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Der CDU-Politiker Friedrich Merz ließ vor Jahren sein Notebook am Ostbahnhof liegen.

© Silas Stein/dpa

Glosse: Wie Friedrich Merz sich bei Berliner Obdachlosen bedankte

Der CDU-Politiker verlor vor Jahren sein Notebook am Berliner Ostbahnhof. Obdachlose gaben das Gerät ab und erhielten dafür ein Geschenk, das sie wütend machte.

So lange der Thermostat die heimische Heizung regelt, gehört die Kälte zum Advent. Man richtet sich behaglich ein, pustet in die Tasse Tee und macht sich warme Gedanken. Ganz anders fühlt es sich an, wenn man auf der Straße sitzt und soziale Kälte spürt.

So empfanden es die beiden Obdachlosen Enrico und Micha. Die Sache liegt eine Weile zurück, 2004, „vielleicht war es auch 2005“, so genau erinnern sich Enrico und Micha nicht mehr, fanden sie am Ostbahnhof ein herrenloses Notebook. Anfangs hätten sie überlegt, „was man damit so alles machen könnte“, erzählten sie der Obdachlosen-Zeitung „strassenfeger“, doch entschieden dann, „das geben wir mal lieber ab“ und trugen ihren Fund zum damaligen Bundesgrenzschutz. Weil beide keinen festen Wohnsitz hatten, gaben die Finder zu ihren Namen die Adresse der Treberhilfe ab.

Merz schickte den Findern als Dank ein signiertes Buch

Der Besitzer des Notebooks meldete sich bald darauf: Es war Friedrich Merz, damals CDU-Bundestagsabgeordneter, heute Kandidat für den Parteivorsitz. Enrico und Micha erfuhren davon einige Wochen später auf einem Fest der Treberhilfe. Dorthin schickte Merz sein neues Buch „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion“, versehen mit handschriftlicher Widmung: „Dem ehrlichen Finder“. Enrico und Micha empfanden das Geschenk als unangemessen. „Wir waren sauer: Wir haben auf der Straße gelebt, und das wusste Herr Merz ja.“ Das Buch warfen sie in die Spree. In einem Brief an Merz schrieben sie danach, „dass es sich gehört hätte, sich vernünftig und ordentlich zu bedanken“. Eine Antwort blieb aus.

An dem Buch würgt die Spree bestimmt immer noch:  Erst floss sie vorwärts, jetzt fließt sie rückwärts, dann trocknet sie aus ... und gibt den Titel wieder frei: "Nur wer sich ändert, wird bestehen: ...."

schreibt NutzerIn mellibehse

"Wir können sagen, dass manchmal weniger mehr ist"

Zur Sozialpolitik sagte Merz dann später noch etwas Denkwürdiges, 2008 als Gast einer FDP-Klausurtagung. Politiker dürften sich bei Hartz IV nicht auf einen Überbietungswettkampf einlassen nach dem Motto „Wer gibt mehr?“. Und: „Wir können durchaus sagen, dass manchmal weniger mehr ist.“

Merz war damals vermutlich noch kein Millionär und besaß nicht mal einen Privatjet. Das sollten auch Enrico und Micha bedenken – und Frieden mit dem Vergangenen schließen. Nur noch einen Monat, dann ist Heiligabend.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war fälschlicherweise von einem obdachlosen Mann namens Achim die Rede. Tatsächlich heißt er Enrico. Wir haben den Fehler korrigiert.

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