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Abschied. Am Landesamt für Gesundheit und Soziales wurde am Donnerstag ein Kondolenzbuch ausgelegt. Kurz zuvor hatte die Polizei bekanntgegeben, dass die Leiche des vierjährigen Mohamed gefunden worden war.

© Tobias Schwarz/ AFP

Getöteter Flüchtlingsjunge: Mohamed ist tot - Verdächtiger kommt vor Haftrichter

In Brandenburg wurde der Leichnam des Vierjährigen gefunden. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller spricht von einem "furchtbaren Verbrechen".

Die Fahndungsplakate hängen in Moabit noch an jeder Ecke. Auf dem Gelände des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) und in den umgebenden Straßen von Moabit blicken die großen braunen Augen des seit Wochen vermissten Flüchtlingsjungen Mohamed die Passanten an. Seit Donnerstagnachmittag liegt vor dem Lageso ein Kondolenzbuch für den Vierjährigen aus, in das sich viele Menschen eintragen. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die Suche nach Mohamed ein tragisches Ende genommen hat:

Am Donnerstagvormittag fand die Polizei seine Leiche in einem Auto in der Fläming-Gemeinde Niedergörsdorf bei Jüterbog. Zugleich konnte sie dort auch einen 32-jährigen Tatverdächtigen festnehmen. „Seine Mutter hat ihn wohl zur Rede gestellt, nachdem sie ihn auf den deutlich besseren aktuellen Fahndungsfotos der Polizei erkannt hatte“, sagte der Leiter der Soko Mohamed, Winfrid Wenzel, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft in Berlin: „Nachdem er sich ihr offenbarte, hatte sie die Polizei informiert.“ Beamte aus Berlin und Brandenburg seien daraufhin nach Niedergörsdorf gefahren.

Der Mann hat die Tötung gestanden

Während sie die Mutter befragten, fuhr der Sohn mit seinem Auto vor, in dem das tote Kind lag – in einer Art Wanne, bedeckt mit Katzenstreu. „Der Mann hat sich seiner Festnahme nicht widersetzt und die Tötung des Jungen sehr schnell gestanden“, sagte der Soko-Chef. Sein Motiv sei noch völlig unklar, zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen gebe es aber keine Hinweise auf einen pädophilen oder fremdenfeindlichen Hintergrund. Man gehe von einem Einzeltäter aus. Auf Nachfrage des Tagesspiegels, ob die Ermittler einen Zusammenhang zu dem Anfang Juli dieses Jahres in Potsdam verschwundenen Elias prüfen, hieß es, man habe das „von Anfang an mitgedacht und arbeite entsprechend mit den Kollegen in Brandenburg zusammen“.

Dort prüfe man auch, ob der Tatverdächtige, der noch bei seiner Mutter wohnt, möglicherweise ein weiteres Gebäude etwa für handwerkliche Arbeiten genutzt habe. Der 32-Jährige hatte seine Festnahme laut Polizei „ruhig und gelassen“ hingenommen. Er sei kooperativ und bislang nur einmal vor längerer Zeit polizeilich in Erscheinung getreten – allerdings nicht mit einer auch nur annähernd vergleichbaren Straftat. Hinweise, dass er psychisch krank ist, gebe es nicht. Wann er Mohamed tötete, ist ebenso wie das Motiv noch völlig unklar. Der 32-Jährige soll an diesem Freitag noch einem Haftrichter vorgeführt werden.

Flüchtlinge haben Angst um ihre Kinder

Die Ermittler gehen aber davon aus, dass es „wohl nicht erst heute oder gestern gewesen ist“, hieß es auf der Pressekonferenz. Näheres müsse die Obduktion ergeben, deren Ergebnisse vermutlich an diesem Freitag bekannt gegeben werden. Die Mutter von Mohamed war noch vor der ersten Pressemitteilung von der Polizei informiert worden. „Sie wurde mit ihren anderen zwei Kindern im Rahmen des Opferschutzes an einen anderen Lebensort gebracht, wo sie auch psychologisch betreut werden kann“, sagte ein Ermittler. Gegen sie und ihren Lebensgefährten habe nie ein Verdacht bestanden. Die Frau sei vor mehr als einem Jahr aus Bosnien nach Berlin gekommen, habe hier ihr drittes Kind zur Welt gebracht.

