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Der Sänger Michael Dixon tritt auch beim Konzert auf.

© Jennifer Sanchez

„Gemeinsambunt“ im Berliner Schillertheater: Benefizkonzert gegen Hasskriminalität und für sexuelle Vielfalt

„Gemeinsambunt“ wirbt mit Musik und Reden für Akzeptanz, Vielfalt und gegen Gewalt. Mit dabei sind Nadja Benaissa, Lucy van Org und Ahmad Mansour.

Das Duo schlenderte ganz entspannte über den Gehweg in Berlin-Pankow. Zwei Männer, als schwules Pärchen erkennbar. Die lockere Atmosphäre endete jäh, als sich ein Mann näherte. Er hatte drohende Gesten, er überschüttete die Homosexuellen mit einer Flut obszöner Ausdrücke, Hasskriminalität ohne Vorwarnung, Mitte August in Berlin.

Das Paar erstattete Anzeige, der Täter ist mittlerweile ermittelt. Der Fall ging auch über den Schreibtisch von Sebastian Stipp, Kommissar bei Landeskriminalamt (LKA).

Einer von vielen Fällen, die Stipp bearbeitet, immer geht es um Hasskriminalität wegen sexueller Orientierung. „2019 hatten wir in Berlin 355 dieser Anzeigen, im vergangenen Jahr schon 430“, sagt Stipp. Der 36-Jährige ist beim LKA Ansprechperson für Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI).

Stipp ist aber auch einer der Organisatoren des Benefizkonzerts „Gemeinsambunt“, einer Mischung aus Musik und Reden, die am Sonntag um 18 Uhr in der „Komödie am Kurfürstendamm“ im Schillertheater stattfindet.

„Bunt“ ist die Chiffre für die Akzeptanz sexueller Vielfalt. Und für Stipp ist das Konzert „unsere Stimme für ein vielfältiges Berlin, gegen Ausgrenzung und Gewalt“. Auch Anne von Knoblauch war an der Organisation beteiligt, auch sie ist Ansprechperson für LSBTI-Menschen.

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Zu den Künstlern gehören Nadja Benaissa, Mitglied der „No Angels“, die Sängerin Lucy van Org, der Sänger Michael Dixon und das Landespolizeiorchester Brandenburg. Reden werden Stipp, aber auch der Psychologe Ahmad Mansour, der sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft befasst und eng mit der Polizei zusammenarbeitet.

Brüche im Programm sind eingeplant

Der Kampf gegen Hasskriminalität, der war schon 2019 der Ausgangspunkt für das erste „Gemeinsambunt“-Konzert, damals in der Neuköllner Oper. Polizei, Jugendamt Neukölln, Lesben- und Schwulenverband, sie alle standen vor der Frage: Wie löst man zumindest ansatzweise dieses Problem, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung bedroht, beleidigt, körperlich attackiert werden?

Die Antwort: Mit Künstlern, die das Thema aufgreifen und darüber aufklären, jeder auf seine Weise, in leichter, unterhaltender Form, aber auch mit ernsten Reden. Stipp, ein früherer Musical-Darsteller, hatte die Idee, die anderen zogen mit. Wegen Corona kann das zweite Konzert erst jetzt stattfinden. Innensenator Andreas Geisel (SPD) ist Schirmherr.

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Die Choreographie des Programms ist sorgsam auf Brüche abgestimmt. Das war schon 2019 so, das wird jetzt wieder so sein. Immer wenn die Stimmung gelöst ist, vielleicht sogar romantisch, weil die Lieder eine entsprechende Atmosphäre gerade erzeugt haben, taucht die eigentliche Botschaft des Abends auf. „Gerade in Momenten, in denen man bei der Musik sentimental wird“, sagt Stipp, „wenn man vielleicht an den ersten Kuss denkt, wird man mit Reden aus dieser Gedankenwelt herausgerissen.“

Dann hören die Zuschauer, auch von Stipp, dass es Menschen in Berlin gibt, die sich nicht auf einen Kuss in der Öffentlichkeit freuen können. „Die haben Angst, beobachtet und dann vielleicht Opfer einer Straftat zu werden“, sagt Stipp. LSBTI-Menschen, die für andere eine Provokation darstellen.

Die Zuschauer kommen ins Nachdenken

In Sekundenschnelle bricht die harte Realität in die sentimentale Stimmung. „Man kommt ins Nachdenken“, sagt Stipp. „Man überlegt: Was wäre denn, wenn ich plötzlich aufpassen müsste bei einem Kuss?“.

Diese Choreographie wirkt, das hat der LKA-Kommissar schon 2019 hocherfreut registriert. Damals sagten jene Zuschauer, die wegen ihrer Funktion aufgetaucht waren, Politiker etwa, zu Stipp: „Das war die beste dienstliche Veranstaltung, die ich je erlebt habe.“ Das Konzert soll ja auch Politik, Organisationen und Vereine animieren, sich gegen Hasskriminalität zu engagieren.

Erste Erfolge gibt es schon. „Vor allem in Neukölln hat die Arbeit gefruchtet, die sind dort richtig aufgewacht.“ In dem Bezirk gibt es jetzt ein queeres Jugendzentrum, und das Jugendamt hat eine AG gegen Homo- und Transphobie mitorganisiert. Stipp ist überzeugt, dass die Einrichtung des Jugendzentrums durch das Konzert zumindest beschleunigt wurde.

Der Gala-Erlös fließt in Projekte

Teil des Konzerts ist auch eine Gala, der Erlös fließt an gemeinnützige Projekte, die sich für Vielfalt einsetzen. 2019 kamen immerhin rund 2000 Euro zusammen.

Ein Teil des Geldes floss an das Projekt „RuT – Rad und Tat: Offene Initiative Lesbischer Frauen in Berlin-Neukölln“. Auch die Organisation „Heroes – gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre“ erhielt einen Betrag. Damit wurden Fortbildungen zum Thema queere Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung finanziert.

Natürlich wird alles unter strengen Corona-Regeln stattfinden, es gelten die Drei-G-Regeln (genesen, geimpft, getestet), die Sitze im Theater sind im Schachmuster angeordnet. Die Sängerin Charley Ann Schmutzler musste ihren Auftritt kurzfristig absagen. Sie gilt als Erstkontakt und muss sich abschotten.

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