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Altbauten in Berlin.

© Getty Images/EyeEm

Genossenschaftsförderung in Berlin: Verhandlung über Geringverdiener-Darlehen vertagt

Bausenatorin Lompscher will Geringverdienern Geld leihen, damit sie sich teure Genossenschaftsanteile leisten können. Keine gute Idee, warnen Branchenkenner.

Florian Schmidt hat in diesen Tagen einen hohen Kapitalbedarf. Sechs Mal hat der Kreuzberger Baustadtrat zugunsten der „Diese eG“ das bezirkliche Vorkaufsrecht gezogen und damit sechs Häuser im Wert eines mittlerweile zweistelligen Millionenbetrages für die Genossenschaft erworben. Das Problem: Eine Finanzierungszusage vom Land oder von Banken hat die "Diese eG" bislang noch nicht vorliegen. Und auch eine nennenswerte Summe an Eigenkapital konnte die Genossenschaft bislang nicht bei ihren Mitgliedern einsammeln.

Sollte es den Genossen nicht gelingen, das Geld aufzutreiben, würde das auf den Grünen-Politiker Schmidt zurückfallen, denn der Bezirk steht weiterhin für die Verkaufssumme in Haftung.

Schützenhilfe bei seinem Genossenschaftsprojekt wollte dem Kreuzberger Stadtrat zuletzt Katrin Lompscher (Linke) leisten. Die Bausenatorin hat die Änderung von Verwaltungsvorschriften vorgeschlagen, um auch Geringverdienern besseren Zugang zu zinsfreien Darlehen des Landes zu verschaffen.

Denn um die Anteile der "Diese eG" zu zeichnen, müssen die Bewohner hohe Summen aufbringen – pro Quadratmeter rechnet die Genossenschaft mit 500 Euro. Ein zinsloses Darlehen der landeseigenen Investitionsbank Berlin soll es auch Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen, die hohen Genossenschaftsanteile zu finanzieren, so der Plan der Senatorin.

Doch daraus wird so schnell nichts. Eine entsprechende Vorlage der Bausenatorin, den Kreis der Darlehensberechtigten auszuweiten, sollte eigentlich am Mittwoch vom Hauptausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet werden. Die Verhandlung darüber wurde ohne Begründung vertagt.

Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher.
Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher.

© imago/Metodi Popow

Kritik an den Plänen Lompschers kam am Mittwoch aus der Opposition. „Die Gewährung von Darlehen an Wohngeldempfänger zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen ist für diese ein wirtschaftliches Russisch Roulette“, sagte Sibylle Meister, haushaltspolitische Sprecherin der FDP. „In erster Linie ist deren Einkommen zu gering, um Anteile zu erwerben. Bei maximaler Inanspruchnahme des Darlehens bedeutet dies eine monatliche Mehrbelastung von über 200 Euro, um das Darlehen zurückzuzahlen. Das ist für jemanden, der Wohngeld bezieht, nicht bezahlbar!“

Doch nicht nur bei den politischen Kontrahenten der Koalition, auch unter den Genossenschaften wird Lompschers Plan skeptisch bewertet. Beim Vorhaben des Senats handele es sich um „Schaufensterpolitik“, sagte Frank Schrecker, Vorstandschef der Genossenschaft Berolina, dem Tagesspiegel.

„Die Frage ist, ob das für Menschen mit einem geringen Einkommen wirklich eine realistische Option ist, 35.000 bis 40.000 Euro aufzubringen, um einen Eigenbeitrag bei der Genossenschaft zu leisten. Die Summe mag mit einem günstigen Darlehen des Landes finanziert werden, aber sie muss ja letztendlich zurückgezahlt werden.“

Über die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Geringverdienerdarlehens will das Abgeordnetenhaus jetzt erst Anfang September beraten. „Da gibt es wohl noch Gesprächsbedarf“, hieß es am Mittwoch aus Koalitionskreisen.

Heftige Kritik aus der SPD

Es wäre nicht das erste Mal. Schon in den vergangenen Tagen hatte das Vorgehen von Baustadtrat Schmidt in der Koalition für Ärger gesorgt. Denn der Genossenschaft fehlen nicht nur die Finanzierungszusagen. Selbst die rechtliche Grundlage für eine öffentliche Förderung war zu dem Zeitpunkt gegeben, als Schmidt für die "Diese eG" das Vorkaufsrecht zog.

