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Greenkeeper im Olympiastadion Berlin: Herr der Halme

Stutzen, lüften, putzen – Alan Cairncross pflegt das Stadiongrün. Empfohlene Schnittlänge: 2,8 Zentimeter

Mit seinen Haaren hält es Alan Cairncross genauso pragmatisch wie mit dem Rasen des Olympiastadions. Sie sind kurz, stets akkurat gestutzt. „Nicht von mir“, sagt er, „vom Friseur.“ Cairncross, 52, hätte man früher in der Fußballszene einfach Platzwart genannt. Aber das klingt nach Bierbauch und Altmännerjob. Alan Cairncross ist „Headgreenkeeper“. Er ist der Rasenchef, und sein Gefühl für Grün ist angeboren: Der Mann ist auf einem Bauernhof aufgewachsen – im schottischen St. Andrews, der Heimat des Golfsports.

Jeden Morgen kurz nach sieben dreht er seine Runde durch den Olympiapark. Dort kümmert er sich um etliche Fußballplätze. Alle haben dieselben Maße wie der im Stadion. So können die Fußballer die Weite ihrer Trainingspässe bestens aufs Spiel übertragen. Cairncross streicht über die Halme, stopft herausgerissene Rasenfetzen zurück in den Boden und ärgert sich, wenn Wildschweine auf den Fußballplätzen nach Schnecken und Eicheln gesucht haben. Der Rasenpfleger ist auch Rasendoktor. „Ich muss Krankheiten erkennen, bevor sie sich ausbreiten.“ Deshalb schaut er Tag für Tag vorbei, bei Regen, bei Schnee.

Der englische Patient ist wertvoll, so teuer wie eine Eigentumswohnung. Er kostet 120 000 Euro, wird ein Jahr lang gezüchtet, aus dem Erdreich geschält und in 1,20 Meter breiten, 35 Millimeter dicken Bahnen wieder ausgerollt. Irgendein Rasen darf das nicht sein, sondern eine Spezialmixtur: 75 Prozent Wiesenrispe, 25 Prozent Weidelgras.

Und dann der Platz: In mehr als 20 Zentimetern Tiefe, auf einem Kies-Sand-Gemisch, liegen 20 Kilometer Abflussrohre und Heizungsschläuche, damit der Rasen nicht gefriert. Darüber befindet sich eine weitere Schicht Sand, dann erst kommt der Rollrasen. Der Sand verhindert, dass der Rasen in Staunässe ersäuft. „Dieser Rasen muss weicher und ebener sein als in einem Garten“, sagt Cairncross. Die Pässe der Spieler sollen nicht über Hügelchen holpern, sondern rollen wie auf einem Billardtisch. „Stellen Sie sich vor, hier ist ein Länderspiel, Michael Ballack stolpert, und schuld bin ich – ein Brite!“ Da muss er grinsen.

Seit gut zehn Jahren macht Alan Cairncross den Job, gemeinsam mit sieben Kollegen. Seit 1986 lebt er in Berlin, war einer der 3500 Soldaten, stationiert im britischen Hauptquartier hinter dem Olympiastadion. Er kam als Soldat, und als die Armee 1994 Westberlin verließ, blieb er – als Gärtner. Eine Geschichte, wie gemacht für britische Boulevardzeitungen. Während der Fußball-WM war er für diese Medien „the man who once guarded Hitler’s former deputy Rudolf Hess“, der Mann, der den in britischer Gefangenschaft sitzenden Naziverbrecher bewachte. Eine Zeitungsente, sagt Cairncross. Er war zwar in der Haftanstalt in Spandau stationiert, aber nie Heß’ Knastwärter, sondern einfach ein Soldat auf einem gewaltigen Kasernengelände.

Der Rasen soll gut durch den Winter kommen. Doch wenn die Fußballer von Hertha BSC wie im ersten Heimspiel nach der Winterpause grätschen und abbremsen, dann steht für den Pfleger noch mehr Arbeit an. „Während des Spiels freue ich mich noch“, sagt er, „weil die Jungs ja auf meinem Arbeitsplatz kämpfen.“ Aber danach ist die Wiese auch wieder heftig verwüstet.

Die schweren Maschinen – das Wörtchen Rasenmäher wäre stark untertrieben, schließlich sitzt Cairncross auf einem Gefährt von Kleinwagenausmaßen – rollen oft über das Grün, manchmal am Abend und am frühen Morgen. Der Rasen sollte Idealmaße haben. Der goldene Schnitt liegt bei 2,8 Zentimetern. Regnet es nachts und morgens scheint die Sonne, wächst das Grün schneller. „Wenn die Grashalme länger als fünf Zentimeter sind, legen sie sich hin“, sagt Cairncross. Dann sinken die Bälle ein, die Stollen unter den Fußballschuhen verhaken sich im Gras, das Spiel wird langsamer.

Der Herr der Halme steigt wieder auf seine Maschine und beginnt, sein Grün zu bürsten. Er mäht im Wechsel, mal mit dem Strich, mal gegen ihn. So entsteht das Schachbrettmuster auf dem Platz. Das hilft den Schiedsrichtern, die anhand der Linien zum Beispiel erkennen können, ob jemand im Abseits steht. Deshalb muss sich Alan Cairncross vor allem an eine Regel halten. „Ich darf alles“, sagt er. „Nur keine Kreise mähen.“ André Görke

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