Am 1. Oktober wollte sie sich am Lageso Unterhaltszahlungen abholen – dabei habe sie den vierjährigen Mohamed aus den Augen verloren. Während der tatverdächtige 32-Jährige von Niedergörsdorf nach Berlin gebracht und vernommen wurde, verbreitete sich die Nachricht über seine Festnahme und Mohameds Tod rasend schnell rund um das Lageso. „Alle reden darüber, Flüchtlinge, Helfer, alle“, sagte ein Sicherheitsmitarbeiter, der auch Arabisch spricht. In die Trauer um den Tod des kleinen Jungen mischte sich Wut auf den mutmaßlichen Täter. „Für solche Typen sollte man die Todesstrafe einführen“, forderte ein Mann aus dem Jemen. Ein Flüchtling aus Syrien erzählte, dass er seine Kinder nicht mehr aus den Augen lasse.

"Das lange Warten auf ein Wunder war leider vergebens", teilte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Abend mit und sprach von einer menschenverachtenden Tat. Ein unschuldiges Kind sei zum Opfer eines brutalen Verbrechens geworden. Auch Sozialsenator Mario Czaja (CDU) betonte: "Niemand kann nachvollziehen, was es bedeutet, sein Kind auf eine solch unvorstellbar grausame Weise zu verlieren. Die Eltern müssen jetzt mit einem Verlust leben, der kaum mehr ein eigenes Leben möglich macht." Bettina Jarasch, Landesvorsitzende der Grünen, kritisierte zudem die Zustände am Lageso. Sie sagte, sie sei erschüttert über den Tod des kleinen Mohamed und in Gedanken bei seiner Familie: "Was mich zugleich umtreibt ist die Sorge, dass es die chaotischen Zustände am Lageso waren, die dem Täter eine Entführung so leicht gemacht haben. Der Senat trägt insgesamt die Verantwortung dafür, dass sich so etwas nicht wiederholen kann."

Schweigeminute vor dem Lageso

Das Netzwerk „Berlin hilft“ rief zu einer Schweigeminute auf, zu der sich am Donnerstagabend vor dem Lageso rund 200 Menschen einfanden: Flüchtlinge, Helfer und Nachbarn. Mit vielen Kerzen, Briefen, Blumen und einem Foto gedachten sie des getöteten Jungen. Spontan stimmten einige Frauen mit Kopftuch ein arabisches Gebet an – danach wurde es wieder bedrückend ruhig. Unter den Trauernden war auch Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Er sei „bestürzt", sagte er. Die Zustände vor dem Lageso hätten die Entführung des Jungen begünstigt: „Eine Frau, die den ganzen Tag in der Schlange stehen muss, kann nicht immer auf ihre Kinder aufpassen".

In den vergangenen Tagen war die Polizei in der Gegend zwischen Oldenburger und Stromstraße in Moabit mit vielen Einsatzkräften präsent. Hier habe ein Hund angeschlagen, der nach Mohamed suchte. Offenbar ging die Sonderkommission davon aus, dass der mutmaßliche Täter in Moabit unterwegs sei. Am Dienstag hatten die Beamten noch weitere Fahndungsbilder und Videos des mutmaßlichen Entführers veröffentlicht. Danach sei ein erster, allerdings sehr vager Hinweis eingegangen. Zuvor war bereits eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt worden.

Anwohner entsetzt und traurig

Viele Anwohner in Moabit hatten am Donnerstagnachmittag entsetzt und traurig auf das Bekanntwerden der schlimmen Nachricht reagiert. Und nicht wenige glaubten, den Tatverdächtigen zu kennen. "Ich habe ihn schon öfter in der Bugenhagenstraße gesehen", sagte eine Frau dem Tagesspiegel.

Die Bugenhagenstraße ist etwa 600 Meter vom Lageso entfernt. Von dort stammen auch die Fahndungsbilder, die am Tag der Entführung des Jungen von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurden. Nachdem die Polizei die Bilder in einer besseren Qualität veröffentlicht hatte, gingen mehrere Hinweise bei der Polizei ein. Ob der kleine Junge, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus Bosnien nach Berlin kam, da noch lebte, ist bislang völlig unklar. Wie ein Audiogerätehändler in der an die Bugenhagenstraße angrenzenden Wilhelmshavener Straße erzählte, waren in den vergangenen Tagen ständig Polizeibeamte zum Teil mit Suchhunden im Kiez unterwegs. "Es ist schrecklich, dass der kleine Junge tot ist", sagte der Mann: "Hoffentlich haben sie den richtigen festgenommen."

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