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Gemeinsam unterwegs. Geschäftsführer Olaf Dilge (l.) mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Gewinner des Inklusionspreises in der Kategorie „Mittelstand“: Die Stärke suchen, nicht die Schwäche

Das Charlottenburger Bestattungshaus Grieneisen kooperiert seit Jahren mit der Union Sozialer Einrichtungen – und feiert bald ein beachtliches Jubiläum.

Der Chor ist gewiss nicht das Wichtigste. Aber er ist ein Hinweis darauf, wie wohl sich Christiane Rietz an ihrem Arbeitsplatz fühlt. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen bei Grieneisen Bestattungen hat sie im Frühjahr die Gemeinschaft von Sängerinnen und Sängern ins Leben gerufen. Angeleitet von einem erfahrenen Chordirigenten proben mittlerweile 14 Mitarbeiter des traditionsreichen Berliner Bestattungshauses regelmäßig in der Zentrale des Unternehmens in Charlottenburg. Kürzlich gab es einen ersten Auftritt: Als ein langjähriger Betriebsrat verabschiedet wurde, begleitete der Chor die Feier mit Liedern.

Was für Rietz von Bedeutung ist: Der Chor steht auch Beschäftigten der Union Sozialer Einrichtungen (USE) in Berlin offen und ist somit ein Stück gelebte Inklusion über den eigentlichen Arbeitsalltag hinaus. Überdies drückt sich in diesem Angebot etwas von der Dankbarkeit aus, die Rietz gegenüber der USE empfindet: „Man ist mir dort mit großer Offenheit begegnet und man hat mir Dinge zugetraut, vor denen ich selbst vermutlich zurückgeschreckt wäre“, erzählt sie. In den Werkstätten der USE hat sie in verschiedene Bereiche hineingeschnuppert, unter anderem in die Mediengestaltung. So kam schließlich der Kontakt zu Grieneisen zustande.

Wer mehr Zeit benötigt, bekommt sie auch

Im Trauerdruck des Bestattungshauses hat Rietz seit März 2017 eine neue berufliche Aufgabe gefunden, die sie ausfüllt und bei der sie sich angenommen fühlt. Im Team mit zwei Grafikerinnen gestaltet sie Traueranzeigen, Karten und Danksagungen. „Vom ersten Tag an haben mich die Kolleginnen und Kollegen hier freundlich und hilfsbereit aufgenommen und mir so den Einstieg sehr erleichtert“, sagt Rietz. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wie sie aus früheren Arbeitsverhältnissen weiß. Aufgrund ihrer neurologischen Störungen, die sich mitunter in depressiven Schüben äußern, ist Rietz nicht an allen Tagen gleich belastbar. Was in der Vergangenheit zu Unverständnis und sogar zu Mobbing durch Kollegen führte.

Im Betrieb gelten klare Verhaltensregeln

Nicht so bei Grieneisen. „Im kommenden Jahr feiert unser Bestattungshaus sein 190-jähriges Bestehen in Berlin“, sagt Gerhard Bajzek, Regionaldirektor in Berlin und Brandenburg, „und zu dieser langen Geschichte zählt seit jeher ein starkes soziales Engagement.“ Im Arbeitsalltag bedeutet das: Wenn behinderte Mitarbeiter für gewisse Tätigkeiten etwas mehr Zeit benötigen, dann wird ihnen diese auch eingeräumt. Und auch bei Fehlern zeigt man sich toleranter. Das gehe aber nur, weil alle Mitarbeiter des Unternehmens mit seinen rund 40 Filialen in Berlin an einem Strang zögen, sagt Bajzek. „Wir haben schon 2013 für unser Unternehmen Verhaltensgrundsätze erarbeitet, in denen auch der Umgang mit Diversität klar formuliert ist“, ergänzt Geschäftsführer Olaf Dilge. Und diese Grundsätze stünden nicht nur auf Papier, sondern würden im Alltag auch mit Leben erfüllt.

Das hat auch Joschka Wolkow erlebt, als er vor mehr als drei Jahren zunächst als Praktikant im Fuhrpark und Sarglager von Grieneisen zu arbeiten begann. Aufgrund seiner Lernbehinderung fällt es ihm oft schwer, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren und er ist schnell überfordert, wenn zu viele Dinge gleichzeitig auf ihn einprasseln. Bei Grieneisen aber hat er Kollegen gefunden, die darauf Rücksicht nehmen und nicht nach seinen Schwächen, sondern nach seinen Stärken suchen. In der Sargwerkstatt etwa sind an den Wänden kleine Tafeln zu finden, auf denen das Zubehör für die verschiedenen Modelle übersichtlich angeordnet ist. Hat Wolkow mal vergessen, welches Einzelteil zu welcher Serie gehört, reicht ein kurzer Blick auf die Tafeln.

Mitarbeiter, die sich sicher fühlen, trauen sich mehr

Auch Wolkow ist über den guten Kontakt, den Grieneisen seit vielen Jahren zur USE hält, in das Unternehmen gekommen. Seit Langem ist das Bestattungshaus zufriedener Kunde verschiedener Werkstätte innerhalb der USE, so stammt etwa ein Großteil der Büroeinrichtungen oder der Regale im Sarglager aus der dortigen Tischlerei. „Über diese Verbindung ist letztlich der Impuls entstanden, USE-Beschäftigten bei uns Praktika zu ermöglichen, aus denen dann reguläre Arbeitsplätze wurden“, sagt Bajzek. Sehr wertvoll bei der Eingewöhnung sei auch die gute Zusammenarbeit mit Fachkräften der USE gewesen, die immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätten.

Joschka Wolkow hat an seinem Arbeitsplatz so viel Sicherheit gefunden, dass er sich immer neue Tätigkeiten zutraut. So hilft er bei der Einbettung von Verstorbenen. Besonders stolz aber ist er darauf, dass er aktuell mit Unterstützung seines Arbeitgebers den Führerschein in Angriff nimmt. Die theoretische Prüfung ist bereits bestanden, nun braucht es noch einige Stunden praktischer Übung. Auch bei diesem Thema ist spürbar: Sehr viele der Kollegen bei Grieneisen unterstützen und bestärken Wolkow bei seinem Vorhaben, noch mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein zu erlangen.

Könnte nach absolvierter Führerscheinprüfung vielleicht auch der Chor etwas für Wolkow sein? „Lieber nicht“, sagt er und schüttelt rasch den Kopf, „das Singen liegt mir nicht besonders.“ Allerdings stimmt das nicht ganz. „Herr Wolkow und ich, wir singen manchmal in einem viel größeren Chor“, meint Geschäftsführer Dilge, „samstags im Olympiastadion bei Hertha.“

Klaus Grimberg

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