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Gesunder Schlaf: Wenn sich der Körper reinigt

Wegen Kunstlicht und Smartphone schlafen viele Menschen weniger. Ein Gespräch mit dem Schlafmediziner Ingo Fietze über sozialen Jetlag, Schichtarbeit und das lange Ausschlafen am Wochenende.

Herr Fietze, wir können heute rund um die Uhr einkaufen, wir kommunizieren über das Internet mit Menschen, die in ganz anderen Zeitzonen leben, und junge Leute machen von Freitag bis Sonntag durchgehend Party. Ist unsere Gesellschaft rastloser geworden?

Ja, wir schlafen heute weniger als noch vor 100 Jahren. Diese Entwicklung hat mit der Erfindung des elektrischen Kunstlichtes begonnen und wurde durch elektronische Medien wie Computer und Smartphone noch einmal verstärkt. Die Tage werden länger, weil viele Menschen abends später zu Bett gehen. Dadurch nimmt die Schlafdauer hierzulande ab.

Und das stecken wir einfach so weg?

Man muss sich nur mal anschauen, wie viele Milliarden mit mehr oder weniger seriösen Schlaf-Gimmicks wie Melatonin-Pillen, Hopfen-Lavendel-Baldrian- Drinks oder Schlaf- Apps für das Smartphone verdient wird. Einerseits widmen viele Menschen ihrem Schlaf heute mehr Aufmerksamkeit, was natürlich eine gute Sache ist. Andererseits zeigt dieser große Markt aber auch, dass da etwas im Argen liegt und dass das Bedürfnis nach gutem, erholsamen Schlaf nicht erfüllt wird.

Wie lange sollte man denn schlafen, um am nächsten Tag ausgeruht zu sein?

Das Schlafbedürfnis variiert von Mensch zu Mensch und auch über das Alter hinweg. Die amerikanische Schlafakademie empfiehlt aktuell siebeneinhalb Stunden Schlaf plus/minus eine Stunde. Wer dauerhaft weniger als sechs Stunden schläft, gefährdet seine Gesundheit.

Warum ist Schlaf für unseren Körper so wichtig?

Unser Gedächtnis ist auf Schlaf angewiesen, um Informationen zur sortieren, zu speichern oder zu verwerfen. Zudem laufen während des Schlafs wichtige Reparatur- und Reinigungsprozesse im Körper ab. Freie Radikale, die zur Zellalterung beitragen und Krebs und Herz-Kreislauf- Erkrankungen fördern, werden in der Nacht deaktiviert. Und im Gehirn wird Beta-Amyloid abgebaut. Dieses Protein begünstigt Alzheimer, Demenz, Parkinson und Multiple Sklerose.

Früher hieß es, Schlaf könne man nicht nachholen.

Das ist ein Mythos. Man kann durchaus am nächsten Tag oder nach einer anstrengenden Woche am darauffolgenden Wochenende Schlaf nachholen. Darüber hinaus wird es dann allerdings schwierig: Im Urlaub die verpasste Nachtruhe der letzten Wochen oder Monate wiedergutzumachen, klappt nicht.

Ingo Fietze, Schlafmediziner
Ingo Fietze, Schlafmediziner

© Doris Spiekermann-Klaas

In Japan ist ein „Inemuri“ – also ein Powernap am Arbeitsplatz – nichts Ungewöhnliches. Mitarbeiter legen sich dann einfach mit dem Kopf auf den Tisch und dösen ein paar Minuten. Bei uns in der Redaktion wäre das eher unüblich.

Ich würde Ihnen raten, es ruhig mal auszuprobieren und zu schauen, wie Ihre Kollegen oder Vorgesetzten reagieren. In Japan gilt das Nickerchen am Arbeitsplatz sogar als Zeichen harter Arbeit. Da ist jemand so erschöpft, dass er eine kurze Pause braucht. Und in der Tat ist eine kurze Schlafpause deutlich gesünder und produktiver als die zehnte Tasse Kaffee.

