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Auf der Demo am 1. August versammelten sich rund 5.000 "Querdenker".

© Paul Zinken/AFP

Gesetzesbrüche – und dann?: Kaum Konsequenzen für Berliner Corona-Skeptiker

Die CDU-Fraktion wollte vom Berliner Senat wissen, in welchem Umfang die „Freedom Parade“ bislang strafrechtlich belangt wurde. Die Antwort überrascht. 

Die sogenannte “Freedom Parade” gilt als eine der umtriebigsten Gruppierungen im Milieu von Gegnern der Corona-Maßnahmen und Pandemieleugnern innerhalb der Hauptstadt. Seit dem Frühling 2020 veranstaltet die Truppe um den Party-DJ Michael B. alias “Captain Future” zahlreiche eigene Veranstaltungen, die sich gegen das Corona-Management der Regierenden oder die angeblich “gelenkte Presse” richteten.

Gleichzeitig gehören regelrechte Guerilla-Aktionen zur Taktik der Aktivisten um Michael B. Dabei werden maskenlose Einkaufstouren durch Shopping Center und Supermärkte oder Fahrten ohne den obligatorischen Mund-Nasen-Schutz in den öffentlichen Verkehrsmitteln zelebriert. Für viel Kritik sorgte unter anderem ein im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichtes Video einer dieser Aktionen, die “Captain Future” und seine Mitstreiter dabei zeigen, wie sie maskenlos zu den Klängen von Roberto Blancos abgewandelten Hit “ein bisschen Sars muss sein” in einem Prenzlauerberger Bio-Supermarkt einkaufen gehen. 

Immer wieder kam es bei ähnlichen Unternehmungen der Gruppe zu Bedrängungen von anderen Kunden durch “Freedom Parade”-Teilnehmer. Neben Initiator Michael B. tummeln sich auch Reichsbürger und Rechte im unmittelbaren Umfeld der Gruppierung, mittels des offiziellen Telegram-Kanals werden Verschwörungsideologien verbreitet. Auch die Relativierung und Leugnung der Shoah in diversen geposteten Nachrichten wurde über lange Zeit im “Freedom Parade”-Austauschkanal auf dem Messengerdienst nicht gelöscht. 

Fünf von sechs Strafverfahren eingestellt

Mit einer schriftlichen Anfrage an den Senat hat es sich die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus auf die Agenda gesetzt, herauszufinden, wie viele Ordnungswidrigkeiten und weitere Vergehen die umtriebigen Aktivisten der “Freedom Parade” seit dem Beginn der globalen Pandemie angehäuft haben. Schließlich befand sich allein deren Anführer “Captain Future” nach Tagesspiegel-Informationen mindestens zehn Mal zumindest vorübergehend im Gewahrsam der Polizei, um beispielsweise seine Identität feststellen zu lassen. Mindestens in zwei Fällen verschafften sich Polizeibeamte teilweise gewaltsam Zutritt zu Wohnungen von “Freedom Parade”-Aktivisten, die dort illegale und zu diesem Zeitpunkt nicht pandemiekonforme Partys veranstalteten. 

Umso überraschender liest sich die Antwort des Berliner Senats auf die Anfrage des CDU-Abgeordneten Danny Freymark, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Demnach sei es nach Angaben der Berliner Polizei seit Beginn des “Beobachtungszeitraums” am 1. Februar 2020 zu insgesamt drei Ordnungswidrigkeitsanzeigen und sechs Strafanzeigen gegen die Gruppierung gekommen. Von den gefertigten Strafanzeigen seien laut Polizei jedoch fünf von sechs Verfahren eingestellt worden.

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Eine der drei Ordnungswidrigkeitsanzeigen betreffe einen Verstoß gegen das Berliner Pressegesetz, welches ein Bußgeldverfahren nach sich zog. Die beiden anderen Ordnungsverfahren stellten Verstöße gegen die Infektionschutzmaßnahmenverordnung dar, wie also beispielsweise die fehlende Maske bei einer Demonstration. In beiden Fällen konnten die Schuldigen jedoch nicht namhaft gemacht werden, so die Polizei.

Kritik von der Linksfraktion

Darüber hinaus sei der Polizei kein Fall bekannt, in der Musikboxen der Gruppierung konfisziert wurden. Auch das ist angesichts der Tatsache verwunderlich, dass “Captain Future” selbst sich in mehreren Videos darüber beklagte, dass ihm bei illegalen Partys die Musik-Anlage abgenommen worden ist. Darüber hinaus ist aus mehreren Clips der Gruppierung ersichtlich, dass Michael B. andere Demonstranten zur Begehung von Straftaten aufrief. Zuletzt am 1. August, als Tausende “Querdenker”-Demonstranten unerlaubt durch die Berliner Innenstadt zogen und B. per Megafon dazu aufrief, Polizeiketten gewaltsam zu durchbrechen. Auch hiervon hat die Berliner Polizei offenbar keine Kenntnis. Auf die Frage, wie viele Aufrufe zur Begehung von Delikten der Behörde bekannt sind, heißt es: “Aufrufe im Sinne der Fragestellung sind nicht bekannt.”

Danny Freymark, Fragensteller und CDU-Abgeordneter im Parlament, zeigt sich überrascht von den wenigen verfolgten Delikten und wünscht sich, dass in Zukunft “genauer hingesehen wird”. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, geht noch weiter und bezeichnet die geringe Anzahl an Verfahren gegen die “Freedom Parade” gegenüber dem Tagesspiegel als Ausdruck des “polizeilichen, aber auch gesamtgesellschaftlich verharmlosenden Umgangs mit dem Querdenker-Phänomen.”

Von Anfang an habe es die “Freedom Parade” mit ihren Aktionen vorsätzlich darauf angelegt, Hygieneregeln zu missachten und habe dabei wiederholt auch auf Unbeteiligte keine Rücksicht genommen, sagte Schrader dem Tagesspiegel. Gleichzeitig zeigte er sich “vorsichtig optimistisch”, dass sich im Umgang mit “Querdenkern” mittlerweile etwas geändert habe. Dennoch sei es laut dem Linken-Politiker immer wieder nötig, auf die “breite Radikalisierung der antidemokratischen Bewegung hinzuweisen”.

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