zum Hauptinhalt
Weggeklickt. Die analoge Präsenz von Konzernen wird in Kreuzberg traditionell nicht gern gesehen.

© Tobias Schwarz/AFP

Google-Campus in Kreuzberg: Kritik an Google-Absage: "Fatales Zeichen"

Vertreter der Start-up-Branche und der Opposition schimpfen gegen die Entscheidung. Die Anti-Google-Initiative kündigt weitere Aktionen an.

Einen Tag nach dem großen Krach ist es ziemlich ruhig im Kiez. Nur aus einem Plattenladen in der Ohlauer Straße ertönt Rock-Musik. Dass direkt gegenüber im Umspannwerk nun doch kein Google-Campus für Start-Ups entstehen soll, sondern soziale Initiativen einziehen, freut Ladenbesitzer Achim Koppritsch. Auch er hatte Angst vor den üblichen Verdrängungsmechanismen: „Da kommen dann 300 neue Mitarbeiter und alles verändert sich.“ Die Angestellten suchen Wohnungen, die Mieten steigen und der Kiez verändert sich, sagt er. Seine Angst: „Dann werde ich durch so ein hippes Café mit Rösterei ersetzt.“

„Die Mittel des zivilen Ungehorsams sind legitim“

Zwar will Google die Planänderung nicht als Rückzug verstanden wissen, doch die Gegner des Internet-Konzerns werten das Aus des Campus als ihren Sieg. Allen voran bei der Initiative „Google Campus & Co verhindern“, die Anfang September sogar kurzzeitig das Gebäude besetzt hatte. Dort sieht man sich nun bestärkt. „Kreuzberg wird von irgendwelchen Investoren überrannt“, sagt David Schneider, Mitglied der Initiative. Dagegen müsse man sich wehren, auch mit Farbbeutelwürfen oder Besetzungen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Die Mittel des zivilen Ungehorsams sind legitim“, sagt Schneider. Der Protest gegen Google sei dabei erst der Anfang. Auch das Luxus-Hotel „Orania“, die „Factory Berlin“ und das geplante Start-up-Zentrum, das am Oranienplatz in den Räumen der derzeitigen „Denkerei“ entstehen soll, wollen die Aktivisten weiter bekämpfen. Schneiders Vision: Entschädigungslose Enteignung der Unternehmer.

Neue Unternehmen nicht ohne Berlinerinnen und Berliner

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) verurteilt gewaltsame Aktionen, hat angesichts der Veränderungsprozesse aber auch Verständnis für die Sorgen vieler Menschen in der Stadt. „Unsere Aufgabe als Politik ist, das Wachstum in der Stadt sozial- und umweltverträglich zu gestalten. Das Wachstum muss bei den Berlinerinnen und Berlinern ankommen“, sagte sie dem Tagesspiegel und verweist auf 100.000 Arbeitsplätze, die in den vergangenen zwei Jahren entstanden seien.

Deshalb wolle man auch weiter die Ansiedlung und Erweiterung von Unternehmen aus der Tech-Branche fördern. „Der Flächenknappheit wollen wir mit unserer Ankaufstrategie für Gewerbeflächen entgegenwirken“, sagt Pop.

"No-Go-Area für Techunternehmen"

Die Opposition sieht das ein bisschen anders. „Es ist erschütternd, wie die Aufgabe des geplanten Google-Campus in Kreuzberg international Wellen schlägt und den Ruf Berlins weit über die Landesgrenzen hinaus schädigt“, sagt Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion mit Blick auf die Berichterstattung der BBC. Seine Befürchtung: „Solche Berichte schrecken Investoren ab, so dass sie mit ihren innovativen Ideen künftig einen Bogen um unsere Stadt machen könnten.“ Unterstützung bekommt Gräff von Florian Nöll, Chef des Startup-Bundesverbands. In einem Gastbeitrag für das Branchen-Portal t3n beklagt er die Untätigkeit der Politik. „Damit ist Kreuzberg ab sofort bekannt als No-Go-Area für Tech-Unternehmen. Und das weit über die Landesgrenzen hinweg.“

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann widerspricht dem vehement: „Unternehmen, kleine und große, sind bei uns herzlich willkommen und Teil der berühmten Kreuzberger Mischung“, sagte die Grünen-Politikerin. Dass sich im Umspannwerk nun nicht Google, sondern soziale Initiativen ansiedeln werden, freut sie aber. Ihre Aufgabe sieht sie darin die Interessen der Bürger, aber auch der Wirtschaft zu vertreten. „Die Arbeitsplätze der Gegenwart und Zukunft liegen nicht in der Industrie, sondern im Dienstleistungs- und Digitalsektor. Dieser benötigt Räume, um sich weiterzuentwickeln, auch hier in Friedrichshain-Kreuzberg.“

Google finanziert für fünf Jahre soziale Unternehmen

Räume hat durch die Entscheidung von Google nun die Sozialgenossenschaft Karuna erhalten. „Wir sind total glücklich über diese Chance“, sagte Gesellschafter Jörg Richert. Google finanziere für fünf Jahre Miete und Kosten für Betterplace und Karuna. Allein die Miete für die knapp 3.000 Quadratmeter betrage 480.000 Euro im Jahr (13,30 Euro pro Quadratmeter). Google ist selbst Mieter der Fläche. Vereinbart sei, dass die Nutzer nach fünf Jahren selbst in der Lage sein müssen, die Miete zu tragen.

Dass erst der massive Protest der unterschiedlichen Initiativen Google zum Einlenken gebracht habe, weist Richert zurück. Karuna sei seit langer Zeit mit Google im Gespräch, habe gemeinsame Projekte durchgeführt. Der Konzern investiere an vielen Stellen in soziale und gesellschaftliche Projekte. „Leider waren die Vertreter der Protestbewegung zu Gesprächen nicht bereit“, sagte Richert. Sonst hätte man einvernehmliche Lösungen auch ohne Hausbesetzungen finden können. Denn die Sorge vor Gentrifizierung könne er verstehen.

Bunte und kreative Umgebung in Kreuzberg

Cedrik Lutz, Leiter der Geschäftsstelle des Unternehmervereins Friedrichshain- Kreuzberg hält den Bezirk für Unternehmer und Investoren für attraktiv. Die Umgebung sei bunt und kreativ. Auch deshalb hätten sich viele Start-Ups aus der Medien- und IT-Branche angesiedelt. „In Kreuzberg gibt es viele Tech-Unternehmen, die erfolgreich sind“, sagt Lutz, in dessen Verein 167 Unternehmen Mitglied sind, darunter Hotels und Banken, aber auch Imbissbetreiber wie Curry 36. Sein Eindruck: „Die Stimmung im Bezirk ist nicht unternehmerfeindlich.“

Auch Plattenladen-Besitzer Achim Koppritsch findet Wirtschaftsansiedlungen wichtig. Immerhin ist er selbst Unternehmer. „Ich habe nichts gegen Start-ups“, sagt er. „Nur gegen Google, das ist ein Datensammelkrake.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false