Trotzdem ist ein Powernap am Arbeitsplatz in Deutschland eher die Ausnahme

Wenn sie in einem deutschen Unternehmen die Belegschaft fragen würden, ob sie dafür sind, einen Ruheraum einzurichten, wäre sicher die Mehrheit dafür. Das Problem liegt aber woanders – nämlich in den Führungsebenen. In Deutschland ist das Bewusstsein um gesunden und ausreichenden Schlaf gerade in den Vorständen überhaupt nicht verbreitet.

Weil man ja noch schlafen kann, wenn man tot ist – wie es der viel zu früh verstorbene Rainer Werner Fassbinder einst formulierte?

Weil in den Führungsebenen mitunter noch ein Leistungsideal vorherrscht, das langen Schlaf als unproduktiv und als Zeitverschwendung begreift. Wenig Schlaf hingegen ist sexy und gilt als Zeichen von Schaffenskraft. Studien zeigen jedoch das Gegenteil: dass Schlafmangel die Produktivität eines Menschen senkt und den Krankenstand in den Unternehmen erhöht. Und natürlich kommt es durch Übermüdung auch häufiger zu Unfällen am Arbeitsplatz oder auf dem Arbeitsweg.

Braucht guter Schlaf also eine stärkere Lobby?

In den Vereinigten Staaten ist die öffentliche Debatte schon deutlich weiter. Eine prominente Stimme ist beispielsweise die Mitgründerin und Chefredakteurin der „Huffington Post“ Arianna Huffington, die darauf hinweist, wie wenig guter Schlaf wertgeschätzt wird. Auch Jeff Bezos, der mit seinem Unternehmen Amazon zum Multimilliardär geworden ist, propagiert regelmäßigen achtstündigen Schlaf – und die „New York Times“ hat Schlaf schon als neues Statussymbol ausgerufen. Ich würde mir wünschen, dass auch in Deutschland Prominente und Politiker sich stärker für gesunden und ausreichenden Schlaf einsetzen würden.

Einige Menschen haben schon aufgrund ihres Berufes schlechte Chancen ausreichend Schlaf zu bekommen – nämlich Schichtarbeiter.

Schichtarbeit ist Körperverletzung. Durch die ständigen Tag-Nacht-Schichtwechsel gerät die innere Uhr – wir Mediziner sprechen vom circadianen Rhythmus – aus dem Takt. Fliegt man in eine andere Zeitzone, braucht der Körper mindestens einen Tag, bis sich die innere Uhr an den verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst hat. Im Schichtdienst wechselt die Schlafenszeit jedoch alle paar Tage. Schon wenn Nicht-Schichtarbeiter am Wochenende später, also zur nicht optimalen Zeit ins Bett gehen, kann das zu Problemen führen. Das wird soziales Jetlag genannt. Wie schädlich das Schlafen gegen die eigene Uhr ist, belegen Studien. Schlafmangel fördert Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Bei einer dauerhaften Schlafstörung schwächelt zudem das Immunsystem. Dadurch steigt das Risiko an einer Infektion oder einem Tumor zu erkranken.

Eigentlich ein Fall für den Arbeitsschutz.

Das Problem wird weitestgehend ignoriert, weil unsere 24-Stunden-Gesellschaft immer mehr Dienstleistungen rund um die Uhr fordert und niemand eine Idee hat, wie es ohne Schichtarbeit gehen kann.
Sie behandeln nun schon seit über 20 Jahren in Ihrem Schlaflabor Menschen, die einfach keine oder zu wenig Nachtruhe finden. Haben sich die Probleme, mit denen sie zu Ihnen kommen, in den vergangenen Jahren verändert?
Schlafstörungen betreffen alle Gesellschaftsschichten. Aber unsere Patienten sind jünger und in der Anzahl mehr geworden, auch weil die Auslöser für eine Schlafstörung beispielsweise Stress im Beruf oder Studium, Ängste oder auch der Drogenkonsum zugenommen haben. Mit Zunahme des Übergewichts nimmt auch die andere häufige Schlafstörung, die Schlafapnoe immer mehr zu. Und mit dem immer älter werden auch das Problem der unruhigen Beine. Ein Ende dieser Spirale ist im Moment nicht abzusehen.

Das Gespräch führte Frieder Piazena. Ingo Fietze ist Oberarzt für Innere Medizin und als Schlafforscher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité.

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