Eine entsprechende Senatsvorlage, die Genossenschaften eine Förderung in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises zugesteht, wurde erst vor zwei Wochen vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Fünf Häuser hatte der Kreuzberger Politiker zu diesem Zeitpunkt allerdings schon der Diese eG übereignet – offenbar in der Annahme, dass das Parlament der Senatsvorlage schon zustimmen würde.

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Schmidts Entscheidung stößt deshalb koalitionsintern auf Kritik. Die SPD unterstützt zwar die neuen Förderrichtlinien für Genossenschaften, lehnt sie aber für die bereits erfolgten Käufe ab. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Torsten Schneider, bezeichnete das Vorgehen Schmidts vergangenen Woche im Parlament als „haushaltswidrig“, die SPD werde das weder unterstützen noch nachträglich legitimieren.

„Sollte einer der schon vorhandenen Fälle eine staatliche Förderung bekommen, dann werde ich über den Senat kommen wie ein Panzerfahrer – unter Ausnutzung jeder rechtlichen Gelegenheit – und mir jedes Schriftstück im Senat und in jeder Bezirksverwaltung durchlesen, das ich jemals in die Finger bekomme.“

Baustadtrat Florian Schmidt.
Baustadtrat Florian Schmidt.

© imago/photothek

Doch nicht nur das politische Vorgehen steht infrage. Auch das Finanzierungsmodell wird von anderen Genossenschaften abgelehnt. „Ich wünsche der 'Diese eG' viel Glück, weil ich gar kein Interesse daran habe, dass sie scheitern. Meine Sorge aber, dass sie scheitern, ist riesig“, sagte Berolina-Chef Frank Schrecker.

Sorgen bereiten Schrecker vor allem die hohen Marktpreise. „Es hilft nicht, wenn das Land einen zehnprozentigen Zuschuss zum Kauf leistet. Denn die Preise, die in den Milieuschutzgebieten für die Häuser verlangt werden, sind abenteuerlich hoch und gleichen das nicht aus“, sagte er. Die "Diese eG" sei deshalb auch die einzige Genossenschaft, die Zuschüsse beim Senat beantragt habe. „Wir könnten das nicht und würden es auch nicht tun“, sagte Schrecker, dessen Genossenschaft rund 4000 Wohnungen in der Stadt verwaltet.

Anzeige wegen "Haushaltsuntreue"

„Wir sprechen hier von Einkaufskosten von 4000 Euro je Quadratmeter – Sanierungen kommen da noch obendrauf. Mit niedrigen Mieten lässt sich das nicht finanzieren“, sagt er. „Wir bauen in der Stadt gerade für 3000 Euro je Quadratmeter neu und vermieten für elf Euro. Bei der 'Diese eG' müsste die Miete theoretisch also deutlich über elf Euro liegen. Wie soll das funktionieren?“ Auch sei der vom Senat beschlossene Mietendeckel nicht eingepreist in die Kalkulation, der eine Mieterhöhung unmöglich mache.

„Ich will dem Genossenschaftsvorstand der 'Diese eG' nicht Schlechtes unterstellen", sagt Schrecker, "Aber die Finanzierung ist derart auf Kante genäht, dass alles optimal funktionieren muss: Die Bank muss mitziehen, die Bewohner müssen eine Riesensumme aufbringen. Und wenn einer in dieser Kette nicht mitmacht, kommt es zum ganz großen Knall.“

Die Debatte um die "Diese eG" könnte für den Kreuzberger Baustadtrat Schmidt zudem noch ein juristisches Nachspiel haben. Eine Berliner Anwältin hat wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue Strafanzeige und Strafantrag gegen den Grünen-Politiker gestellt. Schmidt habe mehrfach das Vorkaufsrecht „unter Missachtung haushaltlicher Grundsätze“ ausgeübt, ohne dass die Finanzierung zu diesem Zeitpunkt sicher geklärt gewesen wäre oder sei, heißt es in dem Schriftsatz, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Die Anwältin bittet die Staatsanwaltschaft deshalb, ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Ein Sprecherin des Bezirks wollte sich am Dienstag nicht zu den Vorwürfen äußern, die Anzeige sei dem Bezirksamt bisher nicht bekannt.

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