrieren im dichten Geäst. Seine Beute greift der elegante Jäger im Tiefflug und durchbohrt sie mit langen Krallen, die scharf wie Dolche sind. Dass sich immer mehr der scheuen Vögel Städte als Lebensraum erschließen, liegt zum Teil an deren altem Baumbestand, aber auch an dem konstant guten Nahrungsangebot, das die Tiere hier auch im Winter vorfinden.

Methusalem kam in Lichtenberg zur Welt

Methusalem war von Geburt an Großstädter. Im Frühjahr 1999 wurde er als Nestling auf einem Friedhof in Lichterfelde beringt; damals noch von einem Kollegen Kenntners. Seit 2006 klettert der Biologe selbst – mit Lederjacke und Helm bewehrt gegen mögliche Angriffe der Altvögel – in die Baumkronen. Am Horst steckt er mit geübtem Griff die jungen Habichte in Leinenbeutel und lässt sie an einem Seil zu seiner Freundin, der Tierärztin Beate Ludescher, herab. Die weiß-flauschigen Nestlinge werden behutsam gewogen und vermessen, ihr Geschlecht bestimmt.

Die weiblichen Tiere bekommen einen großen, die männlichen einen kleineren Ring, ausgewachsene Habichtweibchen sind oft ums Doppelte größer als Männchen. Auch ein Abstrich wird genommen, der auf Parasiten hin untersucht wird. „Käsige Ablagerungen im Rachen sprechen für eine Infektion mit Trichomonaden, die durch Tauben übertragen werden. Die Krankheit endet für die Tiere tödlich“, erklärt die Ärztin. Nach der Prozedur setzt sie die Kleinen wieder in die Beutel, der Seillift transportiert die kostbare Fracht zurück in luftige Höhen.

Ende Januar beginnt in Berlin die Habichtbalz. Gickernde Laute weisen den winterlichen Spaziergänger auf die Anwesenheit der Greifvögel hin. Das Männchen muss sich ordentlich ins Zeug legen: Einen sicheren Horst erwartet das Weibchen, und es will mit Brautgeschenken, Fleischbrocken, umworben werden.

Berlin hat größte Dichte an Habichtpärchen Europas

Nach wiederholter Paarung und Eiablage ist es dann ihre Aufgabe, die Eier zu bebrüten; das Männchen versorgt sie in dieser Zeit mit Nahrung. Kleinsäuger, wie Eichhörnchen oder Ratten, vor allem aber Taubenstückchen werden auch an die Jungen verfüttert, sobald sie im April geschlüpft sind. Die vielen Tauben Berlins sind die Lieblingsbeute für die rund 80 bis 100 Habichtpaare der Stadt. Auf diese gewaltige Zahl wird der Bestand geschätzt; damit weist Berlin die höchste Dichte an Habichtpärchen in Europa auf

Methusalem, der Habicht aus Kreuzberg, ist selbst x-facher Vater. Norbert Kenntner hat seit 2006 rund 39 seiner Nachkommen beringt: „Drei bis vier Junge hat er pro Jahr gezeugt.“ In diesem Jahr saßen vier kleine Habichte im Nest. Das einzige Männchen wurde wenig später tot von einem Friedhofsgärtner gefunden. Wahrscheinlich hatte er sich bei der Futtervergabe nicht gegen seine stärkeren Schwestern durchsetzen können. Natürliche Feinde, wie Uhus oder Adler, haben die urbanen Habichte kaum.

Nach 40 Tagen werden die Nestlinge flügge: sie klettern aus dem Horst heraus und sitzen in den umliegenden Bäumen. Noch weitere vier Wochen müssen sie als Ästlinge mit Nahrung versorgt werden. Eine anstrengende Zeit für die Eltern, die selbst nur alle paar Tage fressen müssen.

Auf der Jagd nach Beute für die Familie befand sich vermutlich auch der Kreuzberger Vogel, als er in der Nähe des Prinzenbades verunglückte. „Die schlimmsten Feinde des Habichts in der Stadt sind große, spiegelnde Fensterfronten – und der Vogelfoto-Tourismus“, resümiert Kenntner, der weiß, wie empfindlich die Tiere auf Störungen in ihrem Revier reagieren.

Dennoch gibt es sogar englischsprachige Reiseführer, die Tierfotografen die interessanten Plätze in der Greifvogelhauptstadt Europas ausweisen. Nirgendwo sonst kann man die Tiere so nah erleben wie in Berlin. Aber Habichte sind streng geschützt: Über die genaue Lage ihrer Horstbäume wird nur hinter vorgehaltener Hand berichtet.

Die Birder trauern auf Facebook um den wenig scheuen und darum verlässlich anzutreffenden fotogenen Habicht. Methusalem war ihr Star.

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