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Der Graffitikünstler Skeme rennt auf diesem Foto von 1982 über das Dach eines New Yorker U-Bahn-Waggons.

© Martha Cooper

Graffiti-Fotografin Martha Cooper: „Als hätte ich Zugang zu einer geheimen Welt“

Seit den 70er Jahren fotografiert Martha Cooper Graffitikünstler und ihre Arbeit. Eine Ausstellung widmet sich nun ihrem Lebenswerk. Ein Interview.

Bunte Linien, die sich über Züge ziehen, sogenannte Tags und Bombings. Streetart an Fassaden in verschiedenen Teilen der Welt. Und immer wieder jene, die hinter der urbanen Kunst stecken: Graffiti- und Streetart-Künstler, Breakdancer und die Anfänge der Hip-Hop-Kultur. Seit den 1970er Jahren dokumentiert die US-amerikanische Fotografin Martha Cooper die künstlerische Subkultur, die sich ab den 80er Jahren verstärkt an Zügen der New Yorker U-Bahn zeigte und wenig später auch in Berlin. 1984 veröffentlichte Martha Cooper gemeinsam mit Henry Chalfant das Buch „Subway Art“, das mittlerweile über 500 000 Mal verkauft wurde und zu einer Art Bibel der damals noch jungen Graffitiszene wurde. Gewidmet ist es all jenen, „die vor dem Gesetz wegrennen, um ihre Kunst auszudrücken“, schreibt sie im Vorwort. „Keep runnin‘!!!“ Rennt weiter.

Nun widmet sich die Ausstellung „Martha Cooper: Taking Pictures“ im Urban Nation Museum in Schöneberg erstmals in einer umfassenden Retrospektive dem Leben und Schaffen der wohl bekanntesten Graffiti-Fotografin. „Wir gehen damit neue Wege, die sich stärker an der Dokumentation der Graffiti- und Urban-Art-Geschichte orientieren“, beschreibt Museumsleiter Jan Sauerwald den Ansatz. Bereits seit 2014 unterstützt die mittlerweile 77-jährige Martha Cooper das Museum mit Werken, Büchern und Artefakten aus ihrem persönlichen Archiv. Vor der Eröffnung der Ausstellung konnte der Tagesspiegel ihr – coronabedingt schriftlich – einige Fragen stellen.

Frau Cooper, wie kam es, dass sie in den 1970er Jahren begannen, die Graffiti- und Hip-Hop-Kultur zu dokumentieren?
Von 1977 bis 1980 war ich feste Fotografin der „New York Post“. Die Zeitung befand sich damals in der Lower East Side in Manhattan, ich war aber in allen Teilen der Stadt unterwegs. Auf dem Weg zurück zur Redaktion, wo ich jeden Tag meine Filme entwickelte, begann ich ein persönliches Projekt: Ich fotografierte Kinder, die kreativ spielten, ohne erwachsene Betreuung, auf den Brachflächen zwischen den vielen verlassenen Gebäuden.

Ein Junge zeigte mir sein Notizbuch mit Zeichnungen, die er an Wände malen wollte. Er schlug mir vor, Fotos von Graffiti zu machen und bot mir an, mich einem „King“ vorzustellen. Dieser stellte sich als Dondi heraus, einer der bekanntesten und bewundertsten Graffiti-Writer. Nach diesem Treffen war ich wie besessen davon, die wenig verstandene Graffiti-Kultur zu fotografieren. Über die Künstler lernte ich auch Hip Hop kennen und begann, auch diese Kultur zu dokumentieren.

Martha Cooper nimmt sich auf diesem Foto gewissermaßen selbst ins Visier.
Martha Cooper nimmt sich auf diesem Foto gewissermaßen selbst ins Visier.

© Nika Kramer

Wie entschieden Sie, welche Graffiti sie fotografieren würden?
Ich entschied das normalerweise nicht im Vorfeld. Gelegentlich hörte ich von einem großen Stück, das gerade gemalt worden war, und versuchte es mit besonderem Aufwand zu erwischen. Meistens fotografierte ich aber einfach jede besprayte U-Bahn, die an mir vorbeifuhr. Ich fuhr durch die Bronx, wo die Züge oberirdisch fahren, und suchte nach interessanten Hintergründen zwischen den Stationen, vor denen man die Gleise gut sehen konnte. Dann verbrachte ich viele Stunden und Tage an dieser Stelle und wartete auf besprayte Züge.

Die Züge fahren in Nord-Süd-Richtung, deswegen stand ich, um Gegenlicht zu vermeiden, morgens auf der einen Seite und Nachmittags auf der anderen. Wenn ich ein interessantes Graffiti vor einem interessanten Hintergrund fotografiert hatte, wechselte ich zum nächsten Spot. Für mich war der Kontext des U-Bahnwagens genauso wichtig wie das Graffiti. Ich fand es aufregend, einen frisch von oben bis unten bemalten Zug zu sehen. Und gleichzeitig war es herausfordernd, das Foto zu schießen, bevor das Werk weggeputzt oder übermalt war. Die meisten Graffiti waren nur wenige Tage in perfektem Zustand.

Die Fotojournalistin Martha Cooper dokumentiert seit den 1970er Jahren Graffiti und Graffitikünstler in allen Teilen der Welt.
Die Fotojournalistin Martha Cooper dokumentiert seit den 1970er Jahren Graffiti und Graffitikünstler in allen Teilen der Welt.

© Nika Kramer

Welche Graffiti fanden Sie besonders interessant?
Ich entschied in der Regel erst beim Bearbeiten der Fotos, welche Werke ich mochte. Natürlich zogen mich vor allem Graffiti von Künstlern, die ich kannte, an. Zusätzlich zu den Whole Cars (Anm.d.R.: Gemeint sind vollständig bemalte Züge.) fand ich viele Charaktere und Details spannend. Graffiti ist ein exzellentes Subjekt für die Standbildphotografie, folgende Generationen können dann die Kunst bewundern.

Neben Graffitikünstlern dokumentiert Martha Cooper auch das Straßenleben - etwa diesen spielenden Jungen in der Lower East Side in Manhatten 1972.
Neben Graffitikünstlern dokumentiert Martha Cooper auch das Straßenleben - etwa diesen spielenden Jungen in der Lower East Side in Manhatten 1972.

© Martha Cooper

Was fasziniert sie an der Graffiti- und Hip- Hop-Kultur?
Für mich ist der faszinierendste Aspekt, dass Jugendliche eine komplette, eigene Kultur mit eigener Musik, eigenen Tänzen und eigener Kunst geschaffen haben, und dass die meisten Erwachsenen das nicht einmal mitbekommen haben. Ich fühlte mich, als hätte ich Zugang zu einer geheimen Welt.

2018 veröffentlichten Sie das Buch „One Week with 1UP“ mit einer der bekanntesten Berliner Graffiti-Crews. Wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?
Die „Woche“ mit 1UP war tatsächlich ein Zeitraum von eineinhalb Jahren. Ich traf einige der Jungs in Berlin bei einer Veranstaltung des Urban Nation Museums. Sie sind exzellente Fotografen und Filmemacher, es war für mich eine Ehre, mit ihnen zu arbeiten.

Das Gleis der 180th Street in der New Yorker Bronx 1980 - und ein sogenannter Whole Train, ein komplett besprayter Zug.
Das Gleis der 180th Street in der New Yorker Bronx 1980 - und ein sogenannter Whole Train, ein komplett besprayter Zug.

© Martha Cooper

Was halten Sie von den jüngsten Entwicklungen in der Graffiti- und Streetart-Szene – etwa, dass die Techniken in der Werbung eingesetzt werden oder Museen wie die Urban Nation entstehen?
Die Künstler müssen von irgendetwas leben, deswegen bin ich glücklich, wenn sie einen Markt und eine legale Fläche zum Malen finden. Graffiti wird auch die „größte Kunstbewegung der Weltgeschichte“ genannt und verdient als solche einen Platz in Galerien und Museen. Das Problem für die Künstler besteht darin, die Kunst, die sie so plakativ und schnell auf große Outdoorflächen bringen, auf kleine Leinwände zu übersetzen. Das klappt nicht immer. Es ist eine Sache, ein Kunstwerk für dich selbst und deine Gruppe zu erschaffen, ein Werk für den Verkauf hingegen ist eine andere. Die Geschichte von Graffiti und Streetart muss bewahrt werden – auch deswegen unterstütze ich das Urban Nation Museum mit meiner privaten Sammlung.

„,Martha Cooper: Taking Pictures“ ist ab dem 2. Oktober 2020 bis zum 1. August 2021 im Urban Nation Museum in der Bülowstraße 7 in Berlin-Schöneberg zu sehen. Geöffnet ist das Museum Dienstags und Mittwochs von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.Weitere Infos gibt es unter urban-nation.com